Angekündigt und geredet wird politisch viel, wenn der Tag lang ist. Das ist bei dem einen oder anderen Thema in Leer nicht anders. So gab es auch viele Zweifler, als es hieß, dass die Stadt den schwarzen Schafen unter den Vermietern an den Kragen will und auf dem so genannten grauen Wohnungsmarkt aufräumen will. Nach den ersten Monaten, die der neu eingestellte Mitarbeiter zur Beobachtung des so genannten grauen Wohnungsmarktes unterwegs ist, lässt sich feststellen: Die Kontrollen wirken. Die Stadt hat nach eigenen Angaben in den vergangenen Monaten zehn Verfahren gegen schwarze Vermieter-Schafe eingeleitet – und gleich fünfmal die Nutzung der jeweiligen Wohnung unmittelbar untersagt.
Mehrere Vermieter sind nach Aussage von Stadtbaurat Rainer Kleylein-Klein auffällig geworden und müssen mit Konsequenzen rechnen. Bei der Jagd nach den skrupellosen Vermietern wird akribisch vorgegangen. Kommt ein Hinweis aus der Bevölkerung – diese treffen nach Aussage der Stadt weiter kontinuierlich auf gleichbleibendem Niveau ein – oder stellen die Stadtmitarbeitenden selbst etwas fest, stimmen sich hausintern Bauamt, Ordnungsamt und der Bereich Soziales ab. Wird festgestellt, dass der genutzte Wohnraum menschenunwürdig ist, wird umgehend entschieden und – das ist dann die zweite Herausforderung für die Stadt – nach einer neuen Bleibe Ausschau gehalten.
Für diesen Kundenkreis dann eine neue Bleibe zu finden, wird in Leer eine immer größere Herausforderung. Die Zahl der geförderten Wohnungen sinkt dramatisch. 2016 waren es noch 608, 2019 noch 364 und 2027 werden es nur noch 136 Wohnungen sein. Parallel dazu steigt die Zahl der Haushalte, die auf Transferleistungen bzw. preiswerte Wohnungen einen „Anspruch“ haben an. In Leer sind es um die 4.500 Haushalte, d.h. 130 Haushalte je 1000 Einwohner. Landesweit sind es nur 77 je 1000. Der Ukraine-Krieg und die Flüchtlinge, die nach Leer kommen, haben die Situation noch weiter verschärft.
Für die Stadtverwaltung sind diese Entwicklungen alarmierend – und so soll in Sachen Wohnraumpolitik eine Kurskorrektur vorgenommen werden. Zum einen ist vorgesehen, dass die stadteigene Tochter KWL wieder auf Flächen der Stadt zur Nachverdichtung in den Neubau von Sozialwohnungen einsteigen soll, zum anderen werden sich Investoren „wärmer“ anziehen müssen. Was in anderen, vor allem größeren Städten bereits seit langer Zeit gang und gäbe ist, soll auch in Leer Realität werden. Über die Genehmigungsverfahren soll Investoren künftig eindeutig vorgegeben werden, wie hoch der Anteil geförderter und bezahlbarer Wohnungen in einem Projekt sein soll. Ein Projekt, in dem es nur Luxuswohnungen gibt, soll es in der Kreisstadt so nicht mehr geben. Man darf gespannt sein, wie sich die Vorstellungen des Stadtbaurats in der Realität umsetzen lassen und wie konsequent die Politik der Kurskorrektur folgen wird.
Die Verknappung des bezahlbaren Wohnraums ist aber keineswegs nur ein Thema in der Kreisstadt. Der Landkreis stellt aktuell nach eigenen Angaben fest, dass „es immer schwieriger wird, für Haushalte mit geringem Einkommen Wohnungen zu angemessenen Preisen zu finden“. Was dagegen unternommen wird? Der Kreis verweist auf das vor etwa 1,5 Jahren entwickelte Wohnraumversorgungskonzept, das die Lage in den Kommunen – ohne die Stadt Leer – analysiert. Bis 2035 wird ein Anstieg der Haushalte im Kreisgebiet um etwa 5.000 auf dann knapp unter 70.000 erwartet. Pro Jahr müssen knapp 500 neue Einheiten gebaut werden, um der Nachfrage gerecht zu werden. Man muss kein Prophet sein, dass damit die Zahl der Nachfragen nach sozialfinanziertem Wohnraum steigen wird, zumal auch Faktoren wie der demografische Wandel mit überproportional steigenden Rentner-Haushalten ihr übriges dazu beitragen wird. Kreisweit wird es – so hat die Studie ermittelt – 2027 nur noch 74 (!) preisgebundene Wohnungen geben. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2035 ein Bedarf an neuen preisgebundenen Wohnungen von knapp über 500 besteht. Insgesamt raten die Experten dem Kreis, ein Leitbild mit Prinzipien zu entwickeln, wie in den nächsten Jahren Wohnraum in welchen Gebäudetypen und an welchen Orten realisiert werden sollte.
Wie weit der Kreis bei dieser Leitbild-Entwicklung ist? Einen regelmäßigen Runden Tisch aller Beteiligten, wie ihn Landrat Matthias Groote bereits Ende 2018 angekündigt hat, gibt es bisher nicht. Aus Sicht des Kreises mache das vorgelegte Konzept „eine Wohnraumförderung möglich und dürfte bei steigenden Zinsen an Attraktivität gewinnen“. Die Zahlen belegen das. Seit etwa zwei Jahren nimmt das Interesse am Bau geförderter Wohnungen zu, wie laut Kreisverwaltung vermehrte Anfragen zeigen. Aktuelle liegen demnach bei der Wohnraumförderstelle Anträge für 32 geförderte Wohneinheiten vor.
Angesichts des ermittelten Bedarfs ist fraglich, ob sowohl beim Kreis als auch bei der Stadt die eingeleiteten Maßnahmen für die kommenden Jahre ausreichen werden. Auch angesichts der Steigerung der Wohnkosten durch die explodierenden Energiepreise wird „Abwarten und Tee trinken“ bzw. der „Markt regelt das Angebot“ nicht ausreichen, da die Zahl der Wohnungssuchenden, die vom Staat subventioniert werden müssen, weiter steigen wird.