„Es geht voran: Stadt Leer will Bebauungsplan für EWE-Gelände aufstellen“ – diese Schlagzeile wird viele Leeraner Bürger, die die immer mehr verrottenden Häuser an der Ubbo-Emmius-Straße und die brachliegende Fläche dahinter im Blick haben, freuen. Allerdings: Der Beschluss ist „uralt“. Im November wird es zehn Jahre her sein, dass diese Weichen nach Beratungen und Vorstellungen des Landkreises für einen Bildungscampus beschlossen wurden. Passiert ist seitdem nur eines: Der Landkreis dreht sich im Kreis – und das mit einer absurden Begründung. Warum?
Ein Blick zurück ist erforderlich. Unter der Ägide des Landrates Bernhard Bramlage wurde die Idee des Bildungscampus zwischen den Leeraner Gymnasien geboren. Er kaufte das Grundstück und trieb die Planungen voran. Dann übernahm Matthias Groote, ebenfalls SPD. Bis Dezember 2020 passierte nichts. Dann wurde die eigens gegründete Campus GmbH zu den Akten gelegt. Sie sei nicht erforderlich. Zuvor hatte bereits die Kreis-Baudezernentin Jenny Daun der damaligen Bürgermeisterin der Stadt Leer, Beatrix Kuhl, mitgeteilt, dass „die bisherigen Pläne so nicht mehr verfolgt werden sollen“. Der Kreis habe andere Vorstellungen, „da es auch hohe Raumbedarfe beim Landkreis gibt“, so die Stadt Leer damals auf Anfrage. Weiter hieß es: „Wir als Verwaltung bedauern diese Entwicklung, da dieser Bildungscampus sicher eine sinnvolle Weiterentwicklung wäre (…). Ob das Areal weiter als Bildungscampus, für günstigen Wohnraum oder für Lebensmittelhandel in Zukunft angesehen wird, ist Entscheidung der Politik.“ Alles klar. Damit waren der vorhabenbezogene Bebauungsplan – die Stadt hat daran nie gearbeitet, weil aus dem Kreishaus keine Unterlagen geliefert wurde – „beerdigt“.
Nun sollte man meinen, dass der Kreis andere Ideen für das EWE-Gelände entwickelt hat. Ja, so schien es. Medienwirksam ließen sich Groote und der Leeraner Bürgermeister Claus-Peter Horst im Mai 2023 mit einem „Häuschenmodell“ fotografieren, dass ein bisschen wie ein Monopoly-Spiel wirkte. Präsentiert wurden Ergebnisse von vier Workshops zwischen Stadt und Kreis Leer sowie Werkstattgespräche mit der Politik. Konkrete Aussagen gab es nicht. Bildungsorte, Kreismedienzentrum, Wohnungen für Studierende und Gastronomie mit Veranstaltungen bis in den Abend seien wünschenswert. Nichts Genaues also. Fortschritte im baurechtlichen Verfahren, das einige Jahre dauern wird: keine.
Und jetzt? Das Kreishaus lud vor wenigen Tagen zur „Projektphase 0“ für einen Bildungscampus ein. Vertreter der Bildungseinrichtungen sollten ihre Ideen präsentieren. Von einem „Kick-Off“ ist sogar die Rede. Vorgesehen ist nun, so der Kreis auf Anfrage, innerhalb eines Jahres (!) eine Bedarfsplanung und dann innerhalb eines weiteren halben Jahres (!) eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. Im Klartext: Alles, was vorher war, inklusive des Monopoly-Modells, ist auf Null zurückgestellt. Stand jetzt könnte es im Frühjahr 2026 konkret weitergehen – wenn dann die „neuen“ Vorstellungen mit den Wünschen der Leeraner Stadtpolitik zusammenpassen, denn die war nicht zum Workshop eingeladen.
Es stellt sich die Frage: Was unterscheidet die aktuelle Planung im Grundsatz von den Überlegungen von 2014? Dazu die Antwort aus dem Kreishaus: „Das ursprüngliche Nutzungskonzept ist insbesondere wegen der zwischenzeitlichen Schließung der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie hinfällig geworden.“ Im Klartext: Weil jährlich bis zu 75 Studierende, die berufsbegleitend und meist am Wochenende in Räumen der Akademie in Zeitabständen Wissen erlernten, nicht mehr nach Leer kommen, sind alle anderen Überlegungen hinfällig? Wer das glaubt, der wird auch leicht glauben, dass die Erde eine Scheibe ist.
Die Zusammenfassung der 10 Jahre lautet: Erst kommt man nicht in die Pötte, dann will man keinen Campus mehr und lieber Kreisverwaltungsbüros (was die Stadt abgelehnt hat), dann geht man auf Kuschelkurs mit der Stadt, um neue Ideen zu finden – und nun wird alles wieder mit Unterstützung eines Projektbüros unter dem Titel „Bildungscampus“ von vorne begonnen. Fakt ist: Das Grundstück ist dasselbe geblieben, außer dass es nun nach viele Jahren frei von Altlasten ist, die aber kein Hinderungsgrund für Planungen war.
Das EWE-Gelände und die Vorgehensweise der Kreisverwaltung dokumentieren vor allem eines: Die Visions- und Führungslosigkeit sowie fehlende Zielstrebigkeit im Kreishaus in Person des Landrats Groote und seiner Dezernentin Daun. Es wird Zeit, dass sie mehr Verantwortung übernehmen, sich nicht mehr im Kreis drehen und Entscheidungen vorantreiben, statt abzuwarten, ob oder was oder wie wann durch wen passieren könnte. So wie es übrigens Landrat Groote im Kreistag in dieser Woche bei einem anderen Thema, dem Millionengrab Seniorenwohnlage Heisfelde endlich getan hat. Wenn er angesichts des Bedarfs von fast fünf Millionen Euro Kreisgeldern von einer „Lösung“ des Themas spricht, dann könnte er auch „Verkauf“ sagen. Eine öffentlich benannte Erkenntnis, die spät kommt. Aber besser spät als nie. Inwieweit seine Erkenntnis allerdings nur damit zu tun hat, dass weitere Millionen für diese freiwillige Leistung im Klageverfahren einiger Kommunen gegen die Höhe der Kreisumlage für ihn zu einem Debakel führen könnten, ist aktuell sein Geheimnis.
Links zu Berichten über das Thema:
Akademie Campus Leer: Der „heimliche“ Tod eines großen Zukunftsprojektes?
DIE KOLUMNE – Keine Bewegung, keine Ideen: Zukunft des EWE-Geländes wird Geduldsprobe
DIE KOLUMNE – EWE-Campus: Werkstattgespräch oder Alibi-Kaffeerunde?