Die Kunst des Beschreibens und des inneren Gleichgewichts

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Von Holger Hartwig*

Für einen guten Redakteur ist es die Grundregel Nummer 1: Bei allen Texten, die er schreibt, muss er sehr sauber trennen zwischen dem beschreibenden Bericht oder einem wertenden Kommentar. Der große Vorteil des Redakteurs: Er schreibt seine Wörter, kann wiederholt auf die Trennung achten und so der drohenden Gefahr, Beschreibung und Bewertung zu vermischen, aus dem Weg gehen.

Ganz anders und viel herausfordernder ist es nicht – nur für den Redakteur – im Umgang und im Gespräch mit Menschen. Wer genauer auf seine Wortwahl achtet, der wird feststellen, dass so manche oft unbedacht gewählte Formulierung mit kleinen Bewertungen versehen wird. Gerne genommen wird beispielsweise „schon wieder“. Die Liste der Beispiele ist unendlich – einfach mal im Alltag darauf achten, was sich da so nebenbei einschleicht oder was einem andere mit auf den Weg geben.

Dabei ist sonnenklar: Funktionierende Kommunikation ist beschreibend und nicht bewerten. Wer das Verhalten oder die Worte das anderen meint bewertet oder noch schlimmer verurteilen zu müssen, der wird sich nicht wundern, wenn selbst die kleinste Kleinigkeit dafür taugt, sich zu einer großen Konfrontation zu entwickeln.

Wer mit anderen Menschen besser „klar“ kommen möchte, der rückt mehrere Aspekte in seiner Kommunikation in den Vordergrund: Er konzentriert sich auf die Beobachtung, er bewertet das Verhalten des anderen nicht, sondern beschreibt seine Eindrücke und Gefühle aus seinem Blickwinkel und er spricht seine Bedürfnisse aus. Er ist fokussiert auf sich und nicht auf das, was der andere gesagt oder getan hat. Oder anders ausgedrückt: Wer gut kommuniziert, der stellt als erstes ein Stopp-Schild auf für Bewertungen, Schuldzuweisungen, Unterstellungen und das Verantwortlichmachen des anderen für das, was gerade passiert.

Damit diese auch als gewaltfreie Kommunikation bezeichnete Herangehensweise funktioniert, ist ein ganz wesentlicher Faktor, die Bedürfnisse des anderen zu erkennen und seine eigenen Bedürfnisse ausdrücken zu können. Denn hinter jedem Handeln und jeder Formulierung steckt ein Bedürfnis. Die Wahl der Worte sind dabei meist schon ein guter Fingerzeig.

Wenn Sie im Alltag mit jemanden zu tun haben, der durch seine Formulierungen dazu neigt, alles und jeden bewusst oder unbewusst zu bewerten, dann wählen Sie nicht den Modus des „Gegenangriffs“, sondern lieber die Variante der „Gegenfrage“. Mit Fragen wie „Sag mal, wie hast Du das gemeint?“ gelingt es, ihren Gesprächspartner aus dem Bewertung- in den Beschreibe-Modus zu bringen. Sie haben dann die Chance, zu erfahren, was wirklich hinter der Bemerkung steckt. Sie können schnell in Erfahrung bringen, ob es sich um eine bewusste oder unbewusste Bewertung in ihre Richtung gehandelt hat.

Wem es gelingt, in seiner Kommunikation mit viel Training und hoher Achtsamkeit die Konzentration auf die Beschreibung aus der eigenen Perspektive zu richten, der wird feststellen, dass sich viele Situationen des Alltags, die Anlass für einen Streit liefern, in Luft auflösen. Und wem es gelingt, dabei dann auch noch den Satz „,Mein erstes Geschenk an alle anderen Menschen ist mein inneres Gleichgewicht, dass mich ruhig, gelassen und freundlich agieren und reagieren lässt“ zu verinnerlichen, der wird merken, dass im Alltag Stress und Streit mit anderen leichter zu vermeiden sind, als er es meint.

* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.

Holger HartwigDie Kunst des Beschreibens und des inneren Gleichgewichts