Der Hafen gehört zu Leer wie der Plytenberg oder der Gallimarkt. Leer ist zwar zweitgrößter Reedereistandort Deutschlands (obwohl keines der Schiffe in Leer liegt), aber dennoch hat der Hafen wenig Lobby und auch kein gutes Image. Schlickproblematik, kaputte Schleuse, jährliches Zuschussgeschäft für die Stadt Leer und Firmenschließungen in den 1980er Jahren bestimmen die Wahrnehmung der meisten Leeraner. Andere denken, dass der Hafen sowieso nur noch Freizeitcharakter hat, was durch die Bebauung der Nesse nach Abriss von Fabrikhallen auch nachhaltig unterstrichen wurde. Ein neues Trio an der Spitze der Hafenwirtschaftsvereinigung Leer (HWV) will nun für dringend benötigten Auftrieb für das immer noch größte Industrie- bzw. Gewerbegebiet der Ledastadt sorgen, inklusive eines Blicks über den Tellerrand.
Reiner Graalmann (Graalmann GmbH), Arne Woldenga (Rhenus) und Timo Kramer (Stadtwerke Leer AöR) lassen sich derzeit nicht wirklich in die Karten schauen, was sie ehrenamtlich in den kommenden Monaten und Jahren vorhaben. Sie kündigen für die Neuaufstellung ihrer Vereinigung, die aktuell lediglich 16 Mitglieder hat, sehr allgemein formuliert den intensiven Dialog mit den Mitgliedern an und wollen bis Ende des ersten Quartals 2024 die Agenda für die nächsten Jahre festlegen. Das allerdings dürfte nur bedingt so stimmen. Alle drei sind keine Typen, die sich auf ein „Himmelfahrtskommando“ einlassen würden und die den Eindruck vermitteln, dass sie nicht wissen, was sie wollen. So haben sie bereits vor ihrer Wahl auch die ersten Pflöcke eingehauen.
Die Zusammensetzung des Vorstands hat nicht mehr den Bürgermeister der Stadt Leer kraft Amtes als „Vorschrift“. Die Beitragsstruktur wird „über den Haufen geworfen“, d.h. mehr (engagierte) Mitglieder für kleines Geld statt wenige mit eher hochpreisign Jahresbeiträgen. Und: Der bisher auf den Hafen Leer reduzierte Zusammenschluss wird auf den Landkreis Leer erweitert. Dieses wird bereits dadurch unterstrichen, dass mit Graalmann jetzt der Chef eines Unternehmens im Vorstand sitzt, das im Außenanleger Ems-Port im Deichvorland in Nüttermoor sein Zuhause hat.
Die neue, als kreisweiter Verein aufgestellte Vereinigung soll „größer“ denken. Das ist gut so. Die Häfen entlang der Ems – von Ditzum bis nach Papenburg, egal ob Fischer-, Freizeit- oder Industriehafen – stehen alle vor Herausforderungen und Veränderungen, die der Masterplan Ems nach sich zieht. Sie müssen sich als kleine (kostspielige) kommunale Häfen im Konzert mit den Landeshäfen positionieren, wenn es vor allem auch um Fördergelder geht. Die Häfen an der Ems inklusive vor allem auch Leer sind bisher keine wahrzunehmende „Marke“. Jeder weiß, dass es sie gibt. Mehr nicht.
Zweiter Aspekt: Die meisten Hafenbetriebe sind heute eher selten für sich allein zu betrachten, sondern in ein Netzwerk von Logistik- und Industriefirmen eingebunden sind. Die bisherige Hafenvereinigung könnte langfristig auch zu einer Hafen- und Logistikvereinigung werden, denn – zweites wichtiges Leeraner Thema – die Hinterland-Anbindung eines jeden Hafens entscheidet über seine Weiterentwicklung. Fragen Sie in Leer mal nach, wie die Unternehmen über die anstehenden Sanierungen der Leda- und der Südringbrücke denken. Mit Blick auf Straße und Schiene ein starkes Sprachrohr zu sein, ist da mehr als zeitgemäß. Ein Minister, der Leer besucht, muss auch immer gleich den Hafen im Hinterkopf haben. Lobbyarbeit mit Rückenwind entscheidet mehr über Zukunft, als in der Öffentlichkeit manchmal wahrgenommen wird. Man darf also gespannt sein, ob und wie es dem Trio gelingt, weitere wichtige Wirtschaftsplayer für sich zu gewinnen.
Dritter Aspekt – und da bleibt der Blick konkret auf die Stadt Leer – ist die Frage, wie der Hafen zukunftsfähiger aufgestellt werden kann. Das letzte Potenzialgutachten für den Hafen ist aus 2016. Aktuell benötigt der Hafen mit seinen etwa 300.000 Tonnen Jahresumschlag p.a. etwa 350.000 Euro Betriebskostenzuschuss aus dem Stadthaushalt. Millionen hat auch die Schleusensanierung verschlungen. Zudem – das ist bekannt, aber bisher wenig thematisiert – stehen millionenschwere Spundwanderneuerungen an. Auch ist bekannt, dass aktuell frei verfügbare Flächen fehlen, auf denen sich ansiedlungswillige Hafenbetriebe niederlassen könnten. Da kann es dienlich sein, wenn die HWV als starke Stimme der Wirtschaft nicht als ein vernetztes Teilchen der Stadt- oder Parteipolitik Position beziehen muss und „Druck“ machen kann, um den Weg für Fördergelder oder neue Konzepte zu bahnen. Vielleicht ist es auch die HWV, die für das aktuelle Fehlen von freien Flächen für Neuansiedlungen kreative Ideen hat und Wege für das Landlord-Prinzip – d.h. die Stadt übernimmt wieder Flächen und verpachtet sie – mit „eintütet“.
Fest steht: An ausreichend Arbeit und Aktionsmöglichkeiten wird es dem Trio Graalmann, Kramer und Woldenga nicht mangeln. Aber das wissen die drei auch. Gutes Gelingen, denn der Landkreis Leer braucht für die Unternehmen aus Industrie, Gewerbe und Handel und für den Tourismus gut aufgestellte See-, Binnen-, Import-, Export- und Freizeithäfen. Man darf gespannt sein, was aus der HWV wird.
Foto: Stadtwerke Leer AöR