Hinterzimmer-Journalismus und Karrierechancen

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Sie kennen den Begriff der Hinterzimmer-Politik? Da werden hinter verschlossenen Türen oft parteiübergreifend Entscheidungen vorbereitet und dann später öffentlich manchmal noch mit heftigen „Schauspiel-Diskussionen“ verkauft. Aber kennen Sie auch den Hinterzimmmer-Journalismus?

Gut, auch im Zusammenspiel mit Journalisten gehört es zum Alltag dazu, sich vertraulich auszutauschen, um Hintergründe und Zusammenhänge zu verstehen. Das ist nicht nur im Umgang mit der Politik, sondern auch mit Firmen, Polizei, Kirchenvertretern, Vereinsverantwortlichen durchaus üblich. Dann gibt es aber auch noch den Hinterzimmer-Journalismus.

Erstmals Erfahrungen mit dieser Art des Zusammenspiels mache ich 1994 in Potsdam. Der Chefredakteur ist verhindert – und so soll ich der Einladung aus dem Bauministerium des Landes Brandenburg folgen. Ich frage – so naiv wie ich bin – noch, ob es ein offizielles Pressegespräch sei. Antwort: Nein, das ist eine informative Runde. Ich bin sehr gespannt, was der damalige parteilose Minister so erzählen wird und wen ich treffen werde. Es geht also in das Ministerbüro. Dort ist eine kleine Runde zusammengekommen, man kennt sich. Ich bin der „Neue“, der als erstes mit den Regeln vertraut gemacht wird. Alles, was hier besprochen werde, diene der „hintergründigen Meinungsbildung“ und dürfe nicht zitiert werden. Das, was ich dann erlebe, ist für mich bisher nicht vorstellbar gewesen. Die Kollegen sind bestens vertraut miteinander und man spricht politisch eine Sprache. Es geht um zentrale Themen, die in den nächsten Tagen in der Landespolitik wichtige Weichen stellen sollen. Gemeinsam wird besprochen, wie was wohl am besten „platziert“ und medial vorbereitet werden kann. Ich bin – wen wundert´s – nur stiller Zuhörer. Mit Erkenntnissen gehe ich trotzdem. Es ist das erste Mal, dass ich erlebe, dass Journalisten überhaupt kein Problem damit haben, sich zu ihrer politischen Partei-Grundhaltung zu bekennen und auch als Promoter zu wirken. In den nächsten Tagen lässt sich das dann gut in den Medien nachvollziehen. Ich schreibe von dem Gespräch nichts – lehrreich ist es bis heute.

Mehr als zwanzig Jahre später erlebe ich diesen Hinterzimmer-Journalismus dann aus der anderen Perspektive. Als parteiloser Kommunikationschef der CDU Schleswig-Holstein geht es im Vorwahlkampf darum, Themen richtig zu platzieren. Bei einem der ersten internen Besprechungen geht es um die Frage, welche „Journalisten denn auf unserer Seite stehen“ und mit „wem man gut mal was machen kann“. Einige meiner damals ehemaligen Kollegen haben auch das Parteibuch und gelten als „sichere Bank“. Ich gebe zu, für die Kommunikationspolitik sind diese Kenntnisse sehr dienlich – und in den wenigen Monaten, die ich dort arbeite, nutze ich die Möglichkeiten durchaus. Wie stark die Verbindungen sein können, erlebe ich wenige Monate später. Ein Kollege greift eine Umfrage auf, die meinen Chef nicht gut aussehen lässt. Ohne Rücksprache mit meinem Chef bzw. mir als Medienbeauftragten erscheint ein Bericht mit einem vernichtenden Kommentar, der den Rücktritt des CDU-Landesschefs fordert. Das Rennen hat begonnen, wenige Tage wird mein Chef zurücktreten und der heutige Ministerpräsident die Führung übernehmen. Der betreffende Kollege hat dabei die Rückendeckung seines Chefredakteurs, der es als nicht notwendig erachtete, die Sichtweise meines Chefs abzufragen, bevor der Bericht erschien. Meine Zeit bei dieser Partei geht dann schnell zu Ende. Ach ja, nachdem die Wahl durch die CDU im Jahr darauf gewonnen wird, muss auch ein neuer Regierungssprecher benannt werden. Im Gespräch sind die Journalisten, die mir bei einem der ersten Termine als „zuverlässig“ genannt wurden. Am Ende wird es – was meinen Sie? – zufällig der Redakteur, der mit seinem Kommentar Monate zuvor meinen Chef zum Abschuss freigegeben hat und seinen Nachfolger positioniert hat…

Eine andere Art des Hinterzimmer-Journalismus hatte ich zuvor als Redaktionsleiter im Emsland erlebt. Dort hat Landrat Hermann Bröring die Angewohnheit, die Tageszeitungs-Redaktionsleiter vor jeder Kreistagssitzung zu einem Gespräch einzuladen. Wer den langjährigen Landrat des Emslandes kennt, der weiß: Dieser Mann war immer gut vorbereitet und ging keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Wer sich mit ihm anlegte, der musste sich warm anziehen. Die Gespräche bei ihm im Büro vor den Kreistagssitzungen sind hingegen von absoluter Sachlichkeit geprägt. Er geht Punkt für Punkt die Tagesordnung durch und gibt Erläuterungen und Hintergrundinformationen. Er weiß sehr genau einzuschätzen, welche Themen für Journalisten spannend sind und wo es erforderlich ist, notwendige Zusammenhänge – politisch, wirtschaftlich, rechtlich – aufzuzeigen. Kritische Nachfragen und ein offener Dialog sind erwünscht. Sichergestellt ist so, dass wir Redakteure, die ihre Texte während der später laufenden Kreistagssitzung im Saal schreiben, keine sachlichen Fehler produzieren. Ich gebe zu: Ich war bei der ersten Einladung skeptisch. Rückblickend ist es sehr gut investierte Zeit gewesen, auch wenn wir Redakteure uns vor allem von der Opposition im Kreistag immer wieder Bemerkungen anhören müssen. „Na, hat  der Hermann Euch heute wieder mal vorab gesagt, was ihr gleich zu schreiben habt?“, heißt es nicht selten. Und selbst, wenn das „dem Hermann“ durch dem ihm als „König des Emslands“ vorauseilenden Ruf zuzutrauen gewesen wäre – nein, bei diesen Gesprächen ist es eine Top-Vorbereitung, damit ich Fachbegriffe definieren und Zusammenhänge besser erkennen und verstehen konnte. Diese Form des Hinterzimmer-Journalismus „passte“ –  ganz im Gegensatz zu den manipulativen Gesprächen in der „großen Politik“.

Symbolfoto: Kang, pexels.com

Holger HartwigHinterzimmer-Journalismus und Karrierechancen