Aufgeschnappt – 21. März 2021

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Von Kandidaturen

Schon in alten Rom galt: Manchmal wird der Überbringer der Nachricht umgebracht. Und so kam es mir auch am vergangenen Sonntag und an den Tagen danach vor, als teils heftige Reaktionen auf mich einprasselten wegen der Berichterstattung über das Comeback von Gerd Koch in der Leeraner Stadtpolitik. Mir ist es wichtig klarzustellen: Wenn ich über den verurteilten Volksverhetzer Koch und seine politischen Ambitionen schreibe, dann bedeutet das keineswegs, dass ich mit seinen Äußerungen, für die er rechtskräftig verurteilt wurde, sympathisiere.

Und es ist schon gar nicht als Werbung für Herrn Koch zu verstehen. Das würde inhaltlich und sprachlich viel besser gehen als es in der vergangenen Woche geschehen ist. Wenn ich das System Koch beschrieben habe, dann nicht, weil ich damit irgendwelche Bewertungen vornehmen will, sondern um zu zeigen, wie aus meiner Sicht der Erfolg Koch trotz seiner grenzwertigen Äußerungen möglich ist. Als Redakteur habe ich gelernt, dass es die Aufgabe ist, Themen aufzugreifen. Von meinen Eltern und auch in der Schule habe ich gelernt, dass es nicht hilft, ein Thema zu verschweigen. Das macht es nur schlimmer. Wenn etwas Sache ist, dann muss es angesprochen werden und man muss sich der Situation stellen. Und genau das ist jetzt – wie schon seit 30 Jahren – die Aufgabe der übrigen Politiker der Kreisstadt. Macht einen guten Job, zeigt Euch in den Nachbarschaften und in den Vereinen, kümmert Euch um die Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger und findet Lösungen. Denn die meisten Menschen – nicht alle, es gibt auch bedauerlicherweise, welche, die warum auch immer anders ticken – wählen die, die etwas bewegen, die etwas voranbringen bzw. die sich kümmern. Bis zur Wahl ist noch Zeit. Zeit, die es zu nutzen gilt, um Argumente für sich zu liefern. Es bleibt spannend und es wird noch viel zu berichten geben, denn wir leben ja nicht im alten Rom…

Von Maskenprofiteuren, Teil 2

Über die Profite, die einzelne CDU-/CSU-Politiker mit den Masken in der Pandemiezeit gemacht haben, ist an vielen Stellen wie auch hier ausreichend geschrieben worden. Doch mit den Masken haben nicht nur einige der mittlerweile Ex-Volksvertreter gut verdient, sondern auch die Apotheker landauf landab. Das ist jedoch bisher weitgehend unter dem Radar geblieben. Am gestrigen Samstag hat ein Apotheker aus Bergisch-Gladbach im „Spiegel“ Klartext geredet. Für die Apotheker ist die Verteilung der Masken an die Bevölkerung der „Deals des Lebens“. Warum? Markus Kerckhoff hat den Mut, die Zahlen zu nennen. Vater Staat sicherte den Apothekern zu Beginn pro verteilter Maske satte sechs Euro zu, später dann 3,90. Laut Kerckhoff konnte er jedoch eine Maske für 1,20 Euro pro Stück über den Großhandel einkaufen. Für jeden Kunden, der mit einem Coupon für sechs Masken kam, wären das bis zu 36 Euro Einnahme bei 7,20 Ausgaben gewesen. Was für ein Riesengeschäft! Um möglichst viele Masken mit dieser Gewinnspanne unters Volks zu bringen, seien Apothekerkollegen recht kreativ gewesen. Der eine bringt Masken per Taxi zum Kunden, der andere versüsst die Coupon-Einlösung mit Gutscheinen für amazon etc. Kerckhoff und seiner Frau sind sich sehr schnell einig gewesen, dass sie mit der Maskenverteilung in Pandemiezeiten kein Geld in diesem Größenordnungen verdienen wollten, während der Cafébetreiber oder der Textilhändler auf der anderen Straßenseite um ihre Existenzen bangen. Deshalb habe sich das Ehepaar entschieden, jedem Kunden statt einer bis zu sechs Masken zu geben (und hat dafür als Dankeschön auch noch eine Abmahnung von der Wettbewerbszentrale bekommen!). Das sei der beste Weg gewesen, um gegen die Pandemie etwas zu tun. Da stellt sich für mich die Frage: Wie haben das die Apotheker hier in der Region gehandhabt? Mein Vorschlag: Fragen Sie beim nächsten Apotheken-Besuch doch einfach mal nach, wie Ihr Apotheker darüber denkt. Fragen Sie, ob bei ihm die Freude (Gier) auf Euros gesiegt hat oder der Anstand? Und schreiben Sie mir, wie die Antwort ausfällt (Mail an hh@hartwig-am-sonntag.de). Gerne veröffentliche ich dann hier mit Namen der hiesigen Apotheker, die auf den Deal ihres Lebens verzichtet haben (ohne den Anspruch auf Vollständigkeit, bevor es dann zu Kritik kommt). Besten Dank für Ihre Unterstützung!


Vom Fußgängerzonenbaum – Teil 2

Für viele Diskussionen hat der Beitrag über den Fußgängerzonenbaum in der vergangenen Woche an dieser Stelle in den sozialen Medien gesorgt. Viele Leeranerinnen und Leeraner beschrieben ihr Unverständnis über die Planungen der Bäume, Leuchten und Bänke und fragten sich, wieso es nicht möglich sei, die Interessen der Geschäftsleute besser bei der Neugestaltung zu berücksichtigen. Auch die Stadtverwaltung und Bürgermeisterin Beatrix Kuhl reagierten auf die teilweise recht heftigen Angriffe und stellten ausführlich da, warum und wieso die Planungen einer neuen Fußgängerzone nicht so einfach seien. Es gäbe Leitungen im Boden, Abstände müssten eingehalten werden etc. Zudem habe man alles mit den Anliegern besprochen. Vor allem dieser Hinweis sorgte dann für weiteren Unmut und Reaktionen – auch von Geschäftsleuten, die sich eben nicht eingebunden fühlten. Donnerstag dann suchte Bürgermeisterin Beatrix Kuhl das direkte Gespräch mit Murat Sat, dem Inhaber des Mangal, vor dem der Baum nun seit einigen Tagen steht. Das Ergebnis: Der Baum bleibt stehen, denn es geht nicht anders und das Ausbuddeln und ggf. versetzen hätte einiges an Geld gekostet und die Gesamtkonzeption aus Grün, Licht und Bänken verändert. Allerdings verständigten sich Sat und Kuhl darauf, dass der Gastronom seine Außenfläche zur anderen Seite erweitern darf und dort geplantes Stadtmobiliar nicht aufgestellt wird. Mal sehen, ob das dann am Ende für beide Seiten „passt“. Und man darf gespannt sein, wie es bei dem weiteren Ausbau der Fußgängerzone weitergeht. Es wird nicht die letzte Diskussion um die neue Prachtgasse in Leer gewesen sein…


Von Hafengebühren

Vergangenen Woche habe ich ausführlich über den Hafen berichtet. Dabei wurde deutlich, dass der Betrieb immer ein Zuschussgeschäft bleibt. Eine Rückmeldung zu dem Thema fand ich dann doch nett. Ein Bootseigentümer ließ mich wissen, dass die Stadtwerke bzw. die Stadt ja bereits aktiv erste Maßnahmen ergriffen hätten, um das Defizit zu reduzieren. Man habe die Gebühren für das Liegen der Boote im Hafen um 50 Prozent erhöht. Ursprünglich sei wohl sogar vorgesehen gewesen, die Liegegebühren zu verdoppeln, aber da habe dann ein Teil der Politik nicht mitgespielt. Mit einem Schmunzeln kam die Ergänzung des Eigentümers: Möge der kleine vierstellige Betrag der Stadt weiterhelfen und nicht jedes Jahr weiter erhöht werden. Und ja, in den Niederlanden gebe es auch schöne Liegeplätze – man könne sich ja mal umhören. Wie geschrieben: Es wird Zeit, dass in Leer entschieden wird, wo die Reise mit Hafen konzeptionell hingehen soll…


Von Fehlentscheidungen

Wissen Sie, was die aus meiner Sicht größte Fehlentscheidung der Politik in Niedersachsen in den zurückliegenden Jahrzehnten ist? Ganz einfach: Der Wechsel in der Kommunalpolitik zur eingleisigen Rat-, Gemeinde- oder Kreishausspitze. Denn während es bis Mitte der 1990er Jahre einen Chef der Verwaltung mit unzähligen erforderlichen Ausbildungen und Qualitäten – er nannte sich Gemeinde-, Stadt- oder Oberkreisdirektor – gab, gibt es jetzt nur noch einen Landrat und Bürgermeister (oder *in). Diese neue eingleisige Funktion erfordert in gewisser Weise eine „eierlegende Wollmilchsau“. Einerseits soll mit Fachkenntnis eine Verwaltung und damit die Entwicklung der Kommune rechtssicher vorangebracht werden, andererseits ist diese Person auch als Repräsentant bei Veranstaltungen, bei hohen Geburtstagen oder Hochzeitstagen gefragt. Abgesehen, dass auch für diesen „Eingleisigen“ der Tag nur 24 Stunden hat, hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass es nur wenige Naturtalente gibt, die sowohl die Verwaltung fachlich exzellent führen als auch den „Grüßonkel“ bzw. „Strippenzieher“ hinter den politischen Kulissen beherrschen. Meist ist der/die Bürgermeister/in das eine oder das andere. Mit Blick auf die Kommunalwahlen wünsche ich mir, dass die Bewerber eindeutig sagen, wofür sie stehen und sich dann auch stärker auf eine der beiden Aufgaben konzentrieren. Entweder die Verwaltung führen und wenig Repräsentanz und Politik machen (dafür gibt es dann die Stellvertreter, Rats- und Fraktionsvorsitzenden) oder jeden Termin wahrnehmen und die fachliche Arbeit durch die zweite Reihe im Rat- oder Kreishaus machen lassen. Aber wer in diesem Punkt für Klarheit bei den Wählerinnen und Wählern sorgt, meint ja bestimmt, dass das Stimmen kosten könnte. Vielleicht aber auch eben nicht, weil das eindeutige Benennen zum Rollenverständnis für Vertrauen beim Wähler sorgt. Jeder weiß dann, was er wählt. Kann nicht schaden, oder?

Von einer guten Idee

Leere Turnhallen, kein Vereinssport und die Familien mit Kindern „hocken“ zuhause herum? Das muss nicht sein, haben sich der Turnkreis Leer, der SC 04 Leer und der SV Frisia Loga gedacht. Nachdem mit den zuständigen Ämtern alle Fragen geklärt waren, gelang es in diesen Tagen erstmals, Familien mit ihren Kindern jeweils für 45 Minuten eine Turnhalle – die der Ludgerischule und Daalerschule –  zum Toben kostenlos zur Verfügung zu stellen. Die Verein organisieren die Zeitvergabe und die Einhaltung der Hygienevorschriften inklusive Desinfektion. Kompliment an alle, die das ermöglichen. Eine tolle Idee, die viele Nachahmer finden sollte!


Digitaltipp zum Sonntag: Leer vor 30 Jahren

„Abgebrannt, aber glücklich – Leer war mal die ärmste Stadt Deutschlands“ – das ist der Titel einer Geschichte, die der Nachrichtensender n-tv auf seiner Homepage über die Kreisstadt stehen hat. Die Ledastadt ist ein Teil einer Reportageserie über mittelgroße Städte in Deutschland. Vor 30 Jahren – so schreibt der Autor – sei Leer noch eine echte Industriestadt gewesen…

Klicken Sie sich rein (aber erst, wenn Sie auf Hartwig am Sonntag alles gelesen haben) in diese historische Betrachtung und machen Sie gedanklich einmal den Abgleich, wie es heute in der Stadt aussieht.

Hier der Link:

https://www.n-tv.de/politik/Leer-war-mal-die-aermste-Stadt-Deutschlands-article20306433.html?fbclid=IwAR2iaXAMXzflsbmf8yscvCv9QJfJagUGR7IVFUhoa4GKMPNWYWvXUXTOuuA

Munter holln. Schönen Sonntag

HH

Kritik, Fragen, Ideen: Mail an hh@hartwig-am-sonntag.de

Kommentar von Bernd Brand (Westoverledingen), 21. März 2021, zu „Von Fehlentscheidungen“

Einseitigkeit kann nicht gut gehen

„Den Bericht betr. der eingleisigen Rat-, Gemeinde- und Kreishausspitze fand ich unheimlich treffend. Genau da   zeigt sich in den Rathäusern ein großes Manko und da liegt vieles im Argen. Ein Bürgermeister kann keine Verwaltung mit 350 Mitarbeitern leiten und den Überblick haben, während er andererseits ständig als Grußonkel unterwegs ist und repräsentative Aufgaben erledigen muss.  Das ist auch der Grund, warum in Papenburg wenig funktioniert. Und wenn man sich einmal die Kandidaten für die nächste Bürgermeisterwahl ansieht, wird mir Angst und Bange. Das kann gar nicht gutgehen.“


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    Holger HartwigAufgeschnappt – 21. März 2021