Journalistenleben: Von Umgang mit Sekretärinnen

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Sie werden gerne unterschätzt: die Sekretärinnen. Dabei sind sie für Redakteure die „Eingangstür“ zu den gewünschten interessanten Gesprächspartnern. In meiner Ausbildung zum Redakteur hat mir mein Chef oft gezeigt, worauf es ankommt: gutes Beziehungsmanagement und eine ehrliche Wertschätzung. Sei es am Telefon oder bei dem Besuch vor Ort – es kommt auf die Kleinigkeiten an.

Den Namen des Chefs sollte man kennen, den Namen der Sekretärin sollte man sich beim ersten Anruf gleich merken und notieren. Ebenso nicht gleich mit der Tür in Haus fallen, sondern gerne auch ein wenig über die aktuelle Lage, das Wetter oder – wenn man sich vorher schlau gemacht hat, was nie schaden kann – auch über den Lieblingssportverein, das Interesse an Musik oder was auch immer sprechen. Meist erfolgt der Blick in den Kalender mit der Suche nach einem Termin erfolgreich oder es wird – obwohl es ja gerade sehr schlecht ist – doch das Telefonat durchgestellt. Menschliches Verhalten, wie es jeder kennt.

Wer als Redakteur mit der Sekretärin ins Gespräch kommt, der merkt auch schnell, wie clever und ausgebildet die – Entschuldigung – „Vorzimmerdame“ ist. Geschickt gefragt, lassen sich wichtige Informationen bereits in dieser Phase der Recherche „einsammeln“. Das Beispiel, was mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, ist der Anruf im Sekretariat einer Bereichsleiterin bei der Treuhand, die für die Abwicklung bzw. den Verkauf der Peene Werft in Wolgast zuständig war. Mein Ziel ist es damals, die Treuhand-Mitarbeiterin mit den Ergebnissen meiner Recherche zu konfrontieren. Ich hatte viele Informationen zusammen, es fehlte eine Bestätigung aus offizieller Quelle, dass es zwischen einem Bremer Unternehmen, der Hegemann Gruppe, und der „Anstalt“ bereits sehr finale Verhandlungsgespräche gab. Die Sekretärin ist bei meinem Anruf sehr gesprächsbereit. Wir plaudern über die schöne Insel Usedom und wie es wohl mit den wunderschönen historischen Villen in den Drei-Kaiser-Bädern weitergeht. Ich mache ihr klar, dass ich wirklich nur drei bis fünf Minuten mit ihrer Chefin sprechen müsse, um nur eine wichtige Frage zu klären. Es sei bald eine Kreistagssitzung, es geht um viele Arbeitsplätze in der Region. Sie meint: „Keine Chance, meine Chefin hat nur Termine.“ Ok, das bedeutet „dran bleiben“ und bohren. Ich könne das ja gut verstehen, es sei aber wirklich wichtig mit der Chefin zu sprechen, so wie ja im Moment auch wichtig ist, dass die Hegemann-Gruppe und ihre Chefin wohl bald miteinander sprechen. Ich wolle ja schließlich keinen Mist schreiben, der die Situation in Wolgast und umzu für die Menschen und ihre „Beziehung“ zur Treuhand unnötig belaste. Fakten seien da sehr wichtig. Ob sie denn nicht noch einmal in den Kalender schauen könne, frage ich. Und in diesem Fall hatte ich Glück: Die Mitarbeiterin war nicht wirklich geschult. Sie ging mit mir den Kalender der beiden nächsten Tage durch – und sagte ganz nebenbei: „Ach, jetzt verstehe ich auch, was Sie meinen und warum es dringend ist. Morgen ist ein mehrstündiger Termin eingetragen, bei dem es um die Peene Werft geht. Die Herren waren schon einige Male hier.“ Na denke ich, dann muss ich jetzt nur noch hinbekommen, dass ich noch vor der Kreistagssitzung mit der Chefin sprechen kann. Auf meine Frage, wann es dann vielleicht passen könnte, meint sie: „Rufen Sie doch morgen mal gegen 16 Uhr an, dann versuche ich Sie durch zu stellen. Ich werde meiner Chefin sagen, dass es wichtig ist, dass sie sich die Zeit für sie nimmt.“ So machen wir es dann auch.

Am nächsten Tag hatte ich mich vorbereitet und alles zum aktuellen Stand der Gespräche mit der Hegemann-Gruppe im „Ich kauf mir mal ne Werft“-Spiel recherchiert. Ich rufe an und werde durchgestellt. Das Gespräch beginnt zurückhaltend, dann stelle ich die Frage: „Sie haben doch gestern weit vorangeschrittene, wenn nicht sogar finale Verkaufsgespräche für die Peene Werft mit der Hegemann Gruppe aus Bremen geführt?“ Die Treuhand-Verantwortliche macht eine große Pause und sagt „Nein“. Ok, denke ich, auf in die nächste Runde. „Sie führen also definitiv keine Gespräche mit der Hegemann-Gruppe aus Bremen?“ Antwort: Nein. Alles klar, jetzt bleibt nur der Frontalangriff. „Aber Frau Soundso, Sie haben doch heute von 10.30 Uhr bis etwa 15.30 Uhr mit Herren Soundso aus Bremen bei sich in ihren Büros in Berlin zusammengesessen!“. Jetzt kommt auf der anderen Seite wie aus der Pistole geschossen: „Woher wissen Sie das?“ Danke, denke ich. Damit ist der Termin bestätigt. Auf die Frage antworte ich natürlich nicht, sondern beschreibe, was ich recherchiert habe. Ein bis zwei Details sind für die Dame das Signal, damit sie weiß: Der Redakteur steckt voll im Thema. Ich mache der Bereichsleiterin klar, dass ich so oder so über das Thema und den Stand der Dinge schreiben werde. Das anschließende halbstündige Telefonat, zu dem die Dame ja eigentlich keine Zeit hatte, sorgt für viel Klarheit.

Ähnliche Situationen hat es im Laufe der vielen Jahre immer wieder gegeben und bei so mancher Sekretärin habe ich mir auch die Zähne ausgebissen. Meist ist es irgendwie trotzdem gelungen, einen Telefon- oder einen Gesprächstermin zu bekommen.

Meinen Sekretärinnen, die ich später hatte, habe ich immer klar gemacht, dass es niemanden angeht, wo ich gerade bin, mit wem ich telefoniere oder was ich thematisch gerade bearbeite. Würde ich rausbekommen, dass Externe irgendwelche Infos erhalten, würde ich sehr ungemütlich werden. Meist hat es funktioniert. Nur eine Sekretärin hat es in alle den Jahren nicht verstanden. Sie hat sogar aktiv Informationen weitergegeben. Als ich das eindeutig nachweisen konnte, musste sie fristlos ihre Sachen packen. Es ist bis heute eine der größten menschlichen Enttäuschungen und zeigt aber, wie wichtig es ist, dass ein Chef ein gut qualifiziertes und loyales Vorzimmer hat.

Holger HartwigJournalistenleben: Von Umgang mit Sekretärinnen