Aktuell sind Kriegs- und Krisenberichterstatter wieder sehr gefragt. Sie begeben sich wissentlich in Gefahr – und trotzdem machen sie es. Nun, in einer wirklichen Gefahrensituation bin ich nicht gewesen. Doch das, was bei einem Journalisten abläuft, wenn er an Orten der Tragödien, des Unglücks, des Unfalls oder des Krieges ist, gleicht sich. Mit den Eindrücken und den eigenen Gefühlen zurecht zu kommen geht nur, wenn der „Funktioniermodus“ eingeschaltet wird.
Dieser Modus kennt nur einen Grundsatz: Professionalität. Es geht um gute, dokumentierende Fotos oder Mitschnitte, die wichtigen Informationen zu den Hintergründen und eine passgenaue Aufarbeitung. Mitfühlen oder mitleiden? Geht nicht.
In meine Jahren im Lokaljournalismus muss ich diesen Modus sehr schnell lernen. „Das geht nicht anders, sonst brauchst Du da gar nicht hinfahren“, hat ein erfahrener Kollege mal gesagt. „Nachdenken und darüber sprechen, was Du gesehen hast und was das mit Dir macht – das kannst Du später. Du musst Profi sein. Deinen Job machen.“ Leichter gesagt als getan…
Ich erinnere mich an meinen ersten „Einsatz“ bei einem Verkehrsunfall im Kreis Leer. Eine Autofahrerin hatte die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren – mit schwerwiegenden Folgen. Am Unfallort angekommen, gleich die ersten Fragen an die Polizei. Fahrerin sehr schwer verletzt, kleines Baby mit Überlebenschancen. Die Nachfragen ergeben dann: Das Kind war erst wenige Wochen auf der Welt… Puuh, trotzdem Fotos machen. Grundsatz dabei: Den „richtigen“ Bildausschnitt wählen, keine Verletzten abbilden. Wie meistens – ist ja noch das Zeitalter des Schwarz-Weiß-Films – bittet die Polizei darum, in den nächsten Tagen die Abzüge zu bekommen. Und im Gegenzug weiß ich, dass ich in zwei Stunden noch einmal anrufen darf, um etwas mehr Informationen zu dem Unfallhergang zu bekommen…
Erst wenn dann die Zeitung fertig ist, dann kommt das Nachdenken. Einfach auf die Resettaste drücken, als wenn nichts gewesen wäre – funktioniert nicht. Und es ist, wie bei allen Dingen des Lebens: Es findet eine gewisse „Abhärtung“ statt, auch wenn in all` den Jahren diese Berichterstattung nie einfach gewesen ist…
Verändert hat sich über die Jahre allerdings der journalistische Umgang mit den Unglücken. War es früher eher dem Boulevard zugeordnet, möglichst alles zu zeigen und auf jedes Detail einzugehen, hat sich diese Form der aufsehenerregenden Berichterstattung durch die Digitalisierung auch Stück für Stück in den Lokaljournalismus eingeschlichen. Ich erinnere mich beispielsweise über den Bericht eines tödlichen Unfalls eines regionsbekannten Unternehmers. Als es nur die Zeitung gab, wurde ein Foto von der Unfallstelle veröffentlicht und in einem Nebensatz darauf eingegangen, dass es sich um einen bekannten Unternehmer handelte. Der Gedanke, dass die Familie und auch die Mitarbeiter erst einmal mit dem Geschehenen klar kommen müssen, stand neben einer korrekten, sachlichen Darstellung des Unfalls im Vordergrund. Einige Tage später folgte ein sprachlich gut formulierter Nachruf. Doch das Internet und die Sucht nach Klicks haben das verändert…
Kaum sind die Fotos am Unfallort gemacht, wird sehr schnell eine erste Meldung formuliert und ein möglichst spektakuläres Foto dazu gestellt. Befindlichkeiten berücksichtigen – macht der Boulevard vor, dass es nicht sein muss. Kaum in der Redaktion angekommen, wird die Speicherkarte der Kamera durchsucht, welche Motive sich noch gut machen für eine Fotogalerie. Schnell muss es gehen, denn die TV-Leute waren ja schließlich auch vor Ort.
Was das für den Unfall mit dem Unternehmer bedeutet? Viele Motive vom zerstörten Oberklassewagen – und dann auch ein Motiv von der Ablage vor der Windschutzscheibe. Dort ist ein Schuh des Opfers zu sehen – der Schuh des Mannes, der mit einem Klick weiter dann mit Porträtfoto abgebildet wird.
Ein zweites Beispiel ist ein Mord. Eine grausame Tat, die so detailliert mit Worten beschrieben wird, dass es jeder nachvollziehen kann. Lange bleibt das Opfer und die Familie verschont, bis dann die Beerdigung ansteht. Natürlich – so ist das in den heutigen Zeiten – müssen die lokalen Medien auch bei diesem „Ereignis“ vor Ort sein. Fotomotive? Schwierig. Die Lösung: Es wird die Situation mit Sarg und Kränzen fotografiert. In der Mitte ist ein großes Porträtfoto des Opfer zu sehen. Ok, in der gedruckten Zeitung kann man die getötete junge Frau nicht erkennen. Digital reicht es, den Ausschnitt größer zu ziehen und dann haben diejenigen, die gerne alles verfolgt haben, auch das Gesicht des Opfers vor Augen. Beide Beispiele haben übrigens hervorragende Klick-Zahlen gebracht…
Ich bin heute dankbar, dass ich nicht mehr zu Unfällen etc. fahren muss. Diese neue Art der Berichterstattung ist nicht mein „Ding“. Verhindern lässt sie sich wohl nicht mehr, selbst wenn vor allem erfahrene Redakteure sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, so zu berichten. Wer nicht „mitspielt“, der kann, wenn er einen „falschen“ Redaktionschef oder Geschäftsführer hat, mit Konsequenzen rechnen. Denn Berichterstattung bedeutet in Zeiten sinkender Auflagen, dass eben jeder Klick Geld bringt…