Akademie Campus Leer: Der „heimliche“ Tod eines großen Zukunftsprojektes?

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Der Beschluss, den der Kreistag am 14. Dezember 2020 einstimmig gefasst hat, liest sich auf den ersten Blick sehr nüchtern. Die Akademie Campus Leer GmbH wird aufgelöst, sie sei als Rechtsform nicht mehr zwingend nötig und ein Kostenfaktor. Als Fehlbetrag – d.h. Kosten für die Jahre 2016 bis 2020 aufgrund fehlender Einnahmen – nennt der Kreis etwa 80.000 Euro. Ein Campus-Konzept könne auch ohne eine eigene Gesellschaft – ihr offizieller Liquidationshinweis im Internet trägt übrigens das Datum vom 10. Juli 2019 (Original-Zitat aus der Veröffentlichung: Die Gesellschaft ist aufgelöst. Die Gläubiger der Gesellschaft werden aufgefordert, sich bei ihr zu melden) – weiterverfolgt werden. Am Ziel ändere sich nichts. Es werde nichts an den Nagel gehängt. So hat es damals Landrat Matthias Grote (SPD) im Kreistag verkündet.

Was diese Worte Wert sind? Offenbar wenig. Das zeigt die Nachfrage bei der Stadt Leer. Bürgermeisterin Beatrix Kuhl stellt auf Anfrage fest: „Bei einem Gespräch im Juli 2020 mit dem Landkreis hat die Kreisbaurätin, Jenny Daun, uns mitgeteilt, dass die Pläne so nicht mehr verfolgt werden sollen. Es gäbe andere Pläne, da es auch hohe Raumbedarfe beim Landkreis gäbe.“ Danach habe es keinen Austausch mehr über die weitere Nutzung des Areals zwischen Ubbo-Emmius-Straße, Hajo-Unken-Straße und Gaswerkstraße gegeben. „Wir sind seit dem Gespräch im Juli 2020 in die Pläne des Kreises nicht mehr eingebunden gewesen“.

Von Seiten des Kreises hieß es am Freitag auf Nachfrage (hier alle Fragen und Antworten): „Die jetzige Nutzung des Campus-Geländes für den Unterricht des Teletta-Groß-Gymnasiums, der Einrichtung des Digital Hub Ostfriesland und des studentischen Wohnens entspricht der bisherigen Nutzungsplanung. Weitere Planungen sind nicht spruchreif. Es ist nicht geplant, dass der Landkreis die Flächen wieder veräußert.“

EWE hat alles verkauft – Altlasten werden bis Ende 2021 entfernt

Grundsätzlich sind wesentlich Fakten für das Areal geklärt. Die EWE hat alle ihre Immobilien – Bezirksmeisterei, Kunden-Servicehaus, Einfamilienhäuser – an den Landkreis verkauft. Kaufpreis: 3,75 Mio. Euro zzgl. Nebenkosten. Der Eigentumsübergang steht teilweise noch aus, weil Altlastensanierungen im Zusammenhang mit dem Gaswerk (wurde bis 1962 betrieben) noch vorgenommen werden müssen. Nach Darstellung des Energieversorgers aus Oldenburg ist das bis Ende 2021 abgeschlossen. Dann hat die EWE kein Eigentum mehr in dem Areal und der Kreis, der heute bereits das Erdgeschoss der Kundenzentrale für seine Verwaltung nutzt, den vollständigen Zugriff auf die Fläche.

Stadt lehnte Verbrauchermarkt ab

Allerdings gibt es für diese Überlegungen eine „kleine“ Herausforderung. Es gibt für das Areal bereits seit 2014 einen von der Leeraner Politik einstimmig gefassten Aufstellungsbeschluss (so heißt das im Beamtendeutsch).  Dieser Beschluss regelt eindeutig, dass das Areal an der Ubbo-Emmius-Straße für ein Sondergebiet Bildungscampus städteplanerisch bereitgestellt wird. Eine mutige klare Kante – im Vertrauen auf die damals eindeutigen Ambitionen des Kreises, die in der Zeit des Groote-Vorgängers Bernhard Bramlage angeschoben wurden. Denn, so schreibt die Bürgermeisterin: „Die Firma Bünting hatte damals ebenfalls Interesse an der Fläche.“ Ein Verbrauchermarkt stand zur Debatte – und hatte aufgrund der Vorstellung der Pläne des Kreises durch die Baurätin Daun keine Chance.

