DIE KOLUMNE: Täuschende Rekordeinnahmen als Vorboten strikter Sparkurse

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Die Kommunen im Kreis Leer – und nicht nur dort – „schwimmen“ aktuell im Geld. Die Einnahmen aus der Gewerbe- und der Grundsteuer, auch Realsteuern genannt, sind derzeit so hoch wie nie seit Beginn der Erfassung durch das Statistische Bundesamt. Allein die Gewerbesteuer ist bundesweit um 14,9 Prozent auf nun 70,2 Mrd. Euro gestiegen. Auch für die Stadt Leer lassen sich die Zahlen bestätigen: Leer wird fünf Millionen Euro mehr als geplant an Gewerbesteuer im Stadtsäckel haben (jetzt 38,3 Mio. Euro). Jubelsprünge im Rathaus? Fehlanzeige. Stattdessen tagt in Kürze wieder die Haushaltssicherungskommission, bereits zugesagte Fördermittel für Projekte werden zurückgegeben.

Um diese Gegensätzlichkeit von Zahlen und Verhalten in den Rathäusern begreifen zu können, ist es erforderlich, genauer in die Systematik der Gewerbesteuer zu schauen. Denn: Die Gewerbesteuer wird zwar auf die durch die Unternehmen erwirtschafteten Gewinne erhoben – aber immer im Voraus. Teilweise wird sogar nur geschätzt, wie hoch der Gewinn sein könnte und dann festgelegt, wieviel die Firmen zahlen müssen. Was das bedeutet, sei an zwei Beispielen verdeutlich: Bei einer kleinen GmbH mit zwei Beschäftigten, die erst in der Mitte eines Jahres 2022 gegründet wurde, wird vierteljährlich eine Gewerbesteuer von etwa 900 Euro vom Konto „abgebucht“. Eine Steuer auf den zu erwartenden Gewinn. Dieses Unternehmen hat allerdings dann 2022 keinen Gewinn ausgewiesen – demzufolge musste die Stadt die vereinnahmte Gewerbesteuer 1:1 zurückzahlen. Bei größeren, erfolgreichen Unternehmen sind diese Vorauszahlungssummen auf die in der Vergangenheit erzielten Gewinne deutlich höher. Das Problem ist dabei: Sie werden erhoben mit Blick auf den Gewinn des Vor-Vorjahres bzw. Vorjahres. Im Klartext: Die wirkliche, aktuelle Lage der Unternehmen und der Wirtschaft wird durch die Gewerbesteuereinnahmen nicht deutlich. Wer auf die Entwicklung der Wirtschaft seit dem vergangenen Jahr schaut, der muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass die Konjunktur schwächelt. Die Baubranche liegt danieder, der Konsum der Bürger geht zurück, die Zinsen steigen – seit vielen Monaten schrumpft die deutsche Wirtschaftsleistung und eine Trendwende wir von den Wirtschaftsexperten frühestens 2024 erwartet. Es ist eine der schwersten Rezessionen in Deutschland seit dem 2. Weltkrieg. Insgesamt gab es dieses fehlende Wachstum erst sieben Mal in der Geschichte der Bundesrepublik.

Für die Kommunen bedeutet das: Sie müssen sich auf Steuerrückzahlungen einstellen, die in Millionenhöhe bei kleinen Kommunen bzw. in Milliardenhöhe deutschlandweit anfallen werden. Auch das Land Niedersachsen wird von diesen Rückzahlungen – von jedem Steuereuro kommen nur etwas mehr als 30 Cent in den Kommunen an –betroffen sein.

Vor Ort heißt es, den Konsequenzen in die Augen zu schauen. Denn der Rückgang der Einnahmen trifft auf die hohe Inflation und zudem auf die exorbitant steigenden Baupreise. Für Leer bedeutet das: Volle Konzentration der Investitionen auf die anstehenden klimaneutralen Sanierungen von Gebäuden und den auf Aufbau des Ganztagsbetriebs, die per Gesetz vorgegeben sind. „Schöne“ Projekte und Einweihungen – man denke da an den zurück gegebenen Förderbescheid für die Umgestaltung der Ledastraße – wird es wohl kaum noch geben. „Pluspunkte“ beim Wähler werden dann schwerer zu sammeln sein.

Auch aus einem weiteren Grund ist das „Geld-Zusammenhalten“ erforderlich. Dieser ist jedoch politisch bzw. ministerial „hausgemacht“. Bestes Beispiel ist hier der Ausbau des Gewerbegebietes Benzstraße. Diese Millioneninvestition, die Firmen als Steuerzahler ansiedelt (es gibt eine lange Liste von Interessenten im Rathaus für die Flächen), ist lange politisch beschlossen. Seit September 2022 liegt auch eine politische Zusage vom Land Niedersachsen über 11,7 Mio. Euro Fördergeld vor. Bis jedoch in der Stadtverwaltung der Bescheid eingetroffen ist, hat es nun fast ein Jahr gedauert. Das Problem dabei: Das Rathaus durfte die Planungen bis dato nicht gezielt vorantreiben, weil erst begonnen werden darf, wenn der tatsächliche Bescheid vorliegt. Diese Verzögerung wird die Stadt viel zusätzliches Geld kosten, denn Bauleistungen konnten noch nicht vergeben werden und sind in den vergangenen zwölf Monaten in Teilen um bis zu 30 Prozent teurer geworden. Diese 30 Prozent wurden jedoch nur im Ansatz bei der Kalkulation und der Finanzierungsplanung „vorhergesehen“. Soll die dringend notwendige Schaffung von Flächen für neue Firmen trotzdem realisiert werden, muss die Stadt, die seit Jahrzenten bei ihren Haushalten aufgrund der Gesamtverschuldung „knappste Kante“ agiert, also an anderer Stelle einsparen.

Fazit: Die aktuellen Rekordeinnahmen sind nichts mehr, als die täuschenden Vorboten für anstehende strikte Sparkurse.

Foto: www.pexels.com

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Täuschende Rekordeinnahmen als Vorboten strikter Sparkurse