Von Piontek, Zölibat und Trümmern in Dresden

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Bis heute gibt es eine journalistische Form, die mein absoluter Favorit ist: das Interview. Dieser direkte und persönliche Kontakt ist immer eine Herausforderung. Das fängt bei der Vorbereitung an, weil sehr viele Gesprächspartner vorweg am liebsten immer alle Fragen übersandt haben wollen. Dann sage ich meist: „Dann lassen wir das, denn ein gutes Interview lebt von der Spontanität und dem Austausch – und meistens geht es dann doch irgendwie.“ Wenn der Gesprächspartner darauf besteht, dann habe ich auch schon so manches Interview ausfallen lassen. Manches Mal sehr schade, aber immer noch besser als ein langweiliges, bereits vorweg vorformuliert und damit künstliches Gespräch, das abgedruckt werden muss.

Gerne erinnere ich mich an mein allererstes längeres Interview am Neujahrstag (!) 1990 zurück. Mein Chefredakteur Uke Meyer hat eingefädelt, dass wir für den SonntagsReport den berühmtesten Leeraner Fußballspieler, Sepp Piontek, treffen. Ich freue mich, dass mich mein Chef mitnimmt und ich dabei sein darf. Kurz bevor wir dann bei einer Tasse Tee in der Wohnung von Pionteks Eltern sitzen, kommt eine klare Ansage meines Chefs: „Holger, mach` Du mal das Interview. Ich halte mich zurück.“ Vorbereitungszeit – null. Zeit für Nervosität – fast null. Ich denke: Gut, dass ich mich mit Fußball auskenne. Vorweg hatte ich lediglich kurz darüber nachgedacht, dass uns Piontek, der elf Jahre lang die dänische Nationalelf mit erstmaliger Teilnahme an EM und WM erfolgreich trainiert hat, im Idealfall verrät, wo er als nächstes als Coach aufschlagen will. Die Antwort bleibt er uns schuldig (wahrscheinlich wusste er damals wirklich noch nicht, dass er für drei Jahre das Team der Türkei trainieren wird), aber dieses erste Interview (siehe Abfotografie) behalte ich in guter Erinnerung. Und eine Manöverkritik meines Chefs gibt es später auch nicht, ebenso wie kein Lob. Erst später  habe ich bemerkt: Keine Kritik meines durchaus sehr kritischen Ausbilders ist das höchste Kompliment.

In Erinnerung ist mir auch ein Interview mit Bischof Franz Bode aus Osnabrück geblieben. Wir treffen uns 1996 im Pfarrhaus der St. Michael-Gemeinde im Beisein von Pfarrer Paul Durschlag, mit dem ich als junger Mensch oft aneinander gerasselt bin. Ich habe mir vorgenommen, viele Themen anzusprechen und war mir nicht sicher, ob ich wirklich frage, wie den der Bischof mit dem Zölibat und menschlichen Bedürfnissen der körperlichen Nähe – er ist ja auch „nur“ ein Mann – umgeht. Das Gespräch verläuft gut. Also stelle ich die Frage. Der Bischof reagiert ruhig und gibt eine umfassende und nachvollziehbare Antwort. In Erinnerung ist mir bis heute aber mehr das Gesicht des Pfarrers geblieben, als er meine Frage hörte. Ach ja, Bischof Bode hat dann das Interview ohne Änderungen autorisiert und sich für die spannenden Fragen bedankt…

