Papenburg erweitert seinen Hafen in Richtung Völlen, der c-Port am Küstenkanal baut seine Kaimauer aus und schafft ein Wendebecken – und in der Hafenstadt Leer? Da gehen die Umschlagszahlen 2022 dramatisch um über 20 Prozent zurück. Eine Entwicklung, die Wasser auf die Mühlen derjenigen ist, die den dauerdefizitären Hafen als „Geldfresser“ sehen und der Überzeugung sind, dass nur der Tourismus im Handelshafen eine Perspektive hat.
Gut, die nackten Zahlen sind ein starkes Argument. Ein Rückgang von 410.000 auf 322.000 Tonnen ist alles andere als ein gutes Signal. Aber: Die Entwicklung ist nicht hausgemacht. Seit der Ukraine-Krieg läuft, werden Wasserwege und Schiffe stärker denn je für den Transport von Energieträgern genutzt und der Bausektor – er war zuletzt ein Treiber des Umschlags – hat mit hohen Preisen, Zinsen und Konjunktureinbruch zu kämpfen. Doch viel schlimmer ist für Leer: Die Güter können zwar im Hafen gelöscht werden, aber dann? Dank der maroden Südring- und Ledabrücke können sie nur schwer per Lkw zu den Zielorten gebracht werden. Leer ist verkehrstechnisch für den Schwerlastverkehr, beispielsweise Richtung Emsland, zu einer Insel geworden. Bis sich das ändert und die Brücken – es war ja zudem auch noch der Stadtring monatelang gesperrt – wieder vernünftig befahrbar sind, werden noch viele Jahre ins Land gehen. Da können die Schiffe gleich besser in den Nachbarhäfen festmachen.
Gehört zum Hafen von Leer dazu: Schrottumschlag. Die Nehlsen E. Heeren GmbH wird nun in weitere Unternehmensbereiche investieren.
Ist der aktuelle Trend ein Vorbote für die nächsten Jahre? Nein. Denn es gibt auch positive Signale, die – leider sehr leise –aus dem Hafen kommen. Sie liefern Grund für Optimismus. Die Firma Nehlsen E. Heeren GmbH wird erweitern und in neue Unternehmensbereiche – beispielsweise Abfallrecycling von Verbundstoffen – und in die Hafeninfrastruktur millionenschwer investieren. Dafür wird das Unternehmen gute Gründe haben. Ein wichtiger Faktor für das Investment ist dabei auch gewesen, dass die Erreichbarkeit des Hafens gesichert ist, weil die Anti-Schlick-Systeme gut funktionieren und – so ist zu vernehmen – die Kommunikation zwischen Firmen, Stadtwerken und dem zuständigen Wasser- und Schiffartsamt endlich „stimmt“.
Auch die Stadtwerke als Hafenbetreiber – allerdings ohne eigene Hafenverladetechnik, die in Leer anders als in anderen Häfen in Firmeneigentum sind – werden weiter in dem nach wie vor größten Gewerbegebiet der Stadt investieren, sehen Potenziale, wie sie zuletzt durch eine Strategiestudie 2016 ermittelt wurden. So wird der Verladeplatz der Hafenbahn in diesem Jahr auf Vordermann gebracht. Weitere Investitionen, beispielsweise in neue Spundwände, die aktuell bei sechs Meter Tiefe pro Meter etwa 35.000 Euro kosten, werden Millionen kosten. Dieses Geld wird die Stadt nicht allein aufbringen können. Ähnlich wie in Papenburg und am Küstenkanal müssen Fördergelder her. Die kommen aber nur, wenn sich die Politik vor Ort und vor allem auch die Firmen öffentlich immer positionieren. Das jedoch passiert mit der entsprechenden Nachhaltigkeit viel zu selten. Oder wann hat sich beispielsweise letztmals die Hafenwirtschaftsvereinigung Leer – der Zusammenschluss aller Akteure – öffentlich lautstark mit Forderungen für die Modernisierung oder beim Thema marode Brücken positioniert? Mit einer alles andere als attraktiven Internetseite – unter Aktuelles steht beispielsweise nichts bzw. nur eine Landkarte – kann man keinen Blumentopf gewinnen. Dabei weiß jeder, dass es immer die Interessen der Wirtschaft mit ihren Arbeitsplätzen und Steuerzahlungen sind, die Politik am schnellsten bewegen. Ein neuer Anlauf für gezieltes Standortmarketing könnte nicht schaden.
Immer mehr Kreuzfahrtschiffe steuern Leer an – deshalb investieren die Stadtwerke in das Umfeld der Anlagestelle.
Beim Leeraner Hafen nur auf Umschlag und Industrie zu schauen, wäre einseitig. Spannend ist auch der touristische Aspekt. Die Zahl der Sportboote, die nach Leer kamen, ist gestiegen. Ebenso kommen immer mehr schwimmende Hotels in die Ledastadt. Zuletzt machten etwa 30 Flusskreuzfahrtschiffe fest. Das ist beides allerdings ebenfalls nur möglich, weil die Stadtwerke mit 13 Mitarbeitenden den Hafen und die Schleuse betriebsfähig halten. Das Potenzial des Tourismus hat man bei den Stadtwerken. In diesem Jahr wird die Kreuzfahrer-Anlegestelle „aufgehübscht“. Für einen richtig großen Wurf, der noch einmal Rückenwind geben würde, fehlen – siehe oben – auch hier Fördergelder. Denn Leer wird als Kreuzfahrt-Standort mehr Zulauf bekommen, da sind sich die Reiseexperten sicher. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es ein im Leeraner Hafen ansässiges Start-Up-Unternehmen namens Leantec gibt, die Soft- und Hardwarelösungen entwickelt und vertreibt, die Arbeitsprozesse in den Managementgesellschaften von Fluss- und Kreuzfahrtschiffen vereinfacht. Dabei geht es auch um Lösungen für das Anlaufen, Handling und Abrechnen von Leistungen an Zielorten. Und dieses Leeraner Unternehmen wird dann bestimmt auch jedes Mal die Chance nutzen, vom schönen Leer, ihrem Firmensitz, zu berichten.
Kurzum: Die Umschlagszahlen sind das Eine. Die vielen Akteure und Arbeitsplätze das wichtigere Andere. Es wird Zeit, dass auch in Leer der Hafen als Industrie- und Gewerbeort mit Werften, Umschlagunternehmen und Start-Ups den Rückenwind aus Politik auf allen Ebenen bekommt, den die Nachbarhäfen längst haben.
Foto: Stadtwerke Leer AöR