Die Leeraner Politik war überzeugt von den Chancen und der Bedeutung des Bildungscampus als Zukunftsprojekt für die Stadt. Man wollte – so erinnert sich Kuhl auf Anfrage – das Thema Bildung und Fortbildung, Weiterbildung für die Stadt Leer stark in den Fokus rücken. Dem Kreis wurde für die Umsetzung des Projektes „volle Unterstützung zugesagt“, schreibt Bürgermeisterin Kuhl. Im Fokus stand dabei ein Campus für die Studierenden mit Wohnbebauung. Das Ziel war, das Studienprogramm, das bisher in Leer durch die Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie (VWA) und die Hochschule Emden-Leer mit Wirtschaft (Business Campus Leer) und Seefahrt, Schiffstechnik und Nautik, zu ergänzen.

Kreiss: Andere Konzepte sind nicht spruchreif

Nun sind Fragezeichen angebracht. Das bereits vor Jahren angedachte Angebot des Physician Assistance für Gesundheitsberufe wird ab April in Papenburg zusammen mit der Hochschule Anhalt angeboten. Dort hat man zugegriffen. Zudem hat der Business Campus in der Leeraner Altstadt einen neuen Studienschwerpunkt für Gesundheitsmanagement aufgebaut und bei der VWA musste der Jahrgang 2021 ausgesetzt werden. Von Seiten des Kreises wird auf die Schaffung des Digital Hub Ostfriesland (DHO) verwiesen. Andere Konzepte – so heißt es – sind nicht spruchreif.

Was sagt die Leeraner Bürgermeisterin zu der aktuellen Situation und den Aussagen des Landkreises?  Sie wählt die Verwaltungssprache: „Wir als Verwaltung bedauern dies, da dieser Bildungscampus sicher eine sinnvolle Weiterentwicklung wäre. Die Ausschüsse müssen einer Veränderung des Aufstellungsbeschlusses zustimmen. Ob das Areal weiter als Bildungscampus, ob für günstigen Wohnraum oder für Lebensmittelhandel in Zukunft angesehen wird, ist Entscheidung der Politik.“

Fazit: In bester Innenstadtlage stehen Häuser leer und „verrotten“. Der Kreis hat bereits Millionen investiert und will den Grund und Boden behalten. Der Landrat löscht mit Kreistagsbeschluss eine Gesellschaft aus (die ja auch als Träger und Investor in Frage gekommen wäre), will aber das Projekt weiterverfolgen, während bereits Mitte 2020 darüber gesprochen wird, die Grundstücke für Verwaltungsgebäude zu nutzen. In Papenburg wird der Studiengang, der für Leer vorgesehen war, realisiert. Kompliment an die dortigen Akteure der Emsländischen Versorgungsinitiative (EVI) um „Motor“ Dr. Volker Eissing.

Noch Fragen? Viele.

Offenbar meinen Teile (!) der Politik und der Verwaltungsverantwortliche es sich leisten zu können, das Thema weiter vor sich hinplätschern zu lassen. Offen und ehrlich scheint es dabei auch nicht zuzugehen, aber das wissen die Agierenden besser.

Kurzum: Ist das eine strukturierte, verantwortungsvolle Zukunftsgestaltung einer Kreisstadt, wie sie die Menschen einer Stadt und Region von denen erwarten können, denen sie bei Wahlen ihr Vertrauen aussprechen?

Ach übrigens, in Leer fehlt es unbestritten an bezahlbarem Wohnraum. Innenstadtlagen sollen da sehr begehrt sein 😉

Lesen Sie hier, was die EWE im Detail zum Stand der Dinge sagt.

Hier die Stellungnahme des Landkreises Leer im vollständigen Wortlaut.

Und hier der Wortlaut der Antworten auf die gestellten Fragen der Bürgermeisterin der Stadt Leer, Beatrix Kuhl.

Kommentar von Tom Bohmfalk, Leer (21. Februar 2021):

Gesundheitssportzentrum würde Sinn machen

„Leider hat ja der Sportausschuss der Stadt Leer im September 2019 einen Sportentwicklungsplan im Rahmen der Daseinsvorsorge abgelehnt. Ein Konzept für Bewegungs-,Gesundheit-und Sportentwicklungs ist in Leer nicht erkennbar. Wenn man das marode „Haus des Sports“ (Warum hängt da noch das Schild dran?), die abgängige Turnhalle des TV Leer sowie den Bedarf an Sporthallenkapazität der Schulen (die VGS Plytenbergschule soll 2022 Ganztagsschule werden, hat aber in der ausgelasteten Sporthalle Pastorenkamp nur Gastrecht) betrachtet, dann würde es Sinn machen, auf dem Campus-Gelände ein Gesundheitssportzentrum zu erreichten – denn das ist die Zukunft des organisierten Sports und der Bedürfnisse der Bevölkerung“

 

In dem Areal zwischen Ubbo-Emmius-Straße, Gaswerkstraße und Hajo-Unken-Straße hat der Landkreis Leer weite Teile der Grundstücke gekauft.


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