Die harten Bandagen im Mediengeschäft

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Wissen Sie, wie in der Medienbranche in den 1990er Jahren – und vielleicht auch noch heute – zwischen Verlagen gesprochen wird, wenn es das Miteinander im Wettbewerb ging? Von „Gesprächen“ kann da nur selten die Rede sein.

Die ersten Erfahrungen, mit welch` harten Bandagen gekämpft wird, habe ich bereits beim SonntagsReport in Leer gesammelt. Der aufstrebende Verlag des Ehepaares Brigitte und Hermann Grave – sie beginnen 1988 aus dem Nichts in der privaten Küche mit dem Zeitungsmachen und ihr Zeitung wächst dann kontinuierlich – steht 1990 mächtig unter Feuer der großen Tageszeitungskonkurrenz. Abgesehen von den „Preiskämpfen“ im Anzeigen- und Beilagenverkauf wird auch auf juristischer Ebene hart gefochten. Einstweilige Verfügungen – vorzugsweise am späten Freitag oder sogar am Sonnabend zugestellt – sollen an einigen Sonntagen die Verteilung der aktuellen Sonntagszeitung verhindern. Es geht damals um die Frage, ob eine Anzeigenzeitung an einem Sonntag verteilt werden darf. Erforderlich ist damals, dass ein bestimmter Anteil der Inhalte „hochaktuell“ ist. Aus heutiger Sicht kann man über diese „Betrachtungsweisen“ nur noch schmunzeln. Gleichwohl geht es bei den Verfügungen meist um viel Geld. Zuwiderhandlungen sollen Strafen von sechsstelliger Höhe nach sich ziehen – und freitags bzw. sonnabends lassen sich solche unliebsamen Angriffe juristisch natürlich nicht mehr allein aus zeitlichen Gründen hundertprozentig abwehren. Graves bleiben mutig, haben guten juristischen Beistand und wehren immer wieder alle „Angriffe“ dieser Art ab. Übernahme- oder Beteiligungsangebote, die es gibt, werden zurückgewiesen. Die Politik des Einschüchterns funktioniert nicht. Die Leserinnen und Leser bekommen von alledem nichts mit. Das ist gut so. Der SonntagsReport erscheint bis zum heuten Tage jedes Wochenende – auch wenn er nach einem Verkauf an die Oldenburger NWZ und dann später dem Weiterverkauf an die Zeitungsgruppe Ostfriesland (u.a. „Ostfriesen-Zeitung“ und „General-Anzeiger“) lange seine Eigenständigkeit und damit auch einen Teil seines journalistischen Profils verloren hat.

Die Herausforderungen mit den Einstweiligen Verfügungen (EV) erlebe ich erneut 1993 in Dresden. Da tobt der große Zeitungskrieg zwischen Gruner & Jahr (Sächsische Zeitung, Dresdner Morgenpost) und Springer (Dresdner Neueste Nachrichten, Bild Dresden) selbst auf der Anzeigenzeitungsebene. Ich bin erst wenige Tage Chefredakteur, als ein EV von Springer bei uns – in diesem Fall der Dresdner Kurier, ein Produkt Gruner & Jahrs – eintrudelt. Es geht in diesem Fall um die Vermischung von redaktionellem Inhalt mit unzulässiger Werbung. Das ist um so erstaunlicher, weil eine Anzeigenzeitung vom Genre her ja schon ausschließlich mit Werbeerlösen produziert, gedruckt und verteilt wird. Jedenfalls wollen die Konkurrenten – nein, das heißt in der Medienbranche lieber „Mitbewerber“ – auf einer Seite der 18 Ausgaben des Kuriers in der tiefsten Oberlausitz einen Verstoß erkannt haben. In einem Text, der nicht als Werbung gekennzeichnet war, steht, dass ein Bäcker tolle Brötchen backt. Das Ergebnis: Mein Verlag soll unterschreiben, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Falls doch – dann sind 500.000 DM fällig. Was das bedeutete? Die EV sorgt dafür, dass ich alle gefühlt 200 Seiten, die wir damals für 630.000 Haushalte produzieren, selbst vor Erscheinen lesen muss, damit sich nicht irgendwo etwas einschleicht, was ein freier Mitarbeiter positiv gemeint, aber eben juristisch nicht korrekt formuliert hat. Es gelingt, es gibt keinen weiteren Ärger – außer, dass die beiden Verlagshäuser dafür sorgen, dass durch weitere juristische Techtelmechtel vor allem die Geldbörsen der beauftragten Rechtsanwälte gefüllt werden. Der Leser bekommt von alledem wieder nichts mit. Und auch das ist gut so.

