Wenn Redewendungen viel verraten

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Von Holger Hartwig*

Kindermund tut Wahrheit kund – heißt es. Doch das mit dem Mund gilt keineswegs nur für den Nachwuchs. Wenn erwachsene Menschen miteinander reden, dann kommen sehr gerne auch Redewendungen zum Einsatz. Sie sind oft nur so daher gesagt sind, haben aber meist einen viel tieferen Kern. Sie können einiges über den inneren seelischen Zustand eines Menschen „verraten“ oder geben Auskunft darüber, was ein anderer gerade über einen denkt. Denn: Der Volksmund hatte schon immer ein sehr gutes Gespür für die Zusammenhänge des menschlichen Geist-Körper Systems.Die Liste der Redewendungen, die psychosomatisch betrachtet, interessant sind, ist lang. Hier eine kleine Auswahl:

„Mir sitzt etwas im Nacken“

„Mir platzt gleich der Kragen“

„Das liegt mir schwer im Magen“

„Das geht mir an die Nieren“

„Das steckt mir in den Knochen“

„Ich habe es endgültig satt“

„Ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut“

„Wenn es einem das Herz zerreißt“

„Das kratzt mich sehr“

„Das juckt mich nicht“

„Das kotzt mich an“

„Wer wird denn da gleich vor Neid erblassen“

„Lass Dir mal keine grauen Haare wachsen“

„Sie hat Nerven wie Drahtseile“

„Das willst Du bloß nicht hören“

Die scheinbaren Floskeln sind immer ein Ausdruck des Zusammenspiels zwischen Körper und Seele und sind für Mediziner ein wichtiges Hilfsmittel in der Diagnostik. Einerseits beziehen sie sich auf körperliche Phänomene, die Dritte wahrgenommen haben, und andererseits zeigt der Verwender bzw. Patient selbst bereits ein erstes Erklärungsmodell für seine Beschwerden oder Sorgen an.

Warum ist das so? Es geht um die Brücke zwischen Seele und Körper, das vegetative Nervensystem. Dieses kommuniziert – so ist sich die Medizin einig – unter Belastung mit den verschiedenen Organen. Beispielsweise ist der Sympathikus bei Stress für die Anspannung im Körper verantwortlich, der Parasympathikus sorgt für die anschließende körperliche Erholung und Regeneration. Lebt der Mensch dauerhaft im inneren Gleichgewicht, dann agiert dieses System sehr gut und fördert das Wohlbefinden.

Bei Dauerstress kommt es zur sympathischen Überaktivität, die sich bei längerem Andauern in körperlichen Symptomen widerspiegelt.

Die psychosomatischen Redewendungen sind hilfreich, um dem geistigen Anteil an körperlichen Erkrankungen auf die Spur zu kommen. Rücken- und Magenschmerzen, Hautprobleme, allgemeines Unwohlsein – die Beschwerden sind real. Um mögliche Zusammenhänge mit dem „Denken im Kopf“ zu erkennen, ist es ratsam, die Lebenssituation einmal aufmerksam mit Blick auf die körperlichen Beschwerden zu prüfen. Manchmal reicht es dann schon aus, zu wissen, woher das Leiden kommt, damit es sich nach und nach immer weniger äußert.

Aber Vorsicht: Die Achtsamkeit sich selbst gegenüber sollte niemals dazu führen, nicht auch einen Mediziner aufzusuchen. Die Kombination mit der Untersuchung der Symptome durch den Mediziner ist unerlässlich – der Blick auf die selbst gewählten Worte oder die Formulierungen Dritter kann jedoch sehr aufschluss- und damit hilfreich sein.

* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er unterstützt Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.

Holger HartwigWenn Redewendungen viel verraten