DIE KOLUMNE: Der „verschollene“ Leeraner Bundestagsabgeordnete

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Können Sie mit dem Namen Julian Pahlke etwas anfangen? Wenn ja, dann sind Sie entweder sehr politikinteressiert oder Mitglied oder Sympathisant der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Pahlke ist im September 2021 für den Kreis Leer und das nördliche Emsland in den Deutschen Bundestag gewählt worden. Er hat über Platz 12 der Landesliste Niedersachsen seiner Partei den Einzug in das Parlament geschafft. Das war dann allerdings auch fast die letzte Nachricht, in der der Name Pahlke in Zusammenhang mit der Region im Nordwesten zu lesen oder wahrzunehmen war.

Der junge Abgeordnete, zu dessen Aufgaben vor allem auch die Interessenvertretung der Region in Berlin gehört, ist für die Menschen im Nordwesten fast vollständig abgetaucht. Termine vor Ort – davon ist kaum etwas wahrzunehmen, wenn es sie dann überhaupt gibt. Die persönliche Homepage – mittlerweile Standard bei jedem Politiker, der in Amt und Würden ist – hat mit der erfolgten Wahl vor 16 Monaten wohl ihren Dienst getan. Unter www.julianpahlke.de heißt es als Hauptschlagzeile „Ich kandidiere für den deutschen Bundestag“. Die Seite ist so aktuell, dass dort nicht einmal die Kontaktdaten in Berlin, geschweige denn des Wahlkreisbüros in Leer mit entsprechendem Ansprechpartner zu finden sind. Wer Herrn MdB Pahlke als Volksvertreter erreichen will, der kann auch nicht über die Internet-Seite der Kreisgrünen fündig werden. Dort steht immerhin bei Pahlke „Für unsere Region im Bundestag“ – was auch immer damit gemeint ist. Kontaktdaten sollten dann aber auf der Seite des Bundestages zu finden sein, meint man. Auch dort fehlen Telefonnummer und Mailadresse. Der 31-Jährige wird dort zudem als „Referent“ betitelt – wahrscheinlich kommt das noch aus der Zeit, als er im Büro von Claudia Roth einige Monate eine Elternzeitvertretung gemacht hat. Erst auf der Fraktionsseite seiner Partei sind dann immerhin die Festnetznummern des Büros in Berlin und eine Handynummer für das Büro in Leer zu finden. Ansprechpartner sind auch hier nicht genannt.

Was hat der junge Grüne denn nun seit seiner Wahl politisch für Deutschland, die Partei, die Menschen der Region oder für sich geleistet? Wer darüber etwas wissen will, der ist beim Kurznachrichtendienst Twitter richtig. Dort ist Pahlke sehr rege, wie auch bei der Plattform abgeordnentenwatch.de, wo Fragen, die gestellt wurden, meist zügig beantwortet wurden. Beim Blick auf die 140-Zeichen Twitter-Tweets, Medienstatements oder Reden im Bundestag wird dann sehr schnell deutlich: Die Politik, die Pahlke macht, hat so gut wie keine Bezugspunkte zu den Menschen, die ihn gewählt haben – auch wenn er im Ausschuss für Inneres und Heimat sitzt. Beispielsweise geht es da um Afghanistan, die Ukraine oder Dekrete der italienischen Regierung zur zivilen Seenotrettung. Die Pressemitteilung, die er teilweise gemeinsam mit anderen Abgeordneten herausgegeben hat, drehen sich ausschließlich um Themen wie Migrationsrouten, Frontex, Bundeswehrmissionen oder den Westbalkan. Regionaler Bezug zum Alltag der Menschen in Ostfriesland und im Emsland – Fehlanzeige. Für sie ist der Bundestagsabgeordnete quasi „verschollen“.

Immerhin hat er an den Abstimmungen im Berliner Reichstag teilgenommen, auch wenn das seiner Partei nicht immer gefallen haben dürfte. So war er einer von neun Grünen, der im November 2022 gegen die von der Regierung – also auch seiner Partei – vorgeschlagenen Änderung des Atomgesetztes gestimmt hat.

Gut, manch´ einer wird nun vielleicht wohlwollend denken, dass es ja auch Abgeordnete geben muss, die sich um die internationalen oder nationalen Themen kümmern müssen. Allerdings sollte dabei der Blick in die Heimat- bzw. Wahlregion nicht völlig außer Acht gelassen werden. Viele Vertreter aus dem Nordwesten und beispielsweise auch die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann – sie agiert auch bundesweit als Vorsitzende der Mittelstandsunion – zeigen seit 20 Jahren, wie das geht. Connemanns 2021 so selbstverständlich anmutendes Wahlmotto „Sie kümmert sich“ bekommt angesichts der fehlenden Präsenz von Pahlke eine ganz neue Bedeutung. Auch ist das, wie ein „Abtauchen“ oder Desinteresse wirkende Verhalten Pahlkes für viele ehrenamtliche Kommunalpolitiker der Grünen, die seit Jahren engagieren, bitter. Sie hatten sich, das sagen sie hinter vorgehaltener Hand sehr deutlich, auch Rückenwind für ihre Arbeit vor Ort gewünscht.

Eines ist sicher: Die nächste Wahl kommt bestimmt. Im Jahr 2025 wird die Präsenz Pahlkes – wenn er dann erneut kandidiert – in der Region wieder zunehmen. Ganz so, wie es einem weit verbreiteten und meist unberechtigten Vorurteil, dass sich Berufspolitiker immer nur vor einer Wahl präsentieren und engagieren, gerecht wird. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass Menschen und Wähler – und auch Parteikolleginnen und -kollegen – in dieser Hinsicht alles andere als vergesslich.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Der „verschollene“ Leeraner Bundestagsabgeordnete