Die „Zeitungsschlachten“ kennen in diesen Jahren aber nicht nur die juristischen Fehden. Spannend ist es auch, zu erleben, wie die Großen der Branche mit den kleinen umgehen. Ich erinnere mich an zwei Erlebnisse. Beispiel 1: In einer sächsischen Stadt hat ein junger Verlag mit seiner Anzeigenzeitung zu viel Erfolg. Das gefällt dem Großen der Branche nicht. Beispiel 2: Die Geschäftsführung des Wolgaster Anzeiger bemüht sich darum, neue Mitgesellschafter zu finden. Gespräche mit zwei großen Verlagshäusern im direkten Umfeld werde geführt.

Zum Beispiel 1: Wenn also der kleine Verlag in den Fokus des größeren Marktteilnehmers geraten ist und zu einem Dorn im Auge wurde, dann sucht irgendwann der Große den freundschaftlichen Kontakt. Man könne sich ja mal über die Lage insgesamt und allgemein unterhalten. Gerne wird dabei auch schon ein wenig darüber gesprochen, wo die Reise hingehen könnte und dass „wir als großer Marktteilnehmer natürlich ganz andere Möglichkeiten haben“. Der Dialog ist freundlich – und man vereinbart, sich regelmäßig treffen zu wollen. Das passiert dann auch. Im zweiten Gespräch – der Große hat im Wettbewerb dann in der Regel schon etwas seine finanziellen Muskeln im Wettbewerb durch gezieltes Abwerben einzelner Kunden spielen lassen – wird der Dialog dann etwas zielgerichteter. Dem Kleinen wird aufgezeigt, dass man sich gut vorstellen könnte, den Markt auch gemeinsam zu bearbeiten. Kooperationen als erster Schritt, Beteiligung und ggf. vollständige Übernahme in einer der nächsten Schritte. Gerne wird auch schon mal aufgezeigt, dass eine Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zeitnah erfolgen solle und man sich jederzeit über einen Anruf zwecks Aufnahme von Gesprächen freue. Passiert dann nichts, wird der Ton in einem weiteren Telefonat rauer – und wenn es dann aus Sicht des Großen keine Kooperationsbereitschaft gibt, dann wird halt der Markt mit aller Macht – mehr Personal, mehr Redaktion, Dumpingpreise – neu in Angriff genommen, um dem Kleinen die Grundlage zu entziehen. Meist kommt es zu diesem Schritt nicht. Kooperation ist für den kleineren die sichere Alternative und am Ende wirtschaftlich auch lohnenswertere Alternative…

Beispiel 2: Der Verlag führt ein erstes Gespräch und präsentiert dabei – um eine Grundlage für Verhandlungen zu haben – auch die aktuellen betriebswirtschaftlichen Daten. Diese Daten sind ansonsten meist eines der bestgehütesten Geheimnisse, da bis heute fast alle Verlage über Gesellschaftskonstrukte (GmbH & Co. KG) eine jährliche Veröffentlichungspflicht zu verhindern wissen. So erfährt man auch nur absolut selten, wie hoch die Umsatzrendite bzw. der Jahresüberschuss ist, aber das ist ein weiteres spannendes Thema der Medienwelt. Der kleine Verlag legt also alles auf den Tisch, der Austausch verläuft harmonisch und es sieht gut aus. Dennoch entscheidet sich die Geschäftsführung, mit einem weiteren Nachbarverlag – auch er ist ein von einem Westkonzern übernommenes SED-Bezirksblatt – zu sprechen. Nach dem üblichen langsamen Gesprächseinstieg soll es dann zur Sache gehen. Der Chef des kleinen Verlages will gerade die ersten Zahlen und Zusammenhänge vorstellen, da wird er unterbrochen. Zitat: „Das können Sie sich sparen. Wir haben alles vorliegen und bereits analysiert“. Woher er die Daten und Fakten hatte? Das verrät er natürlich nicht. In Frage kommt nur der andere „Große“. Beide waren – wie sich später ergab – in einem intensiven Austausch und hatten die Märkte bereits abgesteckt und später auch gemeinsam einen den größten Wochenzeitungsverlag „blitzartig“ übernommen. Beim Wolgaster Anzeiger bleibt der Einstieg eines der Großen aus – stattdessen wissen sie seinerzeit genau, was sie machen müssen, um dafür zu sorgen, dass der kleine, schwer angeschlagene Verlag vollständig von der Bildfläche verschwindet. Das gelingt wenige Monate später. Der Wolgaster Anzeiger wird eingestellt – so wie etwa 95 Prozent aller Zeitungsneugründungen in den neuen Bundesländern. Die restlichen fünf Prozent gehörten damals entweder bereits großen Verlagen oder wurden übernommen.

Heute kennt dieses Spiel – vielleicht passt der Titel „Zeitungsmonopoly“ – angesichts der Entwicklung der digitalen Medien neue Gesetze. Geblieben ist, dass es zu einer immer größeren Konzentration bei den klassischen Medienhäusern kommt. Lediglich Start-Ups sorgen für frischen Wind – und werden dann auch gerne mal von den immer noch kapitalstarken Medienhäusern „eingebunden“.

Symbolfoto: brotiN biswaS, pexels

Holger HartwigDie harten Bandagen im Mediengeschäft