Über die Papenburger Meyer-Werft wird in diesen Tagen viel berichtet. Die Berichterstattungen schreiben von Entlassungen von bis zu 1.800 Mitarbeitern aus der Kernbelegschaft. Klar, dass da die festangestellten Meyer-Leute auf die Straße gehen. Und in Corona-Zeiten haben sie sich „erdreistet“, bei der Familie Meyer in Papenburg mit Autos und Hupkonzert vorzufahren. Die Reaktionen aus der Politik sind so, wie sie immer sind. Es wird zur Besonnenheit aufgerufen. Betriebsrat um deren Chef Nico Bloem, die IG-Metall mit Thomas Gelder sowie die Meyer-Chefetage mit Jan Meyer und Seniorchef Bernard Meyer sollen an den Verhandlungstisch zurückkehren. Dieses Mal sind allerdings auch zwei „Romantiker“ dabei: der emsländische Landrat Marc-André Burgdorf und Papenburgs Bürgermeister Jan Peter Bechtluft. Sie verurteilen die Auto-Demo vor den Privathäusern der Familien Meyer „als Grenzüberschreitung der Demo-Teilnehmer“. Eine rote Linie sei überschritten worden. Dann folgt der Hinweis auf die Tarifautonomie. Ganz ehrlich: Wenn ich Angst um die Zukunft meiner Familie hätte, würde ich das (vielleicht) auch so machen.
WARUM?
Mit Blick auf die Meyer-Werft lässt sich feststellen:
- Die Zeiten, in denen die Werft ein exzellent geführter FAMILIEN-Betrieb war, sind vorbei. Es ist noch gar nicht jahrzehntelang her, dass Seniorchef Bernard Meyer durch die Hallen lief und jeder Mitarbeitende wusste, „Ich sprech‘ mal meine Sorgen an. Er hilft mir“. Und Meyer half. Gerne und aus Überzeugung. Meyer wusste und weiß bis heute, was er an seinen Mitarbeitenden hatte. Doch die Zeiten änderten sich. Die Werft ist heute ein internationaler Konzern. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Luxemburg-Diskussion 2015, als der Mutterkonzern in das Nachbarland verlagert wurde.
- Die Zeiten (wenn es sie denn überhaupt einmal gab), in denen die Werft allein schon wegen mit ihrer Schiffbaukunst und Cleverness die Aufträge ins nördliche Emsland holte, sind ebenfalls lange vorbei. Knallharter Konkurrenzkampf um Aufträge im Wettstreit mit staatlichen Unternehmen vor allem aus Asien ist angesagt. Senior Bernard Meyer sprach schon vor Corona von einem „Tsunami“, der da auf die Branche zurollt. Kurzum: Bei aller fachlicher und unbestrittener Expertise in Papenburg muss vor allem auch der Preis für die Luxusliner stimmen.
- Die Zeiten, in denen die Kosten für eine Arbeitsstunde auf Basis deutscher Gesetze und Tarifverträge mit den Stundenlöhnen aus Osteuropa oder darüber hinaus nur im Ansatz wettbewerbsfähig waren, hat es nie gegeben und gibt es auch heute nicht. Warum hat die Werft wohl Fremdarbeiter in großem Stil im Einsatz? Weil das bessere Qualität bringt? Nein, es ist billiger – pardon preiswerter. Und diese geringeren Kosten machen die Werft international wettbewerbsfähig. Übrigens macht das nicht nur die Werft so 😉
- Die Zeiten, in denen Klartext geredet wurde, sind offenbar vorbei. Nehmen wir einmal an, die Werft würde alle Arbeiten in Papenburg durch die (besser bezahlten) über 3.000 Stammmitarbeiter machen lassen und die Fremdarbeiter aus Litauen, Bulgarien, Türkei, Polen oder von sonstwo in ihre Heimat schicken. Dann wäre klar: Die Schiffe, die Papenburg verlassen, sind ein Minusgeschäft. Ganz unabhängig von dem Umstand, dass für den Einbruch der Auftragslage gesorgt hat. Die Werft wäre dann auch nach der Pandemie und bei anziehender Auftragslage schwer überlebensfähig. Das kann die Familie Meyer, die vielen Mitarbeiter, die Politik und die gesamte Region nicht wirklich wollen. Also soll verhandelt werden, wie viele Mitarbeiter der Stammbelegschaft gehen müssen.
- Die Zeiten, in denen wir sind, sind besondere Zeiten. Corona sorgt dafür, dass Vater Staat Milliarden in die Wirtschaft und Unternehmen pumpen muss, damit der Laden halbwegs am Laufen bleibt. Kurzarbeitergeld ist nur ein Beispiel. Das ist auch gut so. Allerdings: Schauen wir mal auf ein Beispiel aus der Automobilindustrie. Da sind bei BMW die Bundesverdienstkreuzträgerin Johanna Quandt die Industriellenfamilie Quandt/Klatten mit etwa 46 Prozent die größten Anteilseigner. Und was haben die gemacht? Während die Mitarbeiter staatliches Kurzarbeitergeld bekommen, wurden dort die Familien knapp 800 Mio. Euro Rendite für das Jahr 2019 gezahlt. Kurzum: Durch die Corona-Krise hilft Vater Staat, die vorher verdiente „Kohle“ wird „privatisiert“. Auch wenn die Summme, die bei Meyers auf den Privatkonten landet keiner kenn (sie haben es mehr als verdient, gut von der Werft zu leben): So etwas in solchen Größenordnungen ist für die Meyers undenkbar. An erster Stelle – das dürfte Bernard Meyer auch an seine Söhne Tim und Jan als DNA der Familie weitergegeben haben – immer die Werft. Die gehört seit Gründung zur Familie dazu.
