KOLUMNE – Leer gegen Jemgum: Duell um „Dreckwasser“ und die Folgen

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Abwasserentsorgung gehört zu den kommunalen Pflichtaufgaben. Meist wird das Thema ruhig und gelassen behandelt, weil der Entsorgungsauftrag nicht zum Spielball politischer oder wirtschaftlicher Diskussionen werden soll. Das es auch anders geht, zeigen im Moment die Gemeinde Jemgum und die Stadtwerke Leer AöR.

Was ist passiert? Die Gemeinde Jemgum nutzt seit 1994 die Stadtwerke der Kreisstadt, um ihr Abwasser zu entsorgen. Nun haben die Stadtwerke den Abnahmevertrag zu Ende 2024 ihrerseits gekündigt. Es wird hinter den Kulissen mit den Säbeln gerasselt, es werden Alternativen geprüft – Ergebnis offen. Öffentlich halten sich alle Beteiligten zurück – ein noch laufendes „Verfahren“ und man will das nachbarschaftliche Verhältnis nicht belasten.

Um zu verstehen, was hinter dem drohenden Vertragsende stecken könnte, ist der Blick in die „Abwasserlogik“ und in die kommunale Daseinsvorsorge erforderlich. Natürlich geht es bei der Kündigung ums Geld. Aber nicht um den Preis, den die Gemeinde für die Entsorgung zahlen muss, sondern dem Vernehmen nach um – ja Sie lesen richtig – die Qualität des Abwassers. Abwasser ist nicht gleich Abwasser – und das, was bisher aus Jemgum nach Leer gepumpt wird, erfüllt nicht mehr die „Qualitätsansprüche“ – sprich Grenzwerte – der Leeraner. Die Leeraner sind, so ist hinter den Kulissen zu vernehmen, zu dem Ergebnis gekommen, dass das Wasser aus Jemgum zu schädlich für die Entsorgungsanlagen der Stadtwerke ist und dadurch zu hohe Folgekosten verursacht. Sie müssen Belastungen von den Stadtwerken fernhalten – schließlich ist ihr vorrangiger Auftrag, das wirtschaftlich Optimale für die Leeranerinnen und Leeraner herauszuholen. Selbst der „Verlust“ des – Entschuldigung – „beschissenen Dreckwassers“ von rund 3.500 Jemgumer Einwohnern ist wirtschaftlich attraktiver, als die jetzige Lösung, da die Bearbeitung im Verhältnis nicht zu einer deutlichen Senkung der allgemeinen Betriebskosten je Kubikmeter sorgt. Wenn Jemgum nicht mehr „anliefert“, werde es für die Bürger der Stadt allenfalls nur geringe Auswirkungen auf die Gebühren Leer haben, so heißt es.

Das Thema der Dreckwasser-Qualität gärt seit einigen Jahren. Eine Lösung zu finden und die Forderungen der Leeraner auf mehr Reinheit zu erfüllen, ist auf Jemgumer Seite mit Investitionen verbunden. Das stellt die Kommune in einer Zeit, in der die Entwicklung der Gewerbesteuer nicht so rosig ist, vor eine große Aufgabe. Auch deshalb, weil – Stand jetzt – der Kubikmeter Abwasser bald 4,88 Euro (!) in der Rheiderland-Kommune kosten soll. Darin sind nicht nur die Kosten für Leer (die sollen marktüblich sein) enthalten, sondern auch Ausgaben für Druckleitungen bis zum Übergabepunkt und Personalaufwand. Zum Vergleich: In Leer zahlen die Bürger ab 2022 3,17 Euro je Kubikmeter. Damit liegt die Kreisstadt im Vergleich zu anderen Kommunen eher im unteren Mittelfeld.

Wie es weitergeht? Es wird bis Ende 2024 noch viel Wasser nach Leer fließen und alle Beteiligten können für sich Lösungen finden. Sachliche – und keineswegs politische Lösungen mit Schuldzuweisungen, denn jede Kommune ist letztlich für sich selbst verantwortlich und sich selbst am nächsten. Auch Fachanwälte, die wohl die Rechtslage prüfen sollen, werden daran nichts ändern.

Soviel steht wohl fest: Leer wird Wasser aus Jemgum ab 2025 nur noch dann annehmen, wenn es die „Qualität“ hat, die auch für jeden anderen Kunden aus der Wirtschaft in Leer als Voraussetzung gilt. Alternativen werden geprüft. Bis Februar 2022 wollen für die Gemeinde Jemgum zwei interessierte Unternehmen ihre Konzepte vorlegen, hat Jemgums Bürgermeister Hans-Peter Heikens öffentlich erklärt. Fest steht auch, dass die Leeranerinnen und Leeraner die Entwicklung mit Gelassenheit betrachten können. Entscheidet sich Jemgum, selbst Lösungen zu finden, werden sich die Gebühren kaum verändern.

Auf die kleine Rheiderland-Gemeinde warten hingegen spannende Diskussionen, für die Verantwortung nicht allein bei den aktuell Agierenden zu sehen ist. Sie müssen Lösungen finden für das, was jahrelang liegen geblieben ist. So, wie es in Leer auch bis zur Gründung der Stadtwerke AöR war, als die Einnahmen aus den Abwassergebühren auch nicht konsequent für die Instandhaltung der Netze verwandt wurde, sondern im Haushalt der Stadt „versickerten“. Der Investitionsstau musste über Jahre reduziert werden. Denn politisch war bzw. ist es halt in vielen Kommunen immer noch gerne der Fall, dass beispielsweise ein neues Feuerwehrhaus gebaut wird, statt die Gebühren für einen „Dreckwasser-Kanal“ unter der Erde zu verwenden. Auch wenn gesetzlich – eigentlich – festgelegt ist, das diese Gebühren nur zweckgebunden verwendet werden dürfen.

Foto: Stadtwerke Leer AöR

Holger HartwigKOLUMNE – Leer gegen Jemgum: Duell um „Dreckwasser“ und die Folgen