Die Macht des Wortes

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Es gab Zeiten, da wurden Lokalredakteure nach Gehaltstarifen bezahlt. Gut bezahlt. Seit Jahren sind die Jahresgehälter nun auf dem Sinkflug und wurden in Teilen halbiert. Fast kein Medienhaus fühlt sich noch den zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelten Tarifen verpflichtet. Hausinterne Lösungen werden ausgehandelt. So werden in Schleswig-Holstein Jung-Redakteure – meist mit Vollstudium und dreijähriger Ausbildung im Verlag – gerne mal mit einem Jahresgehalt von deutlich unter 30.000 Euro vergütet. Auch bei den Tarifen für die so genannten Pauschalisten, die sich selbst versichern müssen, ist der Tagessatz gerne mal zwischen 120 und 150 Euro. Gerade mal etwas über dem Mindestlohn – wenn man rechnet, dass ein Arbeitstag eines Journalisten selten gewerkschaftlich geregelte 7,5 Stunden hat…

Es ist über 35 Jahre her, als ich das erste Mal einen Redakteur, der keine Personalverantwortung hatte, frage, was er denn verdiene. „Viel“, sagte er. Ja, denke ich, stimmt. Das Jahresgehalt liegt damals über dem eines Lehrers, auch über dem eines Ingenieur und eher in den Dimensionen von Bürgermeister und Gerichtsdirektor. Auf meine Frage, ob das nicht ein wenig viel sei für jemanden, der „nur“ mit Buchstaben und Wörtern jonglierte, ernte ich keinen bösen Blick, sondern eine umfassende Erklärung. Zwei Gedanken sind von damals hängen geblieben. Erstens: Ein Redakteur muss gut verdienen, damit er es sich leisten kann, immer unabhängig zu bleiben und nicht weitere Aufträge annehmen zu müssen, beispielsweise von der Bank vor Ort, die gern eine Chronik aus einer professionellen und lokalkompetenten Feder geschrieben haben wolle. Denn: So ein Auftrag führe zu einer gewissen (emotionalen) Abhängigkeit – und das wichtigste Gut eines Redakteures sei seine totale inhaltliche und vor allem auch wirtschaftliche Freiheit.

Und der zweite Gedanke? Wer mit Wörtern arbeite und damit Meinung mache, müsse sich immer bewusst sein, wie groß seine Verantwortung ist. „Junger Mann, merken Sie sich: Sie können mit Ihren Worten einen Menschen und seine Familie ruinieren.“ Ich schaue ihn damals etwas ungläubig, vielleicht sogar naiv an. Er legt nach. „Wenn Sie sich nicht immer der Wirkung Ihrer Worte bewusst sind, dann können Sie großen Schaden anrichten.“ Er macht es an einem Beispiel aus der Politik deutlich. Wenn beispielsweise ein Bürgermeister einen unverzeihlichen Fehler im Amt mache oder ein Geschäftsführer einer kommunalen Firma mit einer Entscheidung einen großen Schaden anrichte, dann müsse er für diese Fehler bzw. Taten zur Verantwortung gezogen werden. Mit aller Klarheit und aller Deutlichkeit. Das können auch eine Rücktrittforderung – sachlich begründet – bedeuten. Aber: „Sie müssen immer aufpassen, dass Ihre Worte so gewählt sind, dass nur der Mensch in seiner Funktion und nicht der Betroffene als Familienvater, Vereinsmitglied oder allen anderen Lebenslagen gleich ,mitvernichtet‘ wird.“ Diese Fähigkeit erfordere Sachkenntnis, Einschätzungsvermögen und Sensibilität – und das sei eine weit größere „wirtschaftliche Leistung“ als nur Buchstaben aneinander in einer Tastatur zu hauen.

Beide Gedanken prägen bis heute die Vorstellung der journalistischen Arbeit. Aufpassen, wo Abhängigkeiten – auch unbewusst – eingegangen werden und immer im Blick haben, dass jede noch so kleine unbedachte Formulierung große Folgen haben kann.

Dieser Redakteur hat mir übrigens noch etwas mit auf den Weg gegeben, das im heutigen Zeitalter von Mails und digitaler Kontaktpflege noch viel bedeutender ist. Wenn sie über Menschen schreiben oder gar ein Urteil über jemanden treffen, dann ist es zwingend notwendig, das persönliche Gespräch zu suchen. Das sei zwar nicht immer einfach, aber wichtig, um Fehler zu vermeiden. Der Betroffene muss die Möglichkeit haben, im direkten Kontakt seine Sichtweise darzustellen und der Redakteur müsse die Kraft haben, eben auch genau die Fragen zu stellen, wo er weiß, dass sie „wehtun“. Leider erlebe ich heute in der Kommunikationsberatung von Chefs und von Unternehmen (meist im Verborgenen), dass diese offene Herangehensweise nicht mehr eine Selbstverständlichkeit sind.

Apropos direkte und „schmerzhafte“ Fragen: Ich kann die Male nicht zählen, bei denen ich fetstellen musste, dass genau die Frage, die ich mich fast nicht dem Betroffenen zu trauen  stellte, meist die Beste war. An eine Situation erinnere ich mich besonders. Es war Anfang  der 1990er Jahre, als der Wolgaster Bürgermeister Günter Grählert (er war der erste frei gewählte, keine Verwaltungserfahrung und fast schon im Rentenalter) massiv in der Kritik stand und hinter vorgehaltener Hand bereits über seinen Rücktritt spekuliert wurde. Ich hatte einen Termin im Rathaus zu einem belanglose Thema. Als wir damit „durch“ waren, habe ich mich getraut. „Sagen Sie mal Herr Grählert, wann treten Sie von Ihrem Amt zurück?“ Und was passierte? Er schaut mich mit einem Lächeln an, wartet einen Moment und sagt dann: „Herr Hartwig, Danke für diese Frage. Ich weiß ja, dass in der Stadt darüber gesprochen wird, nur nicht mit mir. Endlich fragt mich jemand, wie es mir mit diesem Getuschel hinter meinem Rücken geht und ich kann dazu öffentlich etwas sagen.“ Dann stellt er da, wie es ihm geht und was er vor hat mit dem Hinweis, dass er sich freuen würde, wenn ich das genau so schreiben würde. Dann sei es raus. Er findet klare und deutlich Worte – und einige Monate später hat er die Weichen gestellt für seine Nachfolge.

Ich bin dem alten „Hasen“, dem erfahren Redakteur, bis heute für die klaren Worte in meine Richtung dankbar und muss oft daran denken, wenn ich heute selbst Medien konsumiere oder von den Arbeitsweisen einiger (!), keinesweg aller von mir nicht wertgeschätzten Kollegen höre.

Symbolfoto: Magda Ehlers/pexels.com

Holger HartwigDie Macht des Wortes