- Die Zeiten, in denen die Familie an erster Stelle steht, sind auch in Deutschland nicht vorbei. Bevor der Nachbar oder jemand anders unterstützt wird, kommt erst einmal die Familie dran. Da stellt sich doch eine Frage: Warum sollen „Familienmitglieder“ (Werftmitarbeiter) nach Hause geschickt werden, während Fremde bleiben sollen? Ganz einfach. Siehe Punkte 1 bis 5.
Machen wir uns nichts vor. Aktuell wird in Deutschland teilweise Geld für Kurzarbeit ausgegeben, ohne die Unternehmern (Aktionäre) mit in die Verantwortung zu nehmen. Aktuell wird wegen Tarifautonomie etc. in Kauf genommen, dass Menschen ihre Existenz verlieren, weil ihre Arbeit zu teuer ist im Vergleich zum Billig-Stundenlöhner. Es wird in Kauf genommen, dass langjährige Steuerzahler zu Transfergeld-Empfängern werden, damit – in diesem Fall eine Werft – konkurrenzfähig bleibt. Und natürlich richtet sich – wie immer – der Groll (pardon das Autohupen) gegen diejenigen, die für die schlechten auf den ersten Blick verantwortlich gemacht werden.
Nun, die Werft hat immer Wert darauf gelegt, dass sie – die Kosten für die Maßnahmen an der Ems etc. mal außen vor gelassen – ohne Subventionen Schiffe baut. Hat ja auch exzellent funktioniert und das verdient absolute Anerkennung.
Und nun? Liebe Verantwortlichen – sei es in der Politik, in den Gewerkschaftsbüros, im Betriebsrat oder sonst wo – reißt Euch zusammen. Jeder weiß, wie die Situation ist. Jeder weiß, dass es die Billig-Stundenlöhner sind, die Deutschland in vielen Branchen international wettbewerbsfähig halten. Es kann doch nicht sein, dass – um beim Bild zu bleiben – Fremde ihren Job behalten und als Konsequenz der Staat Transfergelder für „Familienmitglieder“ zahlt, Übergangsfirmen gründet etc.
Es hilft niemandem, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Werftleitung versucht ja bereits, möglichst den Spagat zu schaffen und einen Teil der „Festen“ Arbeiten übernehmen zu lassen (es ist von einem Plus von 14 Prozent die Rede). Mehr geht wohl wirtschaftlich bedingt nicht. Das Einzige, was jetzt gegen Hupkonzerte etc. hilft, ist, dass die festangestellten Werftmitarbeiter das Gefühl zurückbekommen, dass sie zur Familie gehören, dass sie an erster Stelle steht. Jeder dieser „Familienmitglieder“ hat längst begriffen, dass es für die Werft schwere Jahre werden, die anstehen. Jedes dieser „Familienmitglieder“ weiß auch, dass es am Ende nicht vollständig ohne betriebsbedingte Kündigungen gehen wird, wenn dauerhaft weniger Schiffe in Papenburg gebaut werden. Jedes dieser „Familienmitglieder“ wird alles tun, um durch die schwere Zeit zu kommen.
Im Klartext: Wie das Geld, das notwendig ist (bei BMW hätten es ja die Familienaktionäre, bei Meyer wohl nicht), damit eine Stunde Arbeit eines Festangestellten (Familienmitglieds) nicht mehr kostet als eine Stunde eines Fremdarbeiters, politisch und EU-konform zu verpacken ist – dafür wird es ja wohl eine Lösung geben. Dafür bedarf es wohl eines erfahrenen externen „Strippenziehers“, der nicht nur gut vernetzt ist, sich in der Politik und Wirtschaft auskennt und auch mit allen Wassen gewaschen ist. Als Journalist weiß ich: Schlage niemals jemanden für eine solche Aufgabe vor – dann wird der/die es eh nicht. Ich mache das trotzdem: Jemand wie Sigmar Gabriel wäre geeignet. Er kennt die Werft, er hat Erfahrung, er hat Netzwerke. Vielleicht auch im Duo mit jemandem aus der CDU, damit nicht gleich wieder Ressentiments auftauchen.
Ich bin mir sicher – ob in den Niederlanden, in Spanien, in Italien oder anderswo auf dieser Welt: Überall würde man eine politische und wirtschaftliche Lösung für die „Familienmitglieder“ finden. Auch in Berlin, Hannover und im Emsland bzw. Ostfriesland?
Wenn ja, dann wird wieder gehupt – aus Freude.
PS: Kommentare, Hinweise etc. gerne an hh@hartwig-am-sonntag.de. Und dabei gilt die wichtigste Journalistenregel: Ein guter Redakteur weiß alles, aber niemals woher 😉
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