DIE KOLUMNE: Der „Straßenbuchstabe“ als millionenschwere Herausforderung

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Haben Sie sich beim Autofahren schon einmal Gedanken gemacht, ob Sie gerade auf einer B-, L-, K- oder G-Straße unterwegs sind? Wohl kaum. Hauptsache, die Straße ist in einem guten Zustand. Doch die Buchstaben sorgen für einen gravierenden Unterschied. Sie geben zu erkennen, wer für den Unterhalt und die Sanierung der Straße verantwortlich ist. B gleich Bundesstraße, L gleich Landesstraße, K gleich Kreisstraße und G gleich Gemeindestraße in einer Stadt oder einer Gemeinde. In der Stadt Leer wirkt sich diese Unterscheidung sehr gravierend aus.

Während die Sanierung des Stadtrings inklusive Brücke über die Bahn durch den Bund bezahlt wird, muss die Stadt an anderer Stelle in den nächsten Jahren tief in die Tasche greifen. Es geht um den Südring. Er ist im Prinzip auch eine Umfahrungsstraße wie der Stadtring. Allerdings – anders als der Stadtring – keine Bundesstraße, sondern eine Strecke in der Zuständigkeit der Stadt.

Was das bedeutet? Auf die Stadt wartet die teuerste Infrastrukturmaßnahme seit mehreren Jahrzehnten. Die Brücke über die Bahn ist mehr als sanierungsbedürftig, bekanntermaßen bereits für den Verkehr eingeschränkt und könnte – da sind sich die Experten einig – auch jederzeit ein „Totalausfall“ werden, wenn die in den 1960er Jahren verbauten Stahlseile, die kontinuierlich durch ein Monitoring-System per Sensoren auf Knackgeräusche etc. geprüft werden, reißen.

Die Stadtverwaltung macht nun verständlicherweise Tempo – und die Politik zieht mit. So ist im Ausschuss entschieden worden, dass die Prüfung einer Tunnelvariante als Alternative zu den Akten gelegt wird. Sie allein hätte ein Jahr Zeit gekostet. Die Zahlen, die die Ratsmitglieder vorgelegt bekommen haben, unterstreichen, warum es zügig gehen sollte. Die Baukosten laufen derzeit in allen Bereichen „davon“ – und so sind bereits jetzt durch die Verwaltung 12,4 Mio. Euro angesetzt, wenn es gelingen sollte, die neue Brücke dann in einem Bauabschnitt fertig zu haben. Bis das soweit ist, werden noch viele Züge den Bahnhof nach Leer anfahren oder verlassen. 2027/28 könnte es soweit sein, wenn es optimal läuft. Mit Blick auf die Friesenbrücke in Weener über die Ems wäre das absolut rekordverdächtig…

Damit der Zeitplan eingehalten werden kann, muss nun zügig weitergeplant werden. Denn: Die Bahn allein braucht bis zu drei Jahren Vorlauf für die Prüfung der finalen Bauplanungen, um daraus dann die Rückschlüsse für Sperrzeiten zu ziehen. Ziel der Verwaltung ist es, nun – nach einem anstehenden Beschluss in der nächsten Ratssitzung – die Projektierung mit einer EU-weiten Ausschreibung in Auftrag zu geben. Dabei wird dann – und das ist auch ein deutliches Zeichen, wie sich das Zusammenspiel zwischen Rat und Rathaus verbessert hat – auch ein Vorschlag aus der Politik aufgenommen. Bei der vor allem für Fahrradfahren nicht beliebten Abbiegespur an der Sägemühlenstraße soll geprüft werden, ob der Bau eines Kreisverkehrs durch Erwerb von zusätzlichen Flächen möglich ist.

Was es bis wann werden soll, steht nun fest. Wie die Finanzierung aussieht, ist noch völlig offen. Stand heute muss die Stadt, die um jeden Euro ringt, die neue Brücke komplett selbst finanzieren. Es wird die Aufgabe alle Politiker der Region sein, Fördermittel einzuwerben. Theoretisch könnten das bis zu 60 Prozent sein, sagt ein Experte. Allerdings: Man muss sich nur umschauen, wo überall die Sanierung von maroden Brücken in Angriff genommen wird. Da reicht das Fördermittelgeld hinten und vorne nicht. Bloß gut, dass in Leer und umzu die Jann-Berghaus-Brücke ob der Meyer-Schiffe hochmodern ist, der Neubau der Ledabrücke bereits durchfinanziert ist und die Friesenbrücke im Bau ist und ja irgendwann auch wohl tatsächlich fertig sein wird.

Ach ja, das Beispiel mit dem Stadtring als Bundesstraße und dem Südring als kommunale Straße zeigt auch, wie wichtig es ist, wachsam zu sein. Bis die Autobahn 31 fertig wurde, gab es die B 75 quer durch den Kreis Leer. Heute ist nur noch ein Teilstück als Bundesstraße 436 ausgewiesen, weite Teile sind Landstraße. Und: Wenn die Leeraner nach der Fertigstellung der Brücke über die Seeschleuse vor über 40 Jahren argumentiert hätten, dass die Strecke die ideale Umfahrung von Leer zwischen den Bundesstraßen heute 436 und 70 nach Papenburg bzw. ins Rheiderland ist, dann wäre das Brückenthema heute nicht das, was es für den Leeraner Stadtsäckel ist: die größte finanzielle und alternativlose Belastung dieses Jahrzehnts.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Der „Straßenbuchstabe“ als millionenschwere Herausforderung