Stadtbaurat: Leer wird in die Höhe wachsen müssen

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In Gespräch: Rainer Kleylein-Klein, neuer Stadtbaurat in der Ledastadt

 LEER Die Führungsspitze im Leeraner Rathaus ist seit einigen Tagen wieder komplett: Mit Rainer Kleylein-Klein hat die Ledastadt nach langer Vakanz wieder einen Stadtbaurat. Im NWZ-Interview macht der 36-Jährige deutlich, dass die Stadtentwicklung in Leer mit neuen Prämissen erfolgen wird. So sieht er die Stadt „in die Höhe wachsen“, will dem Kfz-Verkehr stadtweit keinen Vorrang mehr geben und hofft darauf, dass in der Innenstadt kein „Venedig-Effekt“ einsetzt.

 Sie sind neu in Leer: Mit welchen drei Adjektiven würden Sie die Stadt beschreiben?Leer ist für mich eine maritime, facettenreiche und spannende Stadt.Die Stelle des Baurats war einige Zeit vakant: Ist das aus Ihrer Sicht schwierig nicht auf die Erfahrung eines direkten Vorgängers zurückgreifen können?

Es ist das Wichtigste für die Stadt, dass die Stelle jetzt – mit mir – wieder besetzt werden konnte. Für eine Stadt ist ein Baurat mit einer funktionierenden Struktur ein wichtiger Faktor. Es stehen in Leer viele Bauvorhaben und Planungsprozesse an, bei denen es wichtig ist, dass sichergestellt wird, dass sie nicht als einzelne Themen, sondern stets im städtebaulichen Kontext gesehen werden.

Wie beschreiben Sie Ihre Vorstellung von Stadtentwicklung?

Sie muss ressourcenschonend, nachhaltig und langfristig zukunftsorientiert sein.

Trifft das auf Leer zu und was hat Sie an der Aufgabe – abgesehen von der Möglichkeit eines Karrieresprungs – gereizt?

Meine Aufgabe ist es, kontinuierlich diese drei genannten Aspekte in der baulichen Entwicklung der Stadt im Fokus zu haben. Der Reiz, nach Leer zu kommen, lässt sich einfach zusammenfassen: Die Stadt ist sehr breit aufgestellt, beispielsweise mit einer wunderbaren historischen Altstadt. Sie hat mit dem Nesseareal bewiesen, wie Transformation gelingen kann. Ich sehe für die nächsten Jahren viele spannende Aufgaben, damit unter den drei Prämissen auch künftig jedes Zahnrad in dieser Stadt ins andere greifen kann.

„In der Altstadt keinen Venedig-Effekt bekommen“

Welche Aufgaben stehen für Sie auf den Plätzen 1 bis 3?

Platz 1 und die Hauptaufgabe wird es sein, mit den Ressourcen schonender umzugehen. Wir werden genau betrachten müssen, an welchen Stellen welche Nutzung möglich ist. Bei allen Überlegungen müssen die Auswirkungen auf den Klimawandel im Fokus stehen. Realisiert wird nur, was nachhaltig ist. Platz 2 ergibt sich aus dem ersten Thema. Wir müssen die vorhandene Substanz nachhaltig, aber vor allem auch lebendig erhalten. Damit meine ich, dass wir beispielsweise in der Altstadt keinen Venedig-Effekt bekommen. Schöne Fassaden oder Gebäude ohne einen praktischen Nutzen darf es – auch in anderen Bereichen der Stadt – nicht geben. Platz 3 ist das Thema Stadtnachverdichtung. Wir können es uns nicht mehr erlauben, mit Wohnungsbau großflächig in die Peripherie zu gehen. Wo es möglich ist, wird Leer mit den Gebäuden in die Höhe wachsen. Das Nesse-Areal ist dafür ein gutes Beispiel. Nur, wenn wir uns alle noch so kleinen Flächen ansehen, werden wir die Potenziale für unterschiedliche Nutzungen für Wohnen und Gewerbe heben können. Mein Ziel ist es, dass die Möglichkeiten sehr zeitnah über das gesamte Stadtgebiet analysiert und erfasst werden.

In die Höhe gehen – das ist in einer kleinen Stadt ein heikles Thema. Was bedeutet das konkret? Leer bekommt Wohntower mit bis zu zehn Geschossen?

Das haben Sie jetzt provokant formuliert. Natürlich muss eine höhere Bebauung auch zu dem jeweiligen Stadtviertel harmonisch passen. Es geht um die grundsätzliche Ausrichtung. Aus meiner Sicht steht fest: Nachhaltige Entwicklung in Leer geht nur, wenn man auch in der Höhe nachverdichtet. Wir müssen die Potenziale innerhalb des Stadtkerns heben, denn da sind anders als am Stadtrand die Infrastruktur und das Sozialgefüge bereits vorhanden. Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum ist definitiv da und wir werden in den nächsten Monaten alle Potenziale ermitteln.

Die Bauverwaltung ist in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Genehmigungsverfahren dauern teilweise Jahre. Was werden Sie unternehmen, dass in Leer wieder zügiger Genehmigungen erteilt werden?

Wir haben hausintern Ideen, wie wir die Abläufe optimieren können, denn in den kommenden Jahren wird die Herausforderung mit den Themen Nachhaltigkeit auf keinen Fall kleiner. Wir müssen und werden aktiv werden. Für mich steht fest, dass ich mir wöchentlich einen Überblick über den Stand der Dinge verschaffen werde und dabei werden dann auch die größeren Vorhaben – das halte ich für sinnvoll – besonders in den Fokus genommen.

