DIE KOLUMNE – EWE-Campus: Werkstattgespräch oder Alibi-Kaffeerunde?

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Wissen Sie, was ein „Urbanes Gebiet“ ist? Es ist ein Baugebiet, das nach der Baunutzungsverordnung (BauNVO) dem Wohnen sowie der Unterbringung von Gewerbebetrieben sowie sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen dient, die die Wohnnutzung nicht wesentlich stören. Warum das für Leer wichtig ist zu wissen? Dieser Begriff steht für einen „Freifahrtschein“, den die Kreisverwaltung Leer für die nahezu alleinige Gestaltung des ehemaligen EWE-Areals an der Gaswerkstraße inmitten der Ledastadt nach aktuellem Stand von der Stadt Leer „erwünscht“.

Manch´ einer mag von dem Thema des Verrottens der Häuser an der Ubbo-Emmius-Straße nichts mehr lesen wollen. Allerdings: Nach Jahren des Stillstands soll nun endlich richtig Bewegung reinkommen. In der kommenden Woche hat Landrat Matthias Groote (SPD) die Kreispolitiker zu einem „Werkstattgespräch“ eingeladen. Dazu später mehr. Zunächst zurück zu dem „Urbanen Gebiet“. Bereits vor einigen Monaten waren der Landrat und der Bürgermeister der Stadt Leer, Claus-Peter Horst, vor einem Modell zur Zukunft des EWE-Geländes zu sehen. Es erweckte den Eindruck einer Einigkeit, dass die Nutzung der zentralen Fläche nur gemeinsam vorangebracht werden kann. Lange passierte dann (wieder) nichts. Lediglich eine Mitteilung aus dem Kreishaus verwunderte die Stadtverantwortlichen, so ist aus dem Umfeld des Rathauses zu vernehmen. Der Kreis schrieb vor etwa drei Monaten wohl, dass man gerne die planungsrechtliche Zustimmung zu einem Urbanen Gebiet hätte, um die nächsten Schritte gehen zu können. Im Klartext: Das wäre ein Freifahrtschein im Sinne „Stadt Leer stimmt zu, dann machen wir schon das Richtige“. Seitdem gab es jedoch zu diesem Thema überhaupt keine Kommunikation, obwohl auch für den Kreis die Zeit drängen sollte, denn nach Abschluss der Altlastensanierung steht der „Zahltag“ an die EWE für den Grundstückskauf kurz bevor. Dann ist man Eigentümer und alle nachvollziehbaren Gründe, warum jahrelang nichts passiert, sind passée. Na ja, es sei denn, der Kreis zieht noch einen kleinen Joker. Schließlich steht ja noch ein aktiver Polizeifunkmast auf dem Gelände, der noch einige Monate von der EWE vermietet ist. Zeit ist bekanntlich Geld.

Und was hat der Kreis nun, nachdem Landrat Groote den Bildungscampus, anders als vor seiner ersten Wahl im Flyer angekündigt, aufgegeben hat, mit der Fläche vor? Zitieren lässt sich auch dazu niemand. Aber: Es gilt als sicher, dass ein zentrales Ziel der Bau eines neuen Verwaltungshauses ist, durch das die Zahl der angemieteten Flächen für Außenstellen in der gesamten Stadt reduziert und Mietkosten gespart werden sollen.

Nun also das „Werkstattgespräch“, nachdem ein „Arbeitskreis“, den die CDU vorschlug, politisch abgeschmettert wurde. Besteht aber wirklich die Hoffnung, dass die Kreisverwaltung den großen Wurf präsentiert? Es sieht nicht danach aus. Die Tagesordnung sieht einen lediglich 15-minütigen Bericht über den aktuellen Projektstand vor. Dann folgt ein Inspirationsvortrag von Dr. Felix Bentlin (wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Berlin), der sich vielfältig mit Stadtentwicklung beschäftigt und Schriften wie „Produktive Provinzstadt – Lehr- und Lernraum“, „Postpandemische Stadt“ und „Rebellische Stadt – Triebkräfte und Potenziale des Aufbegehrens in Planungsprozessen“ veröffentlicht hat. Anschließend soll eine Expertin Vorschläge zur weiteren Verfahrensweise geben, bevor dann die „Werkstattgespräche“ beginnen. Seien wir optimistisch: Die Kreispolitiker verständigen sich in ihrer Werkstatt darauf, was sie neben Bildung und Verwaltung – sei es beispielsweise Wohnungsbau – inmitten der Ledastadt umsetzen wollen. Das wäre schon mal gut, bedeutet letztlich aber nichts, denn die Stadt muss „mitspielen“. Kreishaus und Kreispolitik sollten sich vielmehr bewusst sein, dass innerstädtische Entwicklung die Kernaufgabe der Kreisstadt ist und bleibt. Sie sollten sich bewusst sein, dass sie höchstens Wünsche äußern können. Einen pauschalen Freifahrtschein, wie mit der Anfrage nach dem „Urbanen Gebiet“ angestrebt, wird es für den Kreis nicht geben. Neue Verwaltungsgebäude ebenfalls nicht. Dad hat das Rathaus in Abstimmung mit den Stadtratsfraktionen bereits dem Vernehmen nach klar signalisiert „Nicht mit uns, wir wollen hier echte innenstädtische Entwicklung“.

Fazit: Es ist aus der Konstellation heraus nicht nachvollziehbar, warum seit Monaten wieder Funkstille zwischen Kreis und Stadt herrscht, und vor allem auch nicht, warum bei dem Werkstattgespräch nicht gleich auch die Stadtverwaltung und der Rat geschickt eingebunden werden. So droht das Werkstattgespräch zu einer Alibi-Kaffeerunde zu werden statt zu einer richtungsweisenden Erfolgsveranstaltung – was nach Jahren des Stillstandes so wünschenswert wäre.

PS: Den Kreispolitikern ist mit Sicherheit bei dem anstehenden Termin auch eines bewusst: Sollten das Ergebnis sein, dass der Kreis sich beispielsweise im Neubau von Wohnungen oder in anderen Themenbereichen engagiert, die klassische Aufgaben einer Kommune sind, dann spielt das der Stadt Leer bei einem anderen Thema in die Karten: dem Streit um die erhöhte Kreisumlage. Denn damit würde die Kreisverwaltung ein weiteres Argument auf dem Serviertablett liefern, dass der Kreis „mit dem Geld der Kommunen“ arbeitet und zu viel „abkassiert“. Insofern werden also nicht nur die Stadtpolitiker, sondern auch die übrigen Kommunen mit Spannung auf das Werkstattgespräch und die anstehende Flächennutzung blicken.

Holger HartwigDIE KOLUMNE – EWE-Campus: Werkstattgespräch oder Alibi-Kaffeerunde?