Was wäre es schön, wenn die mathematische Regel „Minus mal Minus ergibt Plus“ auch für die Finanzen der Stadt Leer gelten würde. Dann könnten Politik und Verwaltung beruhigt und voller Investitionstatendrang in die nächsten Jahre gehen. Das Gegenteil ist der Fall.
Zu den Fakten: 2021 hat die Stadt wie in den Jahren zuvor im so genannten Ergebnishaushalt – man könnte ihn auch zum besseren Verständnis Verbrauchshaushalt nennen – drei Mio. Euro mehr ausgegeben, als durch Steuern und Gebühren eingenommen werden. Erfreulich: Durch erhöhte Gewerbesteuereinnahmen sowie Landesgelder in Pandemiezeiten sind das vier Mio. Euro weniger als erwartet. Ein Grund zur Freude? Nein. Das Minus ist strukturell, die Stadt lebt über ihre Verhältnisse. Auch 2022 wird bei Gesamtverbrauchskosten von etwa 75 Mio. Euro ein Minus von drei Mio. Euro erwartet.
Was das bedeutet? Wäre die Stadt ein Unternehmen, müsste mit großen Einschnitten reagiert werden. Sparkurs pur. Die Kosten müssten runter. Betriebsbedingte Kündigungen, gleichzeitig Erhöhung der Preise für die Leistungen und das Abstoßen defizitärer Produkte wären die Folge. Gelingt das nicht gelingen, kommt der Konkursverwalter…
Die Stadt ist aber kein Unternehmen. Die Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Personell entlassen? Schwierig. Leistungs- und Produktpallette kürzen? Kaum möglich. Bleibt also der Blick auf die Investitionen und auf die Einnahmeseite. Bei den Investitionen laufen die Beratungen aktuell – mit heftigen Konsequenzen. Das geplante Volumen wird um etwa 50 Prozent (!) auf 23 Mio. Euro gekürzt. Der Bau des Feuerwehrhauses in Nüttermoor wird verschoben, Straßensanierungen reduziert und vieles mehr. Die Politik scheint den Vorschlägen der Verwaltung zu folgen. Gut so. Gemacht wird jetzt nur das, was gemacht werden muss, damit Leer „funktionsfähig“ bleibt. Schul- und Infrastruktursanierungen sind nicht verschiebbar. Kurzum: Politik und Verwaltung haben fast null Gestaltungsmöglichkeiten, zumal der Rat in der vergangenen Periode (zu) viele teure Projekte beschlossen hat. Wie sagte ein Ratsherr dieser Tage: „Im Prinzip ist für die nächsten Jahre alles gegessen. Wir müssen bei absolutem Mangel die Beschlüsse abarbeiten.“
Trotz aller Spar-Maßnahmen: Insgesamt wird die Stadt 2022 wieder etwa zehn Mio. Euro neue Schulden aufnehmen müssen und zusammen mit allen Tochterunternehmen die 100 Mio. Euro Schulden-Schallmauer durchbrechen. 100 Mio. Euro ist viel. Aber zur Einordnung: Diese Schulden sind nicht das Kernproblem. Für sie fallen aktuell pro Jahr lediglich 1,2 Mio. Euro Zinsen an – nur etwa 1,6 Prozent der jährlichen Verbrauchsausgaben.
Gibt eine Lösung? Der Sparkurs hilft, löst das Problem nicht. Die Lösung liegt auf der Einnahmenseite. Die Stadt muss wieder mehr Geld verdienen können, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Das geht am besten durch die Entwicklung von Bau- und Gewerbegebieten. Seit den 1990er Jahren haben in Leer dieses Geld fast ausschließlich private Unternehmen verdient, die Grundstücke erschlossen und mit Gewinn dann verkauft haben. Und neue Gewerbeflächen – derzeit nicht vorhanden – sind Garant für Ansiedlungen und damit für mehr Gewerbesteuer. Aktuell nimmt die Stadt pro Jahr 29 Mio. Euro Gewerbesteuer ein. Bedeutet: Um die drei Millionen Euro Defizit auszugleichen, muss die Wirtschaftskraft der Stadt um zehn Prozent wachsen. Eine große Aufgabe, aber nicht unmöglich, wenn mit Strategie und Professionalität der Standort Leer entwickelt und gemeinsam nach außen „verkauft“ wird. Und der Kreis, das Land und der Bund würden sich mitfreuen, schließlich bleiben von jedem Euro, den eine Firma an Gewerbesteuer zahlt, nach Expertenberechnungen nur etwa 36 Cent in der Kasse der Stadt.
Ach ja, und dann bleibt noch: Bei allen Investitionen gleich für die Folgekosten (Abschreibung, Zinsen, Unterhalt, Personal etc.) besser berücksichtigen, nicht nur auf Förderquoten schauen (auch „rote“ Fahrradwege kosten die Stadt anteilig Geld), Beschlüsse korrigieren sowie Schwerpunkte und Ziele langfristig definieren. Zudem zügiger und konsequent entscheiden. Denn auch Zaudern kostet Geld. Beispiel: Seit über 30 Jahren wird immer gerne wieder über Zuständigkeiten im Kinder- und Jugendbereich im Zusammenspiel mit dem Kreis Leer diskutiert. Würde man jede Stunde, die die Verwaltung dafür arbeiten musste, sowie die Sitzungsgelder aufaddiert, ergibt das auch eine sechsstellige Summe. Kleinvieh macht bekanntlich halt auch Mist.
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