DIE KOLUMNE: Die Blaupause aus dem Leeraner Kreishaus, die Mut macht

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70,8 Prozent – das ist eine Zahl, die für das Leben im Kreis Leer von immer größerer Bedeutung sein wird. Denn: 7 von 10 von Verantwortliche in den 1.300 Vereinen und Organisationen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern sagten in einer Umfrage des Kreises: „Wir haben Nachwuchsmangel. Uns fehlen junge Menschen, die sich in ihrer Freizeit engagieren.“ Was das in absehbarer Zeit bedeuten könnte? Kaum vorstellbar. Im schlimmsten Fall kann die Freiwillige Feuerwehr im Ort irgendwann nicht mehr ausrücken, der Sportverein hat zwar Kinder, die kommen wollen, er stellt den Spielbetrieb aber ein, weil Trainer fehlen. Das sind nur zwei Bereiche von vielen.

Warum das so ist? Darüber sind schon viele Studien erstellt worden – meist mit dem Ergebnis, dass der so wichtige „Kitt für die Gesellschaft“, den das Ehrenamt „liefert“, zu zerbröckeln droht. Die politischen Konsequenzen, die daraus gezogen wurden, sind allerdings – vorsichtig ausgedrückt – überschaubar. Denn sonst wäre das, was der Kreis Leer seit nunmehr fast sechs Jahren mit seiner Stabsstelle Ehrenamt macht, nicht bundesweit mehrfach ausgezeichnet und in Teilen kopiert worden.

Offiziell sorgt die Abteilung im Kreishaus unter der Überschrift „Kommunale Managementstrukturen für das Ehrenamt“ mit ihren vier Mitarbeitern dafür, dass seit 2017 ein „Feuerwerk“ an Aktivitäten zur Stärkung der Freiwilligenarbeit gezündet wird. Schlappe 200.000 Euro kostet das maximal – im Gesamthaushalt mit fast 400 Mio. Euro eine Super-Mini-Kostenstelle. Ergänzend wird über die Akquise für gezielte Projekte Fördergeld in den Kreis „reingeholt“.

Die Liste der Aktivitäten ist beachtlich und die Anknüpfungspunkte, wie Menschen begeistert werden können, umfangreich und vielseitig. Aktuell steht beispielsweise bereits ab November zum 10. Mal das „Vereinsforum“ an, bei dem für die unterschiedlichsten Themen Schulungen für Ehrenamtler angeboten werden. Nahezu alle Vereine nutzen mit ihren Vorständen oder Mitstreitern dieses Angebot, das dieses Jahr ab November online stattfindet und an dem jeder Interessierte teilnehmen kann.

Mut, dass das Schreckensszenario vom Zusammenbruch der Vereine nicht eintreten wird, macht beispielsweise die Aktion „Löppt! Mitnanner“. Die Stabsstelle geht in die Schulen, sechs Stunden Informationen zum Ehrenamt. Was dabei herauskommt? Von den mehr als 1.300 Schüler, die „unterrichtet“ wurden, haben 780 erklärt, dass sie sich engagieren wollen, und über 200 Projekt-Ideen lagen auf dem Tisch. Sechs Kommunen haben dieses Konzept bereits übernommen – Anfragen dazu landen regelmäßig in der Leeraner Bergmannstraße im Kreishaus.

Weitere Beispiele gefällig? Die Ehrenamtskarte, die Marketing-Aktion „wirpackenfreiwilligan.de“, das Bündnis für Respekt, „Tied för di“, die gezielte Aktion für Kinder und Jugendliche, die Freiwilligenagentur (pro Jahr werden 300 Engagierte passend zu ihrem Interesse an Vereine vermittelt), die Auszeichnung „Blinkfüür“ für Ehrenamtler oder das Projekt „Digital vor Ort“. Bei letzterem wird in gewisser Weise der Bürokratie „der Kampf angesagt“. Den auch das Ehrenamt ist mittlerweile von Regelungen, Gesetzen und Statistiken „überflutet“. Schöner Nebeneffekt neben der Wissensvermittlung: Kreisweit sind zwischenzeitlich 14 Coaches unterwegs, die – ehrenamtlich – bei der Technik und Verwaltung der Vereine helfen. Die nächsten Projekte sind bereits in der Pipeline. In Kürze wird ein „Vereinsnavigator“ an den Start gehen, der umfassend über alle Aktivitäten und Möglichkeiten informiert.

Kurzum: Die Förderung des Ehrenamtes im Kreis Leer – aktuell sind kreisweit etwa 50.000 Bürgerinnen und Bürger aktiv – ist zu einer Blaupause für viele Regionen in Deutschland geworden. Stabstellen-Leiterin Monika Fricke und ihr Team haben es gemeinsam mit Landrat Matthias Grote geschafft, das Ehrenamt im Kreis mit Marken & Taten neu zu positionieren. Die Herausforderung wird sein, dieses Niveau zu halten. Denn: Die Herangehensweise spricht sich immer mehr herum. In Kürze wird der Niedersächsische Landkreistag in einer Broschüre Leer als Musterbeispiel aufführen. Die Botschaft darin ist eindeutig: Ehrenamtsförderung ist genauso wichtig für das Leben in einer Region wie Wirtschaftsförderung. Es wird aufgezeigt, wie die Mobilisierung der Menschen für unbezahltes Engagement erfolgreich gelingt. Das ist gut so. Es ist wünschenswert, dass landauf landab Geld zur Förderung des Ehrenamtes und seines Images in die Hand genommen wird. Hoffentlich noch rechtzeitig, damit der Kitt dauerhaft ausreichend vorhanden bleibt.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Die Blaupause aus dem Leeraner Kreishaus, die Mut macht