Konzertkritik: Innere und musikalische Übereinstimmung grenzt an Wunder

Artikel teilen

Klavierabend des Duo Lucas & Arthur Jussen in Leer im Theater an der Blinke – Neue Kooperation mit VJK

Von Barbara Fischer*

Eigentlich war es ein ganz normales Programm für einen Klavierabend. Am Donnerstag (5. Mai 2022) gab es als coronabedingten Nachholtermin in der Konzertreihe des Vereins junger Kaufleute ein Rezital, für welches der Verein das Duo Lucas & Arthur Jussen verpflichtet hatte, ein hochdekoriertes, junges Brüderpaar aus den Niederlanden.

Mit Mozart, Chopin, Ravel, Schostakowitsch und Rachmaninoff fanden sich zu erwartende Komponisten, das Besondere indes lag im Kleingedruckten. Dort war der Zusatz „zu vier Händen“, bzw. „für zwei Klavier“ zu lesen, und damit versprach der Abend nicht nur seltener gehörte Werke, sondern auch gesteigerte Optik: zwei Konzertflügel stellen eine schiere Masse Instrument dar. Doch ebenso faszinierend war es, zwei Menschen zu erleben, die seit ihrer Kindheit viel Zeit gemeinsam am Flügel verbracht haben. Wer so lange miteinander spielt und spielend musiziert, trifft sich spielend und musizierend auf einer anderen Ebene. Dort werden eigene Geschichten ersonnen, andere erzählt, weitergesponnen, dazu Informationen ausgetauscht, deren Übermittlungswege der Zuhörer nur erahnen kann.

Nach außen hin ist die Körpersprache der Brüder zwar individuell, doch sehr ähnlich und trifft sich an musikalisch exponierten Stellen zu einer gemeinsamen Haltung. Weitaus stärker aber ist der innere Zusammenhalt, der eine nonverbale, und, so scheint es, telepathische Kommunikation ermöglicht. Die innere und musikalische Übereinstimmung grenzt an ein Wunder; Technik und Timing sind perfekt. Nehmen und Geben, Frage und Antwort, Entwurf und Fortführung, die Anschlagskultur greifen makellos ineinander. Kein Wunder, dass es schon zur Pause Jubel, Trampeln, Pfiffe und Bravorufe aus dem Publikum gab.

Und doch mochte sich bei aller Faszination und ehrlicher Bewunderung nicht das rechte Glücksgefühl einstellen. Lag es an der Werkauswahl? Mozarts C-Dur-Sonate zu vier Händen war ein hübscher Einstieg, der werkbedingt gewisse Längen aufwies, die auch pianistische Delikatesse nicht aufzufangen vermochte. Chopins Rondo, ebenfalls in C, mit teils amüsanten Passagen, wies in seiner dramatisch lebhafteren Gestaltung in die Zukunft der Klaviermusik. Dann ging es Schlag auf Schlag: „La Valse“ von Ravel, Concertino op. 94 von Schostakowitsch, Suite Nr. 2 von Rachmaninoff. Diese Werke sind inhaltlich in ihrer Thematik, der zeitweisen Schroffheit und tonalen wie akustischen Aggressivität und Wucht nicht ohne den Bezug zu ihrer Entstehungszeit zu verstehen; Gesellschaftsbilder und musikalische Zeitzeugnisse sind es, die von den Brüdern Jussen ebenso virtuos wie musikalisch-rhetorisch ausgefeilt und dramatisch dargestellt wurden.

Ein mentaler Ruhepunkt als Intermezzo (wie die zweite Zugabe von Bach: „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“ in einer Bearbeitung von Kurtág) aber hätte sicher geholfen, dem Abend eine intimere Note zu verleihen.

* Hinweis: Diese Konzertkritik wird auf Hartwig am Sonntag veröffentlicht in Kooperation mit dem Verein Junger Kaufleute. Informationen zu dem Verein und zum Programm der Saison 2022/2023 unter www.vjk-leer.de

Holger HartwigKonzertkritik: Innere und musikalische Übereinstimmung grenzt an Wunder