Bürgergeld: Zahl der Pflichtverletzungen und Verstöße geht stark zurück

Artikel teilen

LEER Der Landkreis Leer bzw. