Von Holger Hartwig*
Wissen ist Macht. Ist deshalb Mr. Google der mächtigste Mensch auf der Welt und alle, die Mr. Google nutzen, auf dem Weg zur mehr Wissen und Einfluss? Wohl kaum.
Die Google-Suchmaschine in ihrer ursprünglichen Firm wäre bis heute ein Top-Werkzeug zur Beschaffung von Information. Doch: Mit Blick auf das Geldverdienen ist aus der tendenzfreien Informationsdatenbank ein „Wissens-Optimierer“ geworden.
Im Klartext: Wer einen sachlichen Begriff beispielsweise einmal mit einer Verschwörungstheorie in das Suchfeld eingegeben hat, der wird über sein „digitales Abbild“, das Google bei jedem Zugriff über die Kennung des Endgerätes ergänzt, dann auch bei der nächsten Abfrage zu den Ergebnissen geführt, die seiner Präferenz und seine (gedanklichen) Vorlieben oder sogar Glaubenssätzen entspricht. Sind Sie sich dieser Informationssteuerung bzw. Manipulation des gelieferten Wissens bewusst, wenn Sie Mr. Google nutzen?
Neben dieser „Informationssteuerung“ hat die Suchmaschine noch einen weiteren Nebeneffekt: Mr. Google reduziert die Notwendigkeit zum eigenen Denken. Es ist unbestritten praktisch, auf alle Fragen mit wenigen Stichworten und sekundenschnell die vermeintlich perfekte Antwort bzw. Lösung für eine Aufgabe oder ein Problem zu bekommen. Aber auch das ist eine Illusion.
Die Schnelligkeit der Antwort macht den Nutzer zum reinen Konsumenten. Sie kostet auf Dauer Kompetenzen. Wie das gemeint ist? Wer ohne Mr. Google eine Antwort sucht, der muss sich Gedanken machen, wo oder durch wen er sich welche Information beschafft. Er setzt sich vom ersten Moment damit auseinander, ob die Quelle, die er nutzt, seriös und zuverlässig ist. Er nutzt seine Fähigkeiten des reflektierten Denkens, statt „auf die Schnelle“ die Antwort zu bekommen. Kurzum: Mr. Google verhindert Bildung, denn Bildung ist weit mehr als der Konsum Information und Wissen.
Mit Blick auf Kinder – aber auch auf so manchen Erwachsenen – ist es sinnvoll ,darauf zu achten, dass Mr. Google nicht zum Alleskönner in allen Lebenslagen „hochgebeamt“ wird. Vielmehr ist es wichtig, dass bei der Suche nach einer Antwort und Lösung auch der analoge Weg – sprich der Austausch mit anderen – weiter fester Bestanteil ist.
Sie werden vielleicht sagen: Ja, das ist doch der Fall. Niemand verlässt sich auf den Alleswisser Mr. Google, der Austausch und Dialog findet doch immer statt. Kann man so sehen. Aber nehmen Sie einmal einem jungen Menschen das Handy weg und stellen ihm eine für ihn nicht sofort zu beantwortende Frage. Sein erster Reflex ist: Kann ich mal mein Handy haben? Auf die Idee, mit dem Fragenden ins Gespräch zu kommen, kommt er erst, wenn er es nicht bekommt oder kein WLAN oder LTE verfügbar ist.
Kurzum: Ob im Privaten oder in der Arbeitswelt – es macht Sinn, bewusst Auszeiten von Mr. Google zu nehmen, um erst einmal selbst nachzudenken und ggf. mit anderen zu sprechen. Nicht immer ist der einfachste Weg auch auf Dauer der Beste. Manches, was erst als Erleichterung gesehen wird, entpuppt sich am Ende als Gefahr.
Es soll sogar erste Unternehmen geben, die am Arbeitsplatz Google bewusst verbieten, weil sie der Überzeugung sind, dass die Mitarbeiter wieder mehr gemeinsam nach Antworten suchen sollen. Denn im Gegensatz zum Mr.Google-Informationskonsum verschafft das Finden von Lösungen durch eigenes Denken und Handeln ein Kompetenzerlebnis. Mr. Google kann dabei eine Ergänzung sein, die mit reflektiertem Denken zum Einsatz kommt. Und wie nennt man diese Kompetenz? Bildung – und die funktioniert auch ohne Strom und Internet in jeder Lebenslage.
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.