Es ist in der Geschichte des Landkreises Leer ein einmaliger Vorgang, der sich dieser Tage hinter den politischen Kulissen abspielt: Der Kreisverband Leer des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes (NSGB) hat die Fraktionen und Gruppen des Kreistages in einem Brief unmissverständlich aufgefordert, bei der Wiederbesetzung der Führung der Kreisverwaltung die amtierende Spitze mit Landrat Matthias Groote (SPD) und seiner Allgemeinen Vertreterin, Kreisrätin Jenny Daun (auch Leiterin Dezernat III, u.a. mit Planungsamt, Bauamt, Straßen- und Tiefbauamt, Umweltamt) nicht zu bestätigen.
In einem zweiseitigen Schreiben heißt es nach einer umfassenden einleitenden Darstellung etwas verklausuliert, aber für Kenner des politischen Geschäfts eindeutig: „Die aktuelle Führungsspitze des Landkreises hat es in den letzten 8 Jahren nicht verstanden, die Arbeitskultur durch die ,lösungsorientierten Macher‘ der eigenen Verwaltung zu prägen, sondern es verstärkt zugelassen, dass die ,Bedenkenträger‘ die Linie vorgeben. Wir haben Sorge, dass der Landkreis Leer bei Bestätigung der derzeitigen Führungspositionen einen zu geringen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landkreises beiträgt.“
Weiterhin wird – unter Beachtung der Zuständigkeiten, denn Bürgermeister haben kein direktes Mitspracherecht bei der Kreisrat-Wahl, geschweige denn bei der Kandidatenaufstellung durch die Parteien für die Direktwahl eines Landrates durch die Bürger – formuliert: „Wir bitten Sie, die vorgebrachte Meinung der kreisangehörigen Kommunen in Ihre Überlegungen für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und dem Landkreis Leer einzubeziehen.“
Welche Bedeutung hat der Absender NSBG? Wer steckt hinter dem Brief? Warum werden keine Namen genannt? Warum ist der Brief jetzt verfasst worden? Fangen wir mit dem Einfachen an: Der Brief ist das Ergebnis einer Mitgliederversammlung des NSBG am 10. Dezember 2024 im Vereins- und Gemeindezentrum in Ostrhauderfehn. Die Bürgermeister der neun Gemeinden – Uplengen, Hesel, Moormerland, Jümme, Jemgum, Bunde, Westoverledingen, Rhauderfehn und Ostrhauderfehn – waren sich gemeinsam mit ehrenamtlichen Politikern, die die Gemeinden präsentieren, einig, dass es an der Zeit ist, „klare Kante“ zu zeigen. Hintergrund ist, dass in den zurückliegenden Jahren das Miteinander der Kommunen mit dem Kreis sowohl im Tagesgeschäft als auch bei „großen“ Themen wie der Kreisumlage nicht mehr funktioniert hat, und die Bürgermeister aus diesen Gründen die positive Entwicklung ihrer Orte und Dörfer gefährdet sehen. Bei dem Brief fehlt die Zustimmung der drei weiteren Kommunen – Leer, Weener und Borkum, die als Städte dem NSGB nicht angehören. Es liegt nahe, dass die Bürgermeister der drei Städte ähnlich denken, da sie sich bereits zum Teil gegen Entscheidungen der Kreisverwaltung in Sachthemen klar positioniert haben .
Warum sind in dem Brief die Namen von Groote – er ist auch Leiter Dezernat I mit u.a. Hauptamt und Kämmererei – und Daun nicht enthalten? Dem Vernehmen nach wollte der NSBG-Vorstand „den guten Ton wahren“ – was allerdings auch als Feigheit ausgelegt werden könnte. So müssen die Empfänger den Text des Briefes ganz genau lesen, um beispielsweise festzustellen, dass die weitere Spitzenkraft im Kreishaus, Kreisrätin Ute Buntrock (verantwortlich für Dezernat II, u.a. mit Rechtsamt, inkl. Kommunalaufsicht, Ordnungs- & Straßenverkehrsamt, Amt für Kinder, Jugend und Familie sowie Gesundheitsamt) wohl nicht gemeint sein kann.
Warum kommt der Brief zu diesem Zeitpunkt? Ganz einfach: In den kommenden Wochen muss die Kreispolitik entscheiden, ob die Stelle der Ersten Kreisrätin/des Ersten Kreisrates öffentlich ausgeschrieben wird oder die Amtsinhaberin Daun durch rechtzeitige Wahl im Kreistag für die Jahre 2026 bis 2033 bestätigt werden soll. Eine Ausschreibung würde langer Vorlauffristen bedürfen, daher war der jetzige Zeitpunkt richtig gewählt. Landrat Groote hat – so ist aus der Kreispolitik zu vernehmen – wohl bereits signalisiert, dass er gern mit Daun weitermachen würde. Inwieweit er seine Zukunft an die Wiederwahl seiner Stellvertreterin knüpft, ist aktuell reine Spekulation. Außerdem steht in diesem Jahr bzw. Anfang 2026 auch die Frage an, wen die Parteien für die im Herbst 2026 anstehende Kommunalwahl als Landratskandidaten ins Rennen schicken. Für Landrat Groote als Amtsinhaber gilt: Er muss von „seiner“ SPD wieder nominiert werden. Er kann zwar das Signal setzen, dass er weitermachen will, über seine Zukunft kann er jedoch nicht im Alleingang entscheiden.
Fazit: (Fast) alle Bürgermeister im Kreis Leer haben mit ihrem Brief Groote und Daun direkt, unmissverständlich und endgültig jegliches Vertrauen entzogen. Ein Parteibuch spielte dabei – und das ist gut so – keine Rolle.
Wer das politische Geschäft kennt, der weiß: Dieser NSGB-Vorstoß ist viel mehr als „nur ein Stück Papier“. Die Kreistagsmitglieder wissen, dass es kein „Weiter so!“ geben kann. Wie es weitergeht? Das werden die Kreistagsfraktionen und -gruppen, allen voran SPD-Grüne-Linke mit ihrer Mehrheit, entscheiden, wobei zu hoffen ist, dass bei allen Kreistagsmitgliedern dabei nicht die „Parteibrille“ die einzige und entscheidende Bedeutung hat. Denn: Eine nicht funktionierende kommunale Gemeinschaft im Kreis Leer hat unausweichlich bedeutsame negative Auswirkungen auf den Alltag eines jeden Bürgers – vom Kleinkind bis zum Senior.
- Lesen Sie dazu auch die Reaktion des Landrats Groote auf den Vorstoß der Kommunen sowie das NSGB-Schreiben im vollen Wortlaut (aufrufbar über die Startseite www.hartwig-am-sonntag.de)
Steht als Chef der Kreishauses massiv in der Kritik des NSBG-Kreisverbandes Leer: Landrat Matthias Groote. (SPD). Foto: Kreis Leer