Kolumne: Die Kostenfalle

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Sind die denn in der Stadtverwaltung zu doof? Können die nicht rechnen? Wie kann esdenn sein, dass die Reparatur der Schleuse und der Uferpromenade so viel teurer werden als geplant? Die Nachrichten über die hohen Kostensteigerungen sorgen in Zeiten, in denen die Stadtkasse in Leer ziemlich leer ist und freiwillige Ausgaben teils drastisch gekürzt werden mussten, für viel Diskussionsstoff. Um es vorweg zu nehmen: Nein, die Mitarbeitenden sind nicht zu doof und rechnen können sie auch.

Wie kommt trotzdem dazu, dass die Ertüchtigung der Seeschleuse etwa 750.000 Euro mehr kostet als geplant? Es ist eine Kostenfalle, die mit dem System, den rechtlichen Vorgaben, dem Zusammenspiel aus Politik und Verwaltung und Marktpreisentwicklungen zu tun hat.

Bei kommunalen Bauvorhaben ist der Ablauf so: Entweder möchte die Politik ein Vorhaben umsetzen und bittet die Verwaltung um ein Konzept. Oder die Verwaltung sieht Handlungsbedarf und legt der Politik einen Vorschlag zur Entscheidung vor. Die Verwaltung macht dann eine Kostenschätzung, die Grundlage für die politische Entscheidung ist. Wohlgemerkt, eine Kostenschätzung, die – so sagen einem erfahrene Verwaltungsexperten und auch Politiker – gerne auch mal etwas niedriger angesetzt wird, damit die Politik sich mit der Befürwortung leichter tut, was die Stadtverwaltung bei der Schleuse als unberechtigte Unterstellung jedoch zurückweist. Also beschließt die Politik die Sanierung der Schleuse – und die erste Millionensumme ist im Umlauf.

Im nächsten Schritt geht es für die Verwaltung darum, die Kosten detailliert zu ermitteln und ein Finanzierungskonzept zu erstellen. Dabei wird dann – wie bei der Schleuse, da es sich ja um ein komplexes Wasserbauwerk handelt – gern ein externes Planungsbüro eingeschaltet. Dieses plant und bereitet eine Ausschreibung der Arbeiten vor. Das Investitionsvolumen wird damit konkreter. Im Fall der Schleuse bedeutete das ein Plus von etwa 300.000 Euro. Nun wird das Projekt ausgeschrieben – und es stellt sich heraus, dass die Angebote, die von den Fachfirmen eingehen, deutlich höher als erwartet sind. Noch einmal etwa 150.000 Euro mehr. Das ist aktuell nichts Ungewöhnliches. Fast alle Firmen können sich vor Aufträgen nicht retten, die Preise explodieren im Bausektor. Soweit – so schlecht.

Dann beginnen die Arbeiten. Das, was – ähnlich wie bei einem Haus, das saniert wird – in der Theorie und vor Ort in Augenschein genommen wurde – präsentiert sich im Laufe der Arbeiten anders als erwartet. Kann passieren, da es sich um eine Schleuse im fortgeschrittenen Alter handelt. Ein weiteres Mal etwa 300.000 Euro Mehrkosten, damit die Sanierung wie gewünscht vorgenommen wird. Was bleibt? Augen zu und durch, denn eine funktionsfähige Schleuse ist für Leer unabdingbar.

Fazit: Wenn es um öffentliche Bauten geht, sollte sich niemand durch die erste Kostenschätzung „blenden“ lassen. Die negativen Kosten-Schlagzeilen lassen sich dann nicht vermeiden, weil das System es so vorsieht. Abgerechnet wird immer am Schluss. Das ist auch im Privaten oft bitter, aber unvermeidbar.

Ach ja, beim Blick auf die beiden Leeraner Wasserbauprojekte verwundert, dass diese durch die Stadtverwaltung koordiniert werden, wo doch die Stadtwerke Leer als Bewirtschafter des Hafens über Wasserbaufachleute verfügen. Warum das die Stadt macht? Vertraglich ist die Zuständigkeit nicht eindeutig geregelt. Sachlich nachvollziehbarer wäre wohl die Federführung beim Hafen- und Schleusenbetreiber. Warum es die Stadt macht? Das angespannte Verhältnis zwischen Stadtwerke-Chef Claus-Peter Horst und der durch Noch-Bürgermeisterin Beatrix Kuhl könnte ein Aspekt sein. Vielleicht hätte einiges besser laufen können, wenn die Stadtwerke die Verantwortung gehabt hätten. Wahrscheinlich ist das aus zwei Gründen eher nicht. Bei dem Projekt saßen zu jeder Zeit die Experten der Stadtwerke beratend mit am Tisch – und der größere Teil der Kostensteigerung basiert nicht auf Fehlern, sondern auf gestiegenen Marktpreisen und höherem Sanierungsbedarf.

Holger HartwigKolumne: Die Kostenfalle