Von Holger Hartwig*
Der Mensch ist ein „Gewohnheitstier“. Er regelt seinen Alltag, Überraschungen sind eher eine Seltenheit. Last und Lust in der Familie, im Job und in der Freizeit werden meist strukturiert und geregelt ausgelebt. Es ist „alles in Ordnung“ und die Zufriedenheit mit sich und der Welt ist – meist – hoch. Nun ist es im Alltag allerdings üblich, dass sich Umstände und Menschen verändern oder jeder einzelne für sich den Wunsch hat, an seinem Leben Veränderungen vorzunehmen. Das ist auch gut so, denn jeder Wunsch nach Veränderung ist Ausdruck einer Neugier auf etwas Neues bzw. Anderes. Diese Neugier ist es, die ein Anzeichen ist, ob jemand noch jung im Kopf ist, oder sich – völlig losgelöst vom biologischen Alter – bereits auf das „Altsein“ zurückgezogen hat. Hart ausgedrückt: Wer nichts Neues mehr wagt, das Interesse an Veränderung und damit Flexibiltät verliert, der geht im Kopf und im Leben Stück für Stück gezielt dem Ende entgegen.
Allerdings ist es mit den Veränderungen im Leben eine echte Herausforderung. Denn, wer auf etwas verzichtet oder etwas ändert, der tut gut daran, sich gleich die Frage zu beantworten, was an die Stelle des Alten tritt. Was damit gemeint ist?
Fragen Sie einmal einen Menschen, der sich überlegt hat, mit dem Rauchen aufzuhören. Abgesehen, dass dort auch eine Sucht nicht mehr befriedigt wird, beschäftigen sich die meisten „Das war meine letzte Kippe“-Menschen mit der Frage, wie sie dem Zigarettenkonsum ein Ende setzen können. Sie fragen sich nicht, was anstelle des Konsums tritt (er „kostet“ Zeit, Geld und gibt ja eine gewisse Befriedigung). Das Weglassen des Rauchens ohne eine bewusste Kompensation führt dazu, dass „Ressourcen“, die bisher durch das strukturierte und wiederkehrende Rauch-Verhalten gebunden waren, auf dem Markt sind. Sie werden sozusagen zu „vagabundierenden“ Ressourcen.
Nun wird es spannend: Was machen diese vagabundieren Ressourcen? Wo docken Sie an? Wo werden Sie durch welches Verhalten bzw. Handeln durch den Menschen neu gebunden? Eines ist klar: Diese freien Ressourcen wollen nicht ungenutzt bleiben.
Was passiert also bei dem Raucher, der unbedacht die Ressourcen freigesetzt hat? Er macht mal dies, macht mal das. Gerne wird als „Ersatzhandlungen“ zur Nutzung von Zeit und dem emotionalen Gefühl, etwas im Mund zu haben, zur Tüte Gummibärchen gegriffen. Der Nebeneffekt ist hinlänglich bekannt. Manch anderer findet gar keine Lösung, um die freigewordene „Ich-rauch-nicht mehr“-Ressource anderweitig zu „nutzen“ – und irgendwann landet er wieder bei der Zigarette.
Wer also den Wunsch verspürt, in seinem Leben eine Veränderung vorzunehmen, für den ist es sinnvoll, nicht nur darüber nachzudenken, auf was er verzichten möchte. Vielmehr kommt es darauf an, für die „freiwerdende Ressource“ eine sinnvolle Verwendung zu finden. Das kann eine andere Form des Genusses sein. Das kann die Kompensation durch Sport sein oder eben auch eine – bewusste – Form des Nichtstuns. Entscheidend für den Erfolg der Veränderung ist, ob und wie schnell es gelingt, dafür zu sorgen, dass die freien Ressourcen wieder im Alltag sinnvoll, erfüllend und beglückend gebunden werden. Dann – um das Beispiel des Rauchers wieder aufzugreifen – wird aus der „Das ist jetzt meine letzte Zigarette“ wirklich die letzte Kippe des Lebens.
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.