Das Ersetzen von (Fehl)Entscheidungen

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Von Holger Hartwig*

Es gibt Menschen, die von sich sagen, dass es ihnen schwerfällt, Entscheidungen zu treffen. Kann nicht sein, denn wenn ihnen das wirklich schwerfallen würde, dann wären sie nicht überlebensfähig. Denn jeder Mensch hat es gelernt, Entscheidungen zu treffen. Etwa 10.000 Mal an einem einzigen Tag. Aufstehen oder noch liegen bleiben? Hemd oder Polo-Shirt? Kaffee, Milch oder Tee zum Frühstück? Mit dem Auto oder mit dem Fahrrad zur Arbeit? Der gesamte Tag ist sozusagen eine einzige Entscheidung…

Natürlich meinen die Menschen mit ihrer Aussage etwas anderes. Es geht um die folgenschweren Entscheidungen. Die Weichenstellungen, die – vermutlich – große Auswirkungen haben werden. Und nicht selten warten Menschen dann ab, bis ihnen jemand die Entscheidung abnimmt oder die Zeit vergeht und eine „automatische“ Entwicklung „passiert“.

Was kann der Mensch machen, der sich nicht entscheiden kann? Im Kopf klar werden und begreifen, was es bedeutet nicht zu entscheiden. Warum?Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Für den Autor dieser Zeilen war ein Hobby das beste „Trainingslager“ (was ich damals nicht so gewusst habe). Mit 14 Jahren habe ich mich entschieden, den beliebtesten Job im Fußball zu übernehmen: Schiedsrichter. Da gehörte es dazu, innerhalb eines Spiels permanent Entscheidungen zu treffen. Und manches Mal musste ich – wenn die Spielszene weiterlief – feststellen, dass ich mich „verguckt“ hatte. Bei einem Schiedsrichter ist das sozusagen „Geschäftsrisiko“! Es hat nicht lange gedauert, bis ich erfahren durfte, was „Sache“ ist, wenn ich als „Schiri“ gut sein möchte.

Regel 1: Laufen lassen, löst die Situation nicht. Das funktioniert vielleicht für den Moment, aber es fällt dir früher oder später auf die Füße. Wenn etwas entschieden werden muss, dann muss entschieden werden.

Regel 2: Wer eine Entscheidung trifft, der kann daneben liegen. Beim Fußball dauert es manchmal nur Sekunden – und es stellt sich heraus, dass eine andere Entscheidung die bessere gewesen wäre. Dennoch gilt für jede Entscheidung: In dem Moment, in dem sie getroffen wird, ist sie zu 1000 Prozent auf Basis der vorhandenen Infos richtig. Wenn sich dann herausstellt, dass es besser gewesen wäre, es anders zu entscheiden, dann hilft kein Lamentieren im Sinne von „Hätte ich doch bloß“. Dann gilt es, die neue Situation anzunehmen und daraus das Beste zu machen – sprich die nächste Entscheidung zu treffen. Auf dem Fußballfeld habe ich gelernt: Das Spiel funktioniert nur, wenn ich als Schiedsrichter mit meinen Entscheidungen souverän umzugehen weiß. Und souverän bedeutet hier nicht, immer Recht haben zu wollen, sondern auch Entscheidungen bestmöglich durch neue Entscheidungen zu ersetzen – nicht zu korrigieren. Denn das geht (nicht nur) im Fußball nicht. Sie können einen Angriff nicht – wie in Fernsehen – noch einmal wiederholen lassen. Ach ja: Wenn ich eine falsche Entscheidung als der „schwarze Mann“ durch eine neue ersetzt habe und dabei meine Gründe erklärt habe, dann hat das immer funktioniert. Wer ohne falsche Entscheidungen ist, der werfe den ersten Stein…

Wie kann jeder für sich das Entscheiden trainieren? Auch da ist der Schiedsrichter ein gutes Beispiel. Wer etwas zu entscheiden hat, der profitiert davon, aufmerksam und konzentriert auf die Situation zu schauen. Genau hinsehen und nicht wegschauen (das macht man ja so gerne im Alltag, denn was ich nicht weiß…) ist die beste Grundlage. Und es wie ein Schiedsrichter machen: Immer einen Moment eher hinsehen, bevor alle anderen die Situation erkennen. Denn während die Zuschauer im Fußball auf den Moment sehen, wo der Ball ins Tor geht oder nicht, muss sich der Schiedsrichter bereits einige Sekunden zuvor auf den Zweikampf um den Ball konzentrieren. Und er muss entscheiden, ob er abpfeift oder nicht, wenn es heftiger zur Sache gegangen ist. Wie er seine Entscheidung trifft? Er wägt ab, wie sich die Situation entwickelt. Er spielt in Sekundenschnelle durch, was wenig später passieren könnte. Und genau das braucht es, um aus der Stärke heraus jederzeit zu entscheiden: Erkennen, was wann wichtig wird bzw. ist, die Folgen durchspielen und dann entscheiden.

Kurzum: Es ist besser, falsch zu entscheiden, als gar nicht zu entscheiden. Es gibt keine „Fehlentscheidungen“ oder falsche Entscheidungen. Jeder Mensch trifft seine Entscheidungen in dem Moment, wo sie ansteht. Er trifft sie mal spontan, mal nach reiflicher Überlegung nach bestem Wissen und Gewissen. Vor jeder Entscheidung findet eine Abwägung statt, welches Wort gerade passend ist, welches Verhalten der Situation angemessen ist oder wie man am besten ein Ziel erreicht. Und dann wird das so gemacht. Warum gibt es keine Fehlentscheidungen? Entscheidungen sind in dem Moment, wo man sie trifft, immer richtig. Niemand entscheidet sich bewusst gegen seine Überzeugungen. Und hinterher ist man immer schlauer. Und es gilt Regel 3: Immer bereit sein, gleich die nächste Entscheidung zu treffen, die einen „Fehler“ umgehend ersetzt. So wie im Alltag bei den 10000 Entscheidungen…

Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.


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