Katastrophenfall: Ist der Kreis Leer ausreichend vorbereitet?

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Was passiert, wenn es im Kreis Leer zu einer Katastrophe kommt? Auf welche Ernstfälle sind die Kreisverwaltung mit Landrat Matthias Groote und die Rettungskräfte der Region vorbereitet? Angesichts der Bilder aus den Hochwassergebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind diese Fragen aktueller denn je. HARTWIG am SONNTAG hat nachgefragt – und hat umfassende Antworten bekommen von Gerrit Gathen, zuständiger Sachgebietsleiter für den Bereich Allgemeine Ordnung im Ordnungsamt des Landkreises.

Auf welche Katastrophenfälle ist der Kreis Leer vorbereitet?

„Die möglichen Katastrophenpotenziale werden kontinuierlich überprüft ebenso wie die kritische Infrastruktur“, berichtet Gathen, der bei Kreis seit 2014 für diesen Bereich zuständig ist. Durch eigene Bestandsaufnahmen und teilweise durch Vorgaben des Bundes sind für das Kreisgebiet folgende Szenarien definiert:
• Sturmfluten auf der Nordseeinsel Borkum
• Binnenhochwasser, z.B. im Seehafen Leer, der Leda und Jümme und der Bundeswasserstraße Ems
• Schadenslagen auf den zwei Bundesautobahnen mit dem Emstunnel
• Unfälle mit Gefahrguttransporten
• Tierseuchengefahr bei Maul- und Klauenseuche:
• Ausfall kritischer Infrastrukturen zur Versorgung der Bevölkerung (Wasserversorgung, Stromversorgung)
• und Stromausfall der Bahnstrecken Emden – Münster und Leer- Oldenburg und – wenn sie dann wieder in Betrieb ist – auch die Bahnstrecke Leer- Groningen.
• Bahnunglücke
• Atomunfall im AKW Emsland oder Chemieunfall im Werk in Eemshaven
• Pandemie

Darüber hinaus gelten drei sogenannte „Seveso III-Betriebe“ als mögliche Gefahr. Damt sind die Gasspeicher in den Salzkavernen in Leer-Nüttermoor und in Jemgum gemeint. „Weitere Betriebe, die für ein Katastrophenszenario eingestuft werden, haben wir im Kreisgebiet nicht“, so Gathen.

In welchen Abständen wird ein Katastrophenschutzplan erstellt und wie umfangreich ist dieser?

Die Pläne für die einzelnen potenziellen Gefahren werden kontinuierlich fortgeschrieben und beinhalten Alarmierungspläne. Gathen: „Die Pläne regeln im Detail, was wann wie in Gang gesetzt wird. Alle Kontakte und Wege sind dezidiert beschrieben, damit ein Rad in das andere greift.“

Wer kommt im Katastrophenfall zum Einsatz?

Gathen verweist darauf, dass ein Katastrophenfall ausschließlich durch den Landrat ausgerufen werden kann, wenn die Dimension einer „Großgefahrenlage“ (Großschadenslage), die mit herkömmlichen Mitteln zu bewältigen ist, überschritten wird und es einer zentralen Leitung bedarf. Zum Einsatz können dann im Kreis Leer bis zu 2.600 Kräfte der Feuerwehren, des Technischen Hilfswerkes, des DLRG sowie des DRK, des ASB, der Johanniter und der Malteser kommen. Gathen: „Unsere Aufgabe ist es Katastrophenschutz-Einheiten aufzustellen, z.B. ABC-Dienst, Bergungsdienst, Betreuungsdienst, Brandschutzdienst, Psychosoziale Notfallversorgung, Rettungshundedienst (gibt es derzeit nicht) , Sanitätsdienst, Versorgungsdienst, Veterinärdienst, Wasserrettungsdienst. Dafür haben wir ausreichend vorgesorgt.“ Den letzten Katastrophenfall gab es übrigens im Kreis Leer im Februar1978, als Schneemassen das Kreisgebiet und Gesamt-Norddeutschland lahm legten.

Wer koordiniert im Falle einer Katastrophe?

Unter der Federführung des Landrates übernimmt der Katastrophenschutzstab der Kreisverwaltung die Koordination. Ihm gehören etwa 80 Mitarbeiter aus nahezu allen Bereichen der Verwaltung. „Dieser Stab ist ein eingespieltes Team mit drei Schichten mit jeweils etwa 25 Mitarbeitern, die mehrmals jährlich für die Einsatzlagen geschult werden“, so Gathen. Zudem werden kontinuierlich auch praktische Übungen (sogenannte Stabsrahmenübungen) gemacht. Eine grenzüberschreitende Stabsübung 2013 „Schwere Sturmflut“ mit der „Veiligheitsregio Groningen“, der Polizeidirektion Osnabrück, der Stadt Emden sowie den Landkreisen Aurich und Wittmund– durchgeführt. Darüber hinaus bemüht sich der Kreis um externe Stabsrahmenübungen. Eine Schicht des Stabes fährt nach Ahrweiler und übt dort eine Woche lang ein Katastrophenszenario unter fachkundiger Hilfe aus dem Bereich des Feuerwehrdienstes und des Katastrophenschutzes.

Der Krisenstab übt regelmäßig – beispielsweise das Szenario „Schwere Sturmflut“.

Von wo aus arbeitet der Krisenstab und welche Aufgaben stehen im Fokus?

