Bis Anfang 2019 gab es große Pläne für das Ostermeedland in Leer. Investor Dieter Baumann (Moormerland) wollte in dem Gebiet zwischen Südring, Osseweg, Leda und der Bahnstrecke für bis zu 1.000 Menschen ein neues Zuhause ermöglichen. Die Pläne für das Wohngebiet scheiterten – nicht zuletzt, weil das Areal im Flächennutzungsplan als Hafenentwicklungsfläche ausgewiesen ist und die Bodenverhältnisse als schwierig gelten. Nun kommt es ganz anders:
Das Land Niedersachsen hat sich 28,5 Hektar „unter den Nagel“ gerissen. Noch sind die Planungen nicht abgeschlossen. Es läuft darauf hinaus, dass das Areal statt als Wohnraum oder Gewerbefläche als Polderfläche (Retentionsfläche) für den Hochwasserschutz genutzt wird.
Baugebiet scheitert nach fünf Jahren
Zunächst ein Blick zurück: Investor Baumann plante vor etwa fünf Jahre ein neues Stadtviertel mit 300 Bauplätzen. Die Gespräche mit der Stadt verliefen zunächst positiv. Im Frühjahr 2019 wurde das Projekt nach teils heftigen politischen Diskussionen zu den Akten gelegt. Das Verfahren der Aufstellung eines neuen Bebauungsplanes wurde beendet. Gründe dafür gab es – je nach Blickwinkel – viele. Einer war, dass sich die Stadt in ihrem Raumordnungsprogramm auf die Priorisierung von Bahn und Hafenbetrieben in diesem Areal festgelegt hat.
NLWKN: Poldervolumen noch nicht erreicht
Nun, zwei Jahre später, sieht es danach aus, dass weder Wohnungen noch Hafengewerbe angesiedelt werden. Carsten Lippe, Pressesprecher des Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), bestätigte auf Anfrage den Kauf der Fläche. Mit dem Ankauf werde eine Vorsorgemaßnahme getroffen, um „im Gebiet des Leda-Jümme Verbandes bei unvorhergesehenen Entwicklungen eine nachhaltige Maßnahme zum Hochwasserschutz ergreifen zu können“. Hintergrund sei die besondere Hochwasserempfindlichkeit, der das Niederungsgebiet des Leda-Jümme-Verbandes unterliegt. Lippe: „Das im Generalplan für den Hochwasserschutz empfohlene Retentionsvolumen ist derzeit noch nicht erreicht. Ziel ist es deshalb, vorhandene Retentionsräume zu schützen und – wenn möglich – zusätzliche Retentionsräume zu schaffen.“ Durch neue Polderflächen könnten zudem neue wertvolle naturnahe Lebensräume entstehen.
Land stellt sich anderen Entwicklungen nicht entgegen
Lippe erklärte, dass die Stadt Leer im Zuge des Ankaufs – zu welchem Preis, dazu wollte das NLWKN keine Angaben machen – beteiligt gewesen sei. „Die weitere Verwendung der Flächen kann und wird selbstverständlich nur in Abstimmung mit der Stadt erfolgen.“ Für die Verbesserung des Hochwasserschutzes sei konkret der Leda-Jümme-Verband zuständig. Er müsse die weitere Entwicklung mit der Stadt und dem Landkreis Leer abstimmen. Das Land Niedersachsen unterstützte in beratender und – wie mit dem Kauf dieser Fläche – vorsorgender Funktion. Lippe ließ eine Tür für eine anderweitige Nutzung der angekauften Flächen offen. „Wenn sich herausstellt, dass die Fläche konkret für andere Zwecke als dem Hochwasserschutz entwickelt werden soll, wird sich das Land Niedersachsen dem nicht entgegenstellen.“
Stadt: Nicht eingebunden und keine Anfrage
Und was sagt die Stadt zu dem Umstand, dass das Land Flächen gekauft hat? War sie bei den Überlegungen des Landes eingebunden? Dazu erklärte Bürgermeisterin Beatrix Kuhl (CDU) auf Anfrage: „Die Stadt Leer ist bei den Kaufabsichten des Landes von privaten Flächen innerhalb des Stadtgebietes im Vorfeld nicht eingebunden worden.“ Eine „Beteiligung“ fand lediglich im Rahmen des gesetzlichen vorgeschriebenen Verfahrens zur Erstellung einer Vorkaufrechtsverzichtserklärung statt. Dieses Vorkaufsrecht sei nicht ausgeübt worden, „da in diesem Fall die (planungsrechtlichen) Voraussetzungen für eine Ausübung nicht vorliegen und der Stadt Leer ein Vorkaufsrecht nach den gesetzlichen Regelungen nicht zu stand“. Und weiter heißt es zu den Absichten des NLWKN: „Bisher ist ein Vorhaben für die Anlegung eines Tidepolders bei der Stadt nicht beantragt bzw. eingereicht worden.“ Wenn diese Flächen einer anderen Nutzung, z.B. als Tidepolder/Polderfläche, zugeführt werden sollten, müsse ein entsprechender Antrag mit Gutachten und Nachweisen gestellt werden, so dass hierüber dann im Rahmen eines möglichen Planfeststellungsverfahrens (bzw. Baugenehmigungsverfahrens) mit Öffentlichkeitsbeteiligung entschieden werde.
