Der schimpfende Polizist

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Es ist Herbst 1991. Gegen 21 Uhr fahre ich mit meinem Golf von Wolgast auf die Insel Usedom nach Hause. Vor einem Waldstück haut ein großer 5-er BMW so richtig in die Eisen – vier Wildscheine laufen über die Straße. Sein Antiblockiersystem arbeitet perfekt – meines nicht. Ich habe nämlich keins. Ich stanze mein Nummernschild im Auspuffrohr des BMW. Scherben fliegen, ein satter Schaden. Also muss Polizei her.

Der BMW-Fahrer hat bereits ein Mobiltelefon. Mit einer heute unvorstellbar großen Kiste – darin war die Technik verbaut – gelingt es ihm, die Polizei anzurufen. Wir warten eine halbe Stunde, dann kommt der Wartburg mit Tatütata angefahren. Kaum ausgestiegen, fängt der Polizist an, mit mir zu schimpfen. Was ich mir dabei denken würde, nicht genug Abstand zu halten und einen Unfall zu verursachen um diese Uhrzeit. Ich versuche, ruhig zu bleiben, was schwerfällt. Gerade den Dienstwagen „geschrottet“ und dann vom Polizisten „zur Sau gemacht werden“ – ein toller Feierabend. Nachdem der Ordnungshüter mit seiner ersten Schimpftirade fertig ist, fragt wer, wer ich bin und was ich hier mache. Ich bin ehrlich und sage, dass ich für die Zeitung arbeite. „Dann wissen Sie doch, was los ist!“ Nee, nicht wirklich. Was will er mir damit sagen? Er regt sich weiter auf. Nach einiger Zeit traue ich mich dann, ihn zu fragen, was er denn meint. „Na, Sie bekommen doch täglich den Polizeibericht. Dann wissen Sie doch, dass hier jede Nacht in einem Ort ein Konsum (Anmerkung: das waren die kleinen Dorfläden) ausgeräumt wird. Und während ich mit meinem Kollegen jetzt hier bei Ihnen stehe, räumen die Diebe in aller Ruhe einen Laden aus.“ Ich schaue ihn immer ungläubiger an. Während er sich die Fahrzeugpapiere und den Führerschein geben lässt, redet er sich seinen Frust weiter von der Seele. „Zum einen haben die Diebe schnellere Autos als wir. Das macht es schon mal schwieriger für uns, selbst wenn wir jemanden vor Ort erwischen. Zum zweiten hören die unseren Polizeifunk ab. Und die wissen damit nun ganz genau, dass ich hier stehe und wo die anderen Kollegen gerade sind.“ Und dann wagt er eine Prognose: Jetzt sei wohl heute Abend der Laden im Dorf XY (ich haben den Ort vergessen) auf der Insel dran. Und die Ordnungshüter seien wieder einmal chancenlos…

Der Polizist nimmt dann den Unfall und die Personalien weiter auf und ist zum Ende auch wieder sehr freundlich und zuvorkommend. Mit etwas Hand anlegen ist mein Golf wieder fahrfähig, ab Richtung Werkstatt.

Am nächsten Tag bin ich gespannt auf den Polizeibericht. Er kommt fast immer zur selben Zeit aus dem Faxbericht – und wir achten sehr darauf, dass die Papierrolle des Gerätes immer genug „auf der Rolle“ hat. Denn der Polizeibericht ist Tag für Tag sehr lang. Manchmal kommen so viele Mitteilungen, wie es ich es aus der ostfriesischen Heimat aus für einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen kenne. Und was soll ich sagen? Der schimpfende Polizist von der Unfallstelle hatte Recht behalten. Tatsächlich steht in der Tageszusammenfassung, dass gegen 21.30 Uhr im Ort XY der Konsum leergeräumt wurde.

Für mich bleibt die Erkenntnis: Meine Berufswahl war die bessere. Polizist hätte ich in der Nachwendezeit – da haben sich die ehemaligen Volkspolizisten aus der DDR-Zeit, die „Vopos“, sowieso schon sehr viel anhören müssen – niemals sein wollen.


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