Aktionen mit den Lesern einer Zeitung habe ich den über 30 Jahren im Medienbereich viele gemacht. Das reichte von Malwettbewerben für Kinder, Fotowettbewerben zu besonderen Anlässen, Gewinnspielen mit einer Kreuzfahrt als Hauptpreis bis hin zum Aufruf, was einem an der Heimat so gut gefällt. Die beste Aktion ist im Rückblick immer noch die allererste. Das war Anfang 1991 in Wolgast. Denn, obwohl die Menschen nach dem Zusammenbruch des kommunistischen DDR-Systems wirtschaftlich in einer Orientierungsphase mit Arbeitsplatzsuche etc. sind (das ist jetzt sehr vorsichtig ausgedrückt, viele hatten schlichtweg Existenzängste), ist die Reaktion der Leser bis heute für mich wie ein kleines „Wunder“.
Worum geht es? Wir machen die ersten Wochen Tageszeitung vor den Toren Usedoms. In Wolgast gibt es nicht viel zu sehen – aber einen Tierpark, den gibt es. Also macht es Sinn, dort einmal bei den Bären, Ziegen und Eseln vorbeizuschauen. Es sollte eine schöne Geschichten in den trüben Wintertagen werden. Doch das, was mir der Leiter des Parkes, Eberhard Gau, seine Frau Sigrid und die Mitarbeiterin der Stadt Wolgast berichten, verschlägt mir die Sprache: Es fehlt das Geld für das Nötigste. Das Futter ist fast aufgebraucht, die neun Pfleger der Tiere und Mitarbeitenden müssen entlassen werden. Grund für die trostlose Situation ist, dass das Land den Tierparkt nicht wie bisher finanziell unterstützt und die Kassen der Stadt Wolgast leer sind. Dort hat man ganz andere Sorgen in diesen Zeiten. Nichts, aber auch gar nichts gibt ein Fünkchen Hoffnung. Es gibt nur noch eine Chance: die Wolgasterinnen und Wolgaster müssen helfen, müssen zeigen, was ihnen der Erhalt des Parkes mit den vielen Erinnerungen an ihre Kindheit wert ist…
Zurück in der Redaktion, die damals ein Schreibtisch zwischen Druckmaschinen und einem Tisch in der Betriebsküche ist, machen wir eine kleine „Redaktionssitzung“. Schnell ist klar: Wir starten eine Leseraktion unter dem Titel „Rettet den Wolgaster Tierpark!“ Wir wissen nicht, ob das funktioniert, da – wie gesagt – die Menschen viele Sorgen in diesen Tagen haben. Versuch macht klug. Und mehr als keine oder wenig Resonanz kann ja nicht passieren. Also wird ein Spendenkonto bei der örtlichen Bank eingerichtet und wir planen eine tägliche Berichterstattung. Nicht nur harte DM helfe dem Tierpark, auch Futterspenden sind willkommen. Und was die Arbeitsplätze der Pfleger betrifft, sind wir sicher, dass bei genügend Spenden auch das Arbeitsamt bereit sein wird, so genannte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu genehmigen, die dafür sorgen, dass die Menschen weiter im Park arbeiten. Erstmal durch die nächsten Tage, Wochen und Monate kommen – das wäre schön…
Das, was dann passiert, zeigt, wozu Menschen im Miteinander in der Lage sind. Innerhalb weniger Tage machen Schulen, Behörden, Unternehmen mit. Auch wir bekommen eine Resonanz, die wir so nie erwartet hatten. In Erinnerung ist mir ein Brief der Kinder der dritten Klasse der Oberschule 1 geblieben. Sie schrieben uns: „Lieber Wolgaster Anzeiger. Unsere Mitschülerin Stefanie hat uns heute den Artikel über den Wolgaster Tierpark vorgelesen. Wir waren alle sehr aufgeregt. Gleich morgen besuchen wir den Tierpark und übereichen unsere Spenden. Wir wollen unseren Tierpark behalten!“ Überall wird Geld gesammelt – innerhalb von nur wenigen Tagen sind über 20.000 DM auf dem Spendenkonto. Das ist aber nur ein Teil der viele Hilfe. Nach zwei Wochen müssen wir veröffentlichen, dass bitte keine Futter- und sonstige Sachspenden mehr im Park abgegeben werden sollen. Die Lagermöglichkeiten sind ausgeschöpft. Ich bin in diesen Tagen regelmäßig zur Berichterstattung im Park – wie auch einige meiner Kollegen – und es ist wunderbar zu erleben, wie aus der Traurigkeit und der Angst Optimismus und viel Dankbarkeit für die unfassbare Unterstützung wurde.
Ach ja, Höhepunkt der Leseraktion ist damals im Sommer ein großes Tierparkfest. Es ist ein Tag der Freude. Viele tausend Menschen kommen und es ist spürbar, was Tiere und Park den Menschen bedeutet. Für mich ist dieser Tag auch ein ganz Besonderer. Ein kleiner Waschbär soll getauft werden und für ihn wird ein Name gesucht. Und was macht mein Redaktionschef? Er regt an, den Waschbären auf den Namen Holger bzw. „Holgi“ zu taufen. Gesagt – getan. Er schreibt dann auch noch, dass sich „Holgi“ keine Sorgen machen müsse, dass er nicht genug zu futtern bekommen – in launischer Anspielung auf meine damalige Leibesfülle.
Mein Namensvetter wird heute nicht mehr leben. Die maximale Lebenserwartung eines Waschbären ist 15 Jahre. Den Tierpark gibt es bis heute. Er ist in den Sommermonaten auch für die vielen Urlauber auf der Insel Usedom ein beliebtes Ausflugsziel. Und ich freue mich, dass wir damals als Team des Wolgaster Anzeigers unseren Teil dazu beigetragen haben.