Von Holger Hartwig*
Eine große Zahl an Ehepaaren kennt diesen Moment: Die Erkenntnis, dass aus dem verliebten Miteinander ein trennendes Nebeneinander oder manchmal sogar fürchterliches Gegeneinander geworden ist. Dann stellt sich die Frage der Trennung bzw. Scheidung. Meist werden diese beiden Worte gleichbedeutend verwendet, Scheidung oft auch für den juristischen Teil vor dem zuständigen Amtsgericht.
Nun ist es nichts Neues, dass jede Trennung bzw. Scheidung auch Emotionen mit sich bringt. Enttäuschungen, Frustration, Traurigkeit, Verletztheit, Angst, Freude – alles ist denkbar. Manche Menschen sind in der Lage, mit dem Ausstieg aus der Zweisamkeit zügig einen inneren Frieden zu machen, andere kommen überhaupt nicht über die Entwicklung hinweg.
Aus psychologischer Sicht gibt es viele Abhandlungen, wie eine Trennung bzw. Scheidung Menschen prägt bzw. verändert. Nur selten wird dabei auf den Unterschied zwischen einer Trennung. Juristisch betrachtet ist es sehr einfach: Trennung bezieht sich auf die Zeit des getrennt Lebens, scheiden steht für die rechtliche finale Beendigung der Ehe.
Dabei ist es für den Umgang mit der Veränderung sehr wesentlich, sich bewusst zu sein, dass eine Scheidung nicht immer möglich ist. Denn: Sich scheiden zu können, ermöglicht es, jegliche Bindung zu einem Menschen zu verlieren. Es gibt keine Notwendigkeit, keinen Zusammenhang, der es erforderlich macht, sich wieder zu sehen. Es gibt keine Notwendigkeit, mit dem Geschehenen in die Versöhnung zu kommen. Aus den Augen, aus dem Sinn – das gilt für die Scheidung. Es ist die Kapitulation für das Miteinander mit dem anderen Menschen. Jeder geht seinen Weg – auf nimmer Wiedersehen. Dieser Weg ist nur dann möglich, wenn es keine Kinder gibt.
Anders ist es, wenn die schönen gemeinsamen Zeiten auch dafür gesorgt haben, dass es gemeinsamen Nachwuchs gibt. Klar, juristisch ist die Scheidung möglich, im weiteren Leben ist hingegen realistisch nur die Trennung. Warum? Es gibt keinen kontinuierlichen Kontakt mehr („Trennung“) und keine Begegnungen im Alltag. Aber: Es gibt bis an das Ende des eigenen Lebens immer wieder sachliche, finanzielle und emotionale Berührungspunkte. Die Kinder werden größer, machen einen Schulabschluss, feiern Hochzeit und sorgen für Enkelkinder. Viele Momente, in denen rechtlich „Geschiedene“ merken, dass sie in der Wirklichkeit nur getrennt sind.
Warum ist es wichtig, sich dieses Unterschiedes bewusst zu sein? Wer mit den Herausforderungen des Lebens gut zurechtkommen möchte, der sollte die Bereitschaft haben, sich mit allen, was gewesen ist, zu versöhnen. Diese Versöhnung setzt nicht die reale und das tatsächliche Gespräch mit dem anderen Betroffenen voraus. Nein, es geht um den „inneren Frieden“. Den inneren Umgang mit einer Verletzung, einer Veränderung oder einer negativen Entwicklung. Diese Versöhnung ist eine der wesentlichen Voraussetzungen, Kraft und Freude für Neues zu gewinnen. Sie ist die Grundlage, dafür zu sorgen, dass die Begegnungen in der Zukunft für alle Beteiligten – es geht bei einer Hochzeit oder Geburt um die Kinder und nicht um die Getrennten, sondernd um Momente der Freude. Nur, wer sich mit dem Geschehenen und damit mit dem „Getrennten“ versöhnt, für den kann eine rechtliche Scheidung auch zu einer gut funktionierenden emotionalen Trennung werden.
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.