Manchmal geht ein Gespräch für einen Interviewten aber auch so richtig nach hinten los. So frage ich den gescheiterten Interessenten für das Bundespräsidentenamt, Steffen Heitmann, was er machen würde, wenn er noch einmal ein Kind wäre. Wir haben uns in Dresden getroffen – und was antwortet der CDU-Politiker? „Ich möchte wieder in den Trümmern Dresdens spielen dürfen“. Seine PR-Abteilung bekommt den Text zur Freigabe – und gibt das ok. Die Antwort wird wenige Tage später so abgedruckt. Gut, dass es damals noch keine sozialen Medien gibt. Auch so ist der „Shitstorm“, wie es heute heißt, riesengroß. Überegionale Medien greifen das Zitat auf und – das ist auch keine Seltenheit – natürlich wird versucht, die „Schuld“ für diese Aussage, die ja nie so gesagt wurde, beim Journalisten abzuladen. So sei das ja nicht gemeint gewesen… Gut, dass ich damals das Fax mit den Anmerkungen und der Freigabe schwarz auf weiß als Ausdruck hatte. Das hat mir immerhin hausintern viel Ärger erspart…

Na und dann gibt es auch die Interviews, bei denen sich der Autor nach der Autorisierung durch den Gesprächspartner(in) fragt, ob er bei einer anderen Veranstaltung gewesen ist. Hier ist mir eine Politikerin als absolute „Expertin“ in Erinnerung geblieben. Wir haben uns fast drei Stunden unterhalten, das Diktiergerät hat alles aufgezeichnet und ich bringe es in kompakter und lesbarer Form zu Papier. Es dauert etwas, bis die Rückmeldung kommt und ich traue meinen Augen nicht. Etwa 70 Prozent aller Antworten haben rein gar nichts mehr gemeinsam mit den Aussagen, die Tage zuvor bei einem Kaffee gefallen waren. Leider ist der Text für den nächsten Tag bereits eingeplant, so dass das „So war es dann in der Realität doch nicht“-Interview erscheint. Seitdem weise ich in jedem Interview daraufhin, dass ich davon ausgehen, dass das gesprochen Wort Bestand hat. Man weiß ja nie. Mit der Politikerin habe ich – auch wenn Sie damals pünktlich zum Termin kam, was nicht immer selbstversändlich ist – danach bis heute auf ein weiteres Interview verzichtet. An diese Kultur bei Interviews will ich mich bis heute nicht gewöhnen…

Besonders spannend ist es auch, wenn ein Gesprächspartner für eine persönliche Begegnung erst gar nicht zur Verfügung steht und stattdessen alle Fragen haben möchte. Manchmal bleibt einem Redakteur dann nichts anderes übrig, als sich darauf einzulassen, wenn das Thema und die Fragen eine gewisse Brisanz haben. Hier fällt mir als erstes der Skandal um die Finanzen der VHS in Papenburg ein. Bürgermeister Jan-Peter Bechtluft ist Chef des Aufsichtsgremiums und damit dann auch der Ansprechpartner für alle zentralen Fragen. Sein Pressesprecher lässt mir ausrichten, dass ich meine Fragen dann gerne schriftlich einreichen möge. OK – geht nicht anders. Dann muss ich halt die Fragen sehr genau formulieren, um interessante Antworten zu bekommen. Ich habe viel recherchiert – und bin schon sehr gespannt, wie die Antworten auf die wirklich heiklen Fragen ausfallen werden. Irgendwie zweifle ich, ob ich wirklich Antworten bekommen werde. Nach mehr als zwei Tagen heißt es dann aus dem Rathaus: Der Bürgermeister beantwortet die Fragen nicht. Immerhin wird meinem Wunsch, dass es dafür eine Begründung geben möge, nachgekommen. Und was machst Du dann in einer solchen Situation, wenn die aus deiner Sicht berechtigten Fragen unbeantwortet bleiben? Ganz einfach: Die Begründung, warum nicht geantwortet wird, im Original-Wortlaut veröffentlichen – und daneben ebenso im Original-Wortlaut die Fragen abdrucken. Bis heute ist das in über 30 Jahren einmalig geblieben – und trotzdem, so die Rückkoppelung durch die Leser damals, hat das gescheiterte Interview viele Antworten geliefert…


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    Holger HartwigVon Piontek, Zölibat und Trümmern in Dresden