Von den guten Vorsätzen

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Von Holger Hartwig*

Das neue Jahr ist erst einige Tage alt. Für viele Menschen ist der Jahreswechsel willkommener Anlass, mit neuen Vorsätzen zu starten. Manch einer wird bereits jetzt mit seinen Vorhaben gescheitert sein. Warum ist das so? Was macht den Unterschied aus, warum manche Menschen mit Vorsätzen erfolgreich sind und andere nicht?

Gerne wird vorschnell von fehlender Disziplin gesprochen. Ja, einen Vorsatz in die Tat umzusetzen, kann Disziplin erfordern, wenn die Veränderung aus einem „Ich muss was ändern“- bzw. „So kann es nicht weitergehen“-Gedanken entstanden ist. Beide Gedanken stehen für eine Abkehr von etwas. Sie stehen nicht für das Verändern zu etwas Besserem. Beide Gedanken sind belastet, d.h. sie stehen nicht für eine Freude auf etwas Neues, sondern von der Abkehr.

Gute Vorsätze sind vor allem zunächst eines: Die Abkehr von Gewohnheiten. Der Verzicht auf das Süße, das Alkoholische, das Fettige, das Zigarettchen oder auch das faul auf dem Sofa liegen bzw. die Unlust für Ordnung zu sorgen. Gewohnheiten haben wir in gewisser Weise „lieb“, sonst hätten wir sie nicht in unseren Alltag fest integriert.

Worauf es bei Veränderungen im Alltag ankommt?

Erstens: Um mit lieb gewonnenen Gewohnheiten erfolgreich Schluss zu machen, bedarf es des Gegenteils von Abkehr- bzw. Verzichtsgedanken. Es bedarf eines positiven Ziels, einem Bild vor Augen, dass – wenn es erreicht wird – so richtig Freude bereitet.

Zweitens: Es bedarf des Bewusstseins, dass jede Abkehr von Gewohnheiten mit „Schmerzen“ verbunden sind. Diese Schmerzen sind nicht körperlicher Art, sondern für den Kopf. Denn jede Gewohnheit, die durch den guten Vorsatz abgelöst wird, war ja auch Ausdruck von Bequemlichkeit. Und die Bequemlichkeits- bzw. Komfortzone zu verlassen, das ist nun einmal keine Freude.

Drittens: Der Gewohnheit, die fest im Alltag seinen Platz hatte, keinen Raum und keine Zeit mehr zu geben, sorgt für Freiräume. Freiräume bei der Ernährung. Freiräume beim Genuss. Freiräume bei der Freizeitgestaltung. Diese Freiräume zu erkennen und sie bewusst mit neuen Handlungen und neuen „Belohnungen“ zu nutzen, ist der wesentliche Schlüssel zum Erfolg. Es reicht nicht aus, auf etwas zu verzichten. An die Stelle muss etwas treten, was ebenfalls ein Grund zur Freude, zum Wohlfühlen ist. Und seien Sie sicher: Wer sich aufrafft, zum Beispiel an der frischen Luft zunächst regelmäßig spazieren zu gehen, dann immer etwas mehr und vielleicht auch etwas schneller zu gehen, für den entwickelt sich daraus eine neue Gewohnheit. Nach einigen Wochen wird etwas fehlen, wenn die Bewegung aus welchen Gründen auch immer tagelang nicht möglich ist.

Zum Schluss der Praxistest: Wer abnehmen will, der entscheidet sich freiwillig für den Verzicht auf aus seiner Sicht leckeres. Jede Minute mit dem Gedanken, dieses doch so angenehme nicht mehr zu haben, wird zu einer brutalen Herausforderung. Den Bogen um die Schokolade, den Burger oder die Cola zu machen, während viele drum herum wie selbstverständlich zugreifen – kann funktionieren, aber nicht auf Dauer. Meist folgt nach einer Phase des Nein-Sagens die Annäherung zurück und dann ganz langsam wieder die Rückkehr zu dem alten „Futtermuster“. Diesen Ping-Pong-Effekt kennt jeder. Wer im Kopf beim Verzicht nicht den Verzicht hat, sondern ein positives Bild der Zukunft als Ergebnis neuer Gewohnheiten, der hat deutlich mehr Chancen. Der Verzicht wird zur Chance, in einigen Wochen fitter und munterer durch den Alltag zu gehen und sich chick im tollen Kleid oder adretten Anzug zu zeigen. Der Weg dahin ist eine Herausforderung – und kein Verzicht, sondern die Freude auf ein sich wohlfühlen. Und dieser Wunsch, sich besser zu fühlen, ist es, der ja überhaupt dazu führt, dass der Jahreswechsel für Vorsätze so beliebt ist…

* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.

Holger HartwigVon den guten Vorsätzen