Kuhl: Keine Überlegungen für Nutzung der Fläche
Kuhl stellte heraus, dass es für die vom NLWKN erworbenen Fläche derzeit keine weiteren Nutzungsüberlegungen seitens der Stadt gibt. Die Fläche sei als Sondergebiet für eine hafenabhängige Industriebetriebe dargestellt und werde seit Jahrzehnten landwirtschaftlich genutzt. Weiter schreibt die Rathauschefin: „Auf Grund der gesammelten Erfahrungen im Rahmen der Bauleitplanung für das Baugebiet Ostermeedland hat sich auf der Grundlage der Ergebnisse der beauftragten Gutachten – Lärm, Entwässerung, Erschließung, Boden, Geologie, Natur- und Landschaft, …- herausgestellt, dass für dieses Gebiet eine Erschließung und Nutzung nur mit sehr hohem technischen und kostenintensiven Aufwand möglich ist.“
Stadt hat Bedenken gegen Poldernutzung
Auf die Frage, inwieweit die Politik sich ansonsten mit einer Nutzung der Flächen als Polder beschäftigt habe, erklärte die Christdemokratin: „Die politischen Gremien der Stadt Leer sind über die Planungsüberlegungen einer Tidepoldernutzung im Vorfeld auf Grund eines internen Informationsgespräches mit dem NLWKN informiert worden. Dieses Thema wurde daraufhin politisch kontrovers in Stadt und Landkreis Leer diskutiert und die klare Ansage der städtischen Politik als politischer Wille an die Verwaltung ist eine kritische Haltung gegenüber der Nutzung als Tidepolder im Stadtgebiet einzunehmen und auch zu vertreten.“ Von daher hätten der Landkreis Leer sowie die Stadt Leer kritische Bedenken gegen die geplanten Polderflächen (Tidepolder) geäußert.
Klicken Sie hier, um die Antworten des NLWKN und der Stadt Leer auf die gestellten Fragen im vollen Wortlaut zu lesen.
DIE MEINUNG von Holger Hartwig
Gut verhandeln
Innerhalb von zwei Jahren vom geplanten Wohngebiet zur Polderfläche – das kommt selten vor. Die Absicht des Landes ist klar – entschieden ist hingegen noch nichts. Und das ist auch gut so. Denn selbst, wenn die Stadt aktuell keine Pläne für den Bereich Ostermeedland hat, sollte genau überlegt werden, ob diese Fläche für eine Nutzung durch das Land „freigegeben“ wird. Warum? Mehrere Gründe sind denkbar.
Wenn es der Stadt – neben Geld – an einem fehlt, dann sind es Flächen, die entwickelt werden können, oder als Ausgleichsflächen oder Tauschflächen bei Grundstücksankäufen dienen könnten. Hier ist das Ostermeedland – wenn das Land nicht den Kaufpreis in die Höhe getrieben hat – für die Stadt eine Option, um selbst über diese Flächen verfügen zu können.
Was noch nachdenklich macht, sind die Ausführungen der Bürgermeisterin, dass sich Stadt und Kreis im Vorfeld gegen eine geplante Poldernutzung durch das NLWKN ausgesprochen haben, das Land diese Fläche aber dennoch gekauft hat. Kurzum: Da besteht (politischer) Gesprächs- und Handlungsbedarf. Eines ist klar: Das Land braucht das Wohlwollen der Stadt. Deshalb sollte das Ziel sein, dass für eine Zustimmung etwas für die Stadt „herausspringt“. Eine Hand wäscht die andere, gilt halt auch in der Politik. Projekte, bei denen Fördergelder gut gebraucht werden könnten (z.B. Brückensanierungen, Hafenmodernisierungen), gibt es in Leer genug. Für eine gute Verhandlungsposition braucht die Verwaltung den politischen Rückhalt aller Ratsfraktionen. Seien wir gespannt, was aus und mit den Polderplänen wird.
Kommentar von Heinz-Otto Müller, Leer (25.04.2021):
Clevere Politiker nutzen hervorragende Verhandlungsposition
„Das war eine sehr clevere Entscheidung des Landes Niedersachsen. Aufgrund des Emsentwicklungsplanes ist es gezwungen zu handeln (natürlich unter dem Vorwand des Hochwasserschutzes Leda Jümme 😉)
Das bringt die Stadt in eine hervorragende Verhandlungsposition, die clevere Politiker zu nutzen wissen, wie der Kommentar aufzeigt…“
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