Von Todeslinien zu Anfangszeiten

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Von Holger Hartwig*

Kennen Sie das: Ob im Job, in der Freizeit oder auch in der Familie wird gerne davon gesprochen, dass eine Aufgabe bis zu einem festgelegten Termin erledigt sein muss. Gemeint ist die „Todeslinie“ für eine Aufgabe, neudeutsch besser bekannt als „Deadline“ mit dem allerletztmöglichen Termin. Wer diesen Zeitpunkt überschreitet, der hat ein Problem.

Die Herangehensweise mit den Endzeitpunkten bekommen wir vom ersten Schultag „mitgeliefert“, in dem für Projekte ein Abgabetermin genannt wird. Es ist Standard. Dabei hat es mit diesen Endzeitpunkten mit Blick auf das Zeitmanagement etwas ganz besonderes auf sich. Sie sorgen für die unterschiedlichsten Herangehensweisen bei Menschen.

Die einen lehnen sich erst einmal zurück nach dem Motto „Das ist noch so lange hin, das schaffe ich auch noch kurzfristig“. Manchmal klappt das, manchmal auch nicht. Auf jeden Fall ist eines sicher: der Stressfaktor ist hoch.

Die anderen nehmen sich der Aufgabe gleich an. Sie legen mit hohem Tempo los und sind weit vor der Todeslinie fertig. Sie lassen sich dann Zeit, kommen gerne ins Trödeln, statt mit neuen Aufgaben zu beginnen.

Zusammengefasst: Die Todeslinien sind nur in den seltenen Fällen so passend, dass die Betroffenen in passendem Tempo durch kontinuierliches Arbeiten eine Punktlandung hinlegen. Viel schwieriger dabei ist: Wer diese Punktlandung nicht schafft, der ist entweder nicht ausgelastet oder genervt, weil der Stress wieder einmal für kurze Nächte gesorgt hat.

In der Mitarbeiterführung oder im Alltag ist es daher sinnvoll, sich weiterhin Zielpunkte für die späteste Erledigung zu notieren, um keine Schwierigkeiten zu bekommen. Allerdings ist es für die eigene Motivation viel besser, statt in Todeslinien in Anfangszeitpunkte zu denken und zu handeln. Warum?

Wenn Sie einen Mitarbeiter mitteilen, dass das nächste Projekt am Tag X gestartet werden soll, dann entwickelt er den Ehrgeiz, vor dem Termin fertig zu sein. Die nächste, neue Aufgabe dann früher als geplant beginnen zu können, setzt positive Energie frei. Zudem verhindern sie gegebenenfalls auch, dass Mitarbeiter ins Bummeln geraten, wenn sie merken, dass ja noch viel Zeit bis zum Ende bleibt.

Darüber hinaus ist auch die Kommunikation entscheidend. Wer seinem Chef sagen muss, dass er einen Abgabetermin nicht halten kann, der ahnt, dass es Ärger gibt. Wer sagt, dass bitte zu prüfen ist, ob der Start des neuen Projektes noch aus nachvollziehbaren Gründen etwas nach hinten geschoben werden kann, dem wird dieses einfacher fallen.

Also: Legen Sie das Denken in Todeslinien ab. Trainieren Sie stattdessen, für die anstehenden Aufgaben die Zeit festzulegen, bis wann sie mit der nächsten Aufgabe beginnen wollen. Lernen Sie, Ihre Zeit zu budgetieren. Bis diese Herangehensweise funktioniert, wird es etwas dauern, denn es ist nicht einfach, ein Gespür für das eigenen Tempo und die Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Gelingt es, die neue Form der Zeitplanung umzusetzen, werden Sie bald merken, dass Sie weder eine Aufgabe bis kurz vor einem Erledigungstermin vor sich herschieben, noch dass Sie in Hektik verfallen. Sie finden nach und nach Ihr persönliches Tempo, für alles, was ansteht – und vermeiden Stress, Frustration und auch Konflikte mit anderen, weil Sie von Beginn an klar machen, was Sie vorhaben und sich nicht durch andere Ihr Zeitmanagement diktieren lassen.

* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.

Holger HartwigVon Todeslinien zu Anfangszeiten