Der Katastrophenschutzstab (Krisenstab) hat seine Zentrale in den ehemaligen Räumen der Rettungsleitstelle in der Leeraner Bergmannstraße. Gathen: „Dort haben wir Räumlichkeiten mit Alarmierungssystemen, Funktechnik und allem, was für eine Koordination erforderlich ist.“

Welche Herausforderungen müssen im Falle einer Katastrophe gemeistert werden?

Eine Übersicht liefert ein Schaubild der Kreisverwaltung:

Was können Bürger im Kreisgebiet selbst zur Vorbereitung für einen Katastrophenfall machen?

Gathen macht deutlich, dass ihm durchaus bewusst ist, dass der Hinweis auf Handbücher des Bundesamtes für Katastrophenschutz oft belächelt wird. „Es kann sicherlich nicht schaden, sich die Hinweise zu Kerzen, Batterien oder auch Vorräten in gewissen Abständen einmal durchzulesen, um sicherzustellen, dass eine Selbstversorgung für einen bestimmen Zeitraum möglich ist. “ Die Informationen seien über das Internet leicht zugänglich.

Wie funktioniert die Information der Bevölkerung im Falle einer Katastrophe?

Vor allem über die Strukturen in den Orten und teilweise auch mit den bekannte Sirenensignalen. Dennoch, so betont der Experte: „Das beste Frühwarnsystem sind heute die Apps. KATwarn sollte jeder im eigenen Interesse auf seinem Handy haben.“ Die Möglichkeiten, über diesen Weg schnell und umfassend zu informieren, „sind eine tolle Geschichte, selbst wenn es nur darum geht, bei einem Feuer die Fenster und Türen geschlossen zu halten.“

Ist die Region auf einen Stromausfall bzw. Ausfall der Kommunikationsnetze – so wie jetzt in den Hochwassergebieten geschehen – vorbereitet?

Gathen stellt heraus, dass es bei der Beantwortung dieser Frage zwei Ebenen gibt. „Die eine ist, dass wir sicherstellen, dass unsere Bergungs-, Rettungs- und Hilfskräfte einsatzfähig bleiben durch funktionierende Kommunikation und funktionierende Technik. Die zweite Ebene ist die Versorgung der Bevölkerung.“ Was die Einsatzfähigkeit der Helferinnen und Helfer betrifft, sind umfassende Notfallmaßnahmen umgehend umsetzbar. Gathen: „Das reicht von zwei Notstromtankstellen bis hin zu mobilen Netzersatzanlagen, die wir an bestehende Funktürme anschließen können, wenn die Akkus, die einige Stunden den Betrieb gewährleisten könnten, aufgebraucht sind“ So sei eine Mobilität und Kommunikation gewährleistet. Auch mit Blick auf die Versorgung der Bevölkerung gebe es Pläne, „allerdings muss man respektieren, dass wir im Falle einer Katastrophe nicht sofort überall die Versorgung gewährleisten können.“ Gathen nennt als ein Beispiel die Wasserver- und -entsorgung. „Bei der Wasserversorgung gibt es Szenarien, wie wir mit Notstromaggregaten, die mit Kraftstoffen angetrieben werden, zügig reagieren können.“ Um hier in Zukunft noch mehr auf der sicheren Seite zu sein, sei seitens der Kreisverwaltung derzeit die Anschaffung eines Tankfahrzeug für die Trinkwasserversorgung geplant. Mit Blick auf die Entsorgung nennt Gathen eine Zahl, die deutlich macht, wie umfangreich die Herausforderung wäre. „Wir haben im Kreis Leer im Bereich Abwasser weit über 1000 Pumpstationen, die im Falle eines Stromausfalls nicht mehr arbeiten würden.“

Sind die Katastrophenszenarien mit der Bundeswehr abgestimmt?

Ja, die Bundeswehr ist über das so genannte Kreisverbindungskommando eingebunden. Gathen: „Der verantwortliche Oberstleutnant ist bei jeder Übung und Schulung dabei.“ Allerdings: Die Bundeswehr würde erst zum Einsatz kommen, wenn die Ressourcen aus den Strukturen, die der Krisenstab einbindet, nicht mehr ausreichen, so der Fachmann der Kreisverwaltung.

Gibt es bei einer Katastrophe eine Zusammenarbeit mit Nachbarregionen und den Niederlanden?

Ja. Gathen: „Die Provinzen Groningen und Drenthe sowie die Kreise Emsland und Leer haben einen Vertrag über eine Sicherheitsregion geschlossen, so dass eine Zusammenarbeit, wenn es erforderlich ist, auch grenzüberschreitend jederzeit möglich ist“, so Gathen. Zweimal im Jahr geben es Treffen mit einem Erfahrungsaustausch und „wir haben so ein gutes Netzwerke, auf das wir uns verlassen können, wenn wir Unterstützung benötigen“.

Gibt es Investitionsvorhaben in den Katastrophenschutz in den kommenden Jahren?

Ja, zum einen das Trinkwassertankfahrzeug (Kosten etwa 220.000 Euro), aber vor allem der Neubau der Feuerwehrtechnischen Leitzentrale im Industriegebiet in Leer-Nord (Kosten etwas 27 Mio. Euro, geplanter Baubeginn 2022). Gathen: „Wir sind heute durch die kontinuierlichen Investitionen in den letzten Jahrzehnten in die Ausstattung der Rettungskräfte insgesamt gut aufgestellt. Der Neubau als Katastrophenschutzzentrums mit einer Tierseuchenzentrale und neuester Alarmierungstechnik wird uns für den Fall der Fälle noch etwa besser aufstellen.“


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    Holger HartwigKatastrophenfall: Ist der Kreis Leer ausreichend vorbereitet?