HARTWIG am MITTWOCH: Die Flutkatastrophe als Glücksfall

Artikel teilen

HARTWIG am MITTWOCH ist eine Kolumne, die immer zuerst mittwochs in der Ostfriesland-Ausgabe der Nordwestzeitung und der Emder-Zeitung erscheint.

Vergangenes Wochenende war beim Technischen Hilfswerk (THW) in Leer viel los. Beim Ortsverband freuten sich die Helferinnen und Helfer auf ein neues Einsatzfahrzeug und knapp 20 neue aktive Mitglieder aus dem gesamten Nordwesten legten die theoretische und praktische Prüfung ab. Sie dürfen nun für die „blauen“ Helfer in den Einsatz gehen. Die beiden Ereignisse stehen für das, was sich seit einigen Jahren und verstärkt seit der Flutkatastrophe abzeichnet: Statt Katastrophen-Tourismus zu betreiben, steigt die Lust von Freiwilligen, sich im THW zu engagieren.

Deutschlandweit verzeichnet das THW seit längerem wieder einen Zulauf an engagierten Hilfskräften. So gesehen ist die Katastrophe eine Art Glücksfall.Für Stefan Sandstede, Ortsbeauftragter des THW in Leer, war diese Entwicklung nicht vorhersehbar. Wie viele seiner Kollegen stellte auch er sich 2011 die Frage, wie es mit dem THW wohl weitergehen möge. Schließlich war es Tradition, dass die meisten Helfer sich bei den „Blauen“ meldeten, weil dadurch die Zeit als Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr „ersetzt“ werden konnte. Heute lässt sich feststellen: Zum einen blieben die „Wehrpflichtigen“ zum größten Teil, zum anderen  kommen immer wieder neue Interessierte dazu, die das ehrenamtliche Engagement und die Möglichkeiten beim THW begeistern. Deutschlandweit engagieren sich mehr als 80.000 Helferinnen und Helfer.

Profitiert hat die Attraktivität des THW seit einigen Jahren auch, weil die Bundespolitik die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements erkannt hat. Die vielen in- und ausländischen Einsätze haben verdeutlicht, dass die „Blauen“ neben den örtlichen Feuerwehren – die „Roten“ – bei Großschadenslagen unverzichtbar sind. Für eine bessere Ausstattung wird viel mehr Geld bereitgestellt, in der Organisation ist die Zahl der hauptamtlichen Kräfte, die die Ortsverbände unterstützen, stark erhöht worden und die Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen werden kontinuierlich erweitert und modernisiert. Wer sich qualifizieren möchte, der kann in drei  Aus- und Fortbildungszentren vor Ort Wissen aufnehmen und/oder online für sich und damit die Hilfseinrichtung etwas tun. Kurzum: Die Bundesbehörde THW – das ist sie offiziell – wandelt sich in vielen Bereichen und legt viel Verstaubtes ab. Eine „Ersatzarmee“ war sie nie.

Das THW setzt keineswegs nur auf Erwachsene. Kinder und Jugendliche ab sechs Jahren, die sich beispielsweise für Technik interessieren, sind in den Ortsverbänden willkommen und erlernen viele praktische Handgriffe, die im gesamten Leben auch außerhalb des THW nützlich sind. Das Bundesfreiwilligen-Jahr mit den „Bufdis“ ist inzwischen auch fester Bestandteil. Gemeinschaft und Miteinander gehören ebenso dazu wie in jedem anderen Verein.

Ach ja, auch das Leeraner THW ist übrigens keineswegs nur irgendwo in Deutschland oder auf der Welt im Einsatz. Bei schweren Unfällen, Großwetterlagen wie Binnenhochwassern – erinnert sei an 2011 – packen die „Blauen“ meist gemeinsam mit den „Roten“ an und ergänzen sich. Nicht nur Stefan Sandstede, sondern auch seine Kollegen in den anderen Ortsverbänden der Region sind gespannt, wie sich der Zulauf langfristig entwickelt. Sandstedes Befürchtung vor zehn Jahren, „dass wir bald vielleicht die Türen zusperren müssen“, haben sich jedenfalls nicht erfüllt. Und das ist gut so.

Foto zum Beitrag:

Ende September kehrten sieben Helfer des THW Leer von einem Hilfseinsatz für die Bewältigung der Schäden der Flutkatastrophe aus Rheinland-Pfalz zurück. Foto: THW Leer

Holger HartwigHARTWIG am MITTWOCH: Die Flutkatastrophe als Glücksfall