Kommune, Kirchen, Banken und Unternehmen investieren gemeinsam im Emsland*
LINGEN Der „Lingener Weg“ ist auf Erfolgskurs. Die Wohnungen in den Neubauten sind seit vielen Wochen bezogen, weitere Projekte in Planung. Das Besondere: Hinter dem Projekt steckt eine deutschlandweit einmalige Partnerschaft aus Kommune, Kirchen, Banken und Unternehmen, die 2017 die LWB – Lingener Wohnbau eG als Genossenschaft gründeten.
Das einzige Ziel des „Lingener Weges“ ist die Schaffung von mehr bezahlbaren Wohnraum in der größten Stadt im Emsland. Dabei gelang es, dass Akteure mit gesellschaftlicher Verantwortung gemeinsam anpacken. Gründungsmitglieder der Genossenschaft sind die Stadt Lingen (Ems), das Christophorus-Werk Lingen e.V., die St. Bonifatius-Hospitalgesellschaft, die Volksbank Lingen eG, die kath. Kirchengemeinde St. Bonifatius, die ev.-luth. Johanneskirchengemeinde und Mitglieder der im Stadtrat vertretenen Fraktionen. Sie statteten die Genossenschaft mit Anteilen im Wert von mehr als 1,1 Millionen Euro aus. Damit wurden die Gründungskosten sowie die Übernahme von etwa 100 städtischen Wohnungen finanziert. „Heute hat die Genossenschaft bereits fast 400 Mitglieder, darunter nicht nur die Bewohner der Wohnungen, sondern auch weitere Unternehmen und institutionelle Anleger aus der Region“, freut sich Monika Schwegmann, Stadtkämmerin und auch Vorstand der neuen Genossenschaft.
Erster Neubau mit 74 Wohnungen
Zu den Motiven, warum sich die ungewöhnliche Partnerschaft aus Staat, Kirche und Wirtschaft ergeben hat, sagt Stadtbaurat und LWB-Vorstand Lothar Schreinemacher: „Wir als Stadt hatten ein Wohnraumentwicklungskonzept erstellt und dabei zeigte sich ein sehr großer Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Lingen wächst seit zehn Jahren kontinuierlich und es war unser Ziel, Wohnraum mit einem gesamtgesellschaftlichen Ansatz zu schaffen. Zumal bei vielen anderen Wohnungen in den kommenden Jahren die Bindungen auslaufen.“ Durch die Kapitalausstattung sei die Genossenschaft umgehend handlungsfähig geworden „und wir haben uns sehr zügig an den Bau der ersten 74 Wohnungen gemacht. Schon während der Bauphase habe sich gezeigt, dass die Nachfrage enorm ist. „Wir konnten alle Wohnungen, die ausschließlich sozialverträgliche Mieten haben, zügig vermieten“, so der Stadtbaurat. Es habe sich gezeigt, dass – anders als erwartet – die Wohnungen für 2 Personen am schwierigsten zu vermieten waren, während die Angebote für Familien, Einzelpersonen mit Kindern und Einzelpersonen stärker nachgefragt waren. „Das war eine Lernkurve, die wir bei dem jetzt in der Planung befindlichen Neubau von etwa 30 Wohnungen, der im Frühjahr 2022 starten soll, berücksichtigen.“
Stadt behält dauerhaft Einflussmöglichkeit
Das Konzept der Genossenschaft ist aus Sicht Schreinemachers voll aufgegangen. „Wir haben im Vorfeld umfassend alle möglichen Rechtsformen geprüft und uns schlussendlich bewusst für eine Genossenschaft entschieden. Hierzu hat es einen nahezu einstimmigen Beschluss des Rates gegeben. „Über die Satzung regeln wir, dass der Oberbürgermeister der Stadt geborenes Mitglied im Aufsichtsrat ist. So sichern wir dauerhaft die Einflussmöglichkeiten der Stadt beispielsweise auch nach dem Auslaufen von Fördergeldbindungen. Gleichzeitig ist es uns gelungen, andere wichtige Akteure der Stadt langfristig in dieses Projekt einzubinden.“
Lingener Bürger und Unternehmen kaufen Anteile