Stichwort Fachpersonal: Immer mehr Stellen können in den Bauverwaltungen nicht mehr besetzt werden. Wie kreativ werden sie sein, wenn es um die Frage geht, künftig ausreichend Fachpersonal nach Leer zu bekommen?

Wir müssen uns von den klassischen Denkweisen mit Stellenausschreibung und Auswahlverfahren verabschieden. Wir brauchen eine aktive Herangehensweise, beispielsweise bei den Universitäten und Fachhochschulen. Ich selbst habe mein Praxissemester in einer öffentlichen Verwaltung gemacht und dabei mitbekommen, wie vielseitig kommunale Bauverwaltung ist. Leer hat in dieser Hinsicht ganz viele spannenden Felder und Aufgaben zu bieten und wir werden das deutlicher in Richtung unserer Zielgruppen präsentieren.

„Leer ist ein lebendige Stadt, die funktioniert.“

Die Innenstädte stehen hinsichtlich der Immobilienstruktur vor einem Wandel. Der Einzelhandel verliert an Bedeutung. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Leeraner Innenstadt attraktiv zu halten?

Als Erstes möchte ich mal feststellen: Leer ist eine lebendige Stadt, die funktioniert. Sie ist mit einem guten Mix und wenig Leerstand und von ihrer Grundstruktur aus Einkaufen, Wohnen und Kultur gut aufgestellt. Es wird mit Blick auf die Veränderungen im Handel erforderlich sein, künftig auch neu zu denken. Wir müssen auch hier die Potenziale insgesamt sehen, d.h. dass aus einem Wohn- und Geschäftshaus in der Altstadt beispielsweise auch ein Ort für freischaffende Start-Ups werden kann. Das, was möglich ist, gehört in die Innenstadt und nicht an den Stadtrand auf die grüne Wiese.

Es gibt eine Reihe von Projekten – z.B. am Hafenkopf, Gröttrup-Areal, Aral-Tankstelle, Wohnhäuser Hajo-Unken-Straße oder Grundstück Gasthof Schröder in Bingum – die genehmigt oder in der Planungsphase sind. Steigende Preise haben jetzt das erste Projekt am Hafenkopf zurückgeworfen…

Wir sind froh, dass wir im Baubereich permanent Dynamik und keinen Stillstand haben. Das zeichnet Leer aus. Nach meinem Kenntnisstand ist bisher keines der großen Projekte durch die Preisentwicklungen aufgegeben worden. Bei einigen anderen Projekten stehen wir kurz vor der Genehmigung.

Stichworte Gewerbeflächen: Hier hat die Stadt Leer derzeit nichts zu bieten. Welche Wege sucht der Stadtbaurat, hier neue Perspektiven zu ermöglichen?

Das Thema drängt. Auch hier werden wir sehr genau prüfen, wo innerhalb der Stadt Potenziale liegen, auch durch Konversationsmaßnahmen. Es gilt, Nachnutzungen zu optimieren.

Sie sprechen von Nachhaltigkeit: Was ist Ihre Vorstellung zu städtischen Gebäuden?

Wir werden mit gutem Beispiel vorangehen und künftig bei allen Gebäuden und Neubauten alle Chancen nutzen, sei es durch PV-Anlagen oder Dachbegrünungen. Dazu gehören für mich auch Maßnahmen für die Verbesserung des Mikroklimas.

„Der Kfz-Verkehr darf flächendeckend in der gesamten Stadt keinen Vorrang mehr haben.“

Stichwort Verkehr: Leer hat mit FaCit erste Akzente gesetzt. Wie werden Sie die Verkehrsplanung in Leer gestalten? An welchen Stellen würden die Leeraner in einigen Jahren Ihre Stadt nicht wiedererkennen?

Es gilt für die nächsten Jahre eindeutig: Der Kfz-Verkehr darf flächendeckend in der gesamten Stadt keinen Vorrang mehr haben. Wir müssen die Fahrradwege attraktiver machen, damit die Bürger die Stadt nachhaltiger erleben und erfahren können. Jeder muss noch stärker seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten, im dem er aufs Rad oder Lastenrad steigt, Dazu gehört auch, dass die Nutzung des ÖPNV attraktiver wird und Fahrradwege und Grünflächen weiter ausgebaut werden.

„Ich habe kein Parteibuch. Nachhaltig an die Stadtentwicklung heranzugehen, ist keine Frage des Parteibuches. Es ist alternativlos“

Zusammengefasst: Sind Sie politisch ein Grüner?

Ich habe kein Parteibuch. Ich bin der Meinung, dass wir uns generell diese Frage stellen müssen. Das ist eben keine Frage des Parteibuches. Es gibt nur einen wunderschönen Planeten mit tollen Landschaften mit schönen Städten wie Leer. Aus meiner Sicht sind die beschriebenen veränderten Herangehensweisen alternativlos, wenn wir unseren Nachfahren etwas hinterlassen wollen, was lebenswert ist.

Zur Person

Rainer Kleylein-Klein ist seit 1. Juni Stadtbaurat in Leer. Er kommt vom Landkreis Gifhorn, wo er Leiter des Bereiches Bauordnung, Bauplanung und Denkmalschutz war. Der 36-Jährige lebt in Leer und ist ausgebildeter technischer Zeichner und hat Architektur mit dem Schwerpunkt Hoch- und Städtebau studiert und eine Masterarbeit im Bereich Denkmalpflege geschrieben. In seiner Freizeit nimmt er in Europa gerne städtebauliche Erkunden vor, um – wie er sagt – über den Tellerrand zu schauen.

Holger HartwigStadtbaurat: Leer wird in die Höhe wachsen müssen