Das Gleichgewicht

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Von Holger Hartwig*

Das Leben zu genießen, heißt mit sich und der Welt im Einklang zu sein. Es bedeutet, für sich das Gleichgewicht aus den vielen Gegensätzen, Emotionen und Optionen, die sich bieten, gefunden zu haben. „Den bringt nichts aus der Ruhe“, „Der strahlt Zufriedenheit aus“, „Bei dem spürt man, dass er mit sich und der Welt im Reinen ist“ – das sind drei der Sätze, die Menschen beschreiben, die sich im Gleichgewicht befinden.

Und dann gibt es die Menschen, denen die Unzufriedenheit und das fehlende Gleichgewicht im Gesicht, im Verhalten oder in der Sprache anzumerken sind, weil ihnen (Lebens-)Freude fehlt, Aggressivität gegen Gott und die Welt vorherrscht oder Ton- und Wortwahl grundsätzlich aus der Abteilung Attacke kommen. Die Erfahrung zeigt, dass dieses fehlende Gleichgewicht und das daraus resultierende Verhalten meist die Vorläufer für Depressionen oder Süchte sind.

Stellen Sich jetzt eine Waage vor. Die Waage ist im Gleichgewicht, wenn alle Facetten des Lebens im Einklang sind und jeder für sich seine Bedürfnisse bedienen kann. Es gibt dann im Leben genau soviel, wie es braucht, um glücklich und zufrieden zu sein. Und nun verändert sich etwas im Leben, z.B. der Partner verlässt Sie, das Miteinander mit Kollegen funktioniert nicht mehr, die Kinder machen Stress, die Nachbarn nerven oder oder oder. Das Gleichgewicht auf der Waage gerät ins Wanken. Oftmals erkennen wir als Betroffene nicht, was dafür sorgt, dass wir unser Gleichgewicht verlieren. Wir suchen nach den Gründen für das fehlende Gleichgewicht. Finden wir diese, finden wir auch den Weg zurück in das Gleichgewicht. Aber diese Gründe verstecken sich oft tief im Innern, sind manchmal nicht einmal auf den dritten, vierten Blick zu erkennen. Und was passiert, wenn wir die wirklichen Gründe nicht finden oder nicht finden wollen? Wir suchen einen anderen Weg, um mit dem Ungleichgewicht zurecht zu kommen.

Nehmen wir als Beispiel einen Menschen, der sich über Jahre hinweg zu einem trinkfesten Alkoholiker „entwickelt“ hat. Er löst seine Unzufriedenheit, seine Überfordertheit bzw. sein Ungleichgewicht mit dem Griff zum Hochprozentigen. Natürlich weiß der „Säufer“ in seinen trockenen Momenten, was er anrichtet. Natürlich weiß er im tiefsten Innern, dass er mit dem Suff vor seiner Situation, seinen Emotionen und seiner Unzufriedenheit flieht. Wie oft bekommt dieser Mensch von Freunden gesagt: „Trink nicht soviel, Du weißt doch, dass…“. Das weiß er in der Tat selbst. Was er nicht weiß ist, was dafür gesorgt hat, dass der Alkohol – um im Bild zu bleiben – immer mehr Gewicht in seinem Leben bekam und die eine Seite der Wage immer mehr nach unten zog. Es ist etwas, was auf der anderen Seite der Wage fehlt: Fehlende Wertschätzung, und Liebe oder Wärme? Fehlende Unterstützung aus der Familie oder von Freunden? Die Gründe können viele und vielschichtig sein.

Nun ist der Alkoholiker ein extremes Beispiel für das Ungleichgewicht in Leben und ein guter Therapeut hilft, die Bestandteile zu finden, die fehlen oder nicht ausreichend für das Lebensgleichgewicht vorhanden sind. Im Alltag hilft es, sich die Waage immer dann vorzustellen, wenn andere beispielsweise sagen „Du bist aggressiv, gereizt, was ist mir Dir los?“. Meist lässt sich dann herausfinden, an was es gerade (ausreichend) fehlt. Und das ist dann er erste große Schritt zurück zum Gleichgewicht.

Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.


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