Schreinemacher freut sich besonders, dass sich die LWB nicht zu einem „closed shop“ von Wenigen entwickelt hat. „Natürlich sind die Wohnungsnutzer Mitglied geworden. Aber: Weitere Lingener Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen sind teilweise mit bis zu 200.000 Euro beigetreten.“ In diesem Jahr – so ist es vorgesehen – sollen die Mitglieder auch, so wie es bei Genossenschaften üblich ist, eine einprozentige Dividende auf ihren Anteil erhalten. Schwegmann – sie arbeitet als Kämmerin der Stadt wie Schreinemacher ehrenamtlich – ergänzt: „Es ist allen Mitgliedern klar, dass es sich bei der Genossenschaft nicht um ein Finanzprodukt handelt, sondern wir wollen mit der LWB langfristig eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe erfüllen und uns der sozialen Verantwortung stellen “. Deshalb könnten die Mitglieder ihre Anteile auch nur mit einer Frist von fünf Jahren kündigen. Bei Nutzern, die die Wohnungen bewohnen, sehe das anders aus. „Sie zeichnen zusätzliche Anteile in Höhe einer normalen Mietkaution und bekommen das Geld im Falle einer Kündigung mit einer kurzen Frist zurück.“
Kostenoptimierung ermöglicht Kaltmiete von 5,60 Euro
Schreinemacher und Schwegmann sind optimistisch, dass die Genossenschaft in den kommenden Jahren konsequent Neubauten realisieren wird. „Bei unserem ersten Vorhaben waren fast 12,5 Millionen Euro an Kosten geplant. Es ist uns gelungen, um eine Million Euro günstiger zu bauen“, freuen sich beide. Hintergrund sei die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Projektsteuerer gewesen. „Dieser Umstand und die Tatsache, dass wir die neuen Mitglieder gewinnen konnten, geben uns die wirtschaftliche Kraft, weiter zu investieren.“ Denn: Die Kaltmiete in den Neubauten liegt pro Quadratmeter bei 5,60 Euro. Das sei auch deshalb möglich, weil die Verwaltung und Organisation der Bestände durch den Eigenbetrieb Zentrale Gebäudewirtschaft (ZGW) der Stadt mit einem Objektmanagementvertrag wahrgenommen wird. Schreinemacher: „Das zeigt, dass auch hier vernetzt und kostenoptimiert gedacht und gearbeitet wird.“ Zudem sei vorgesehen, die jetzt geplanten Neubauten in der Nähe des fertig gestellten Projektes zu bauen.
Nach Worten Schreinemachers betrachtet die Stadt ihr Engagement – neben der Entlastung des Wohnungsmarktes – auch als aktive Wirtschaftsförderung. „Bezahlbares Wohnen wird in Zeiten des Fachkräftemangels ein wesentlicher Faktor werden“, so Schreinemacher. Schon heute liege die Zahl der Arbeitssuchenden im südlichen Emsland nach der Statistik der Agentur für Arbeit bei unter zwei Prozent. Ein wichtiger Faktor sei zudem, dass vor vielen Jahren in der Stadt eine Hochschule angesiedelt wurde. „Das und andere Faktoren sorgen dafür, dass wir hier mitten im Emsland seit 2011 etwa 4.000 neue Einwohner bekommen haben.“
Konzept interessiert Kommunen aus ganz Deutschland
Für das Vorstandsduo steht fünf Jahre nach Gründung fest: „Alle Beteiligten agieren pragmatisch und zielgerichtet. Die LWB – Lingener Wohnbau eG ist so zu einem Erfolgsmodell geworden.“ Ein Modell, das erste Nachahmer findet. „Viele vor allem kleinere und mittlere Kommunen aus dem gesamten Bundesgebiet interessieren sich für unsere Lösung. Das Wichtigste ist, dass es einen Motor gibt, der ein solches Projekt vorantreibt. Dann ist mit dem richtigen Mix aus Partnern viel möglich.“
* Diesen Bericht hat der Autor im August 2021 erstmals im Fachmagazin „ivv – Immobilien vermieten & verwalten“ der HUSS-Verlagsgruppe Berlin-München veröffentlicht.
Foto: www.lwb-lingener-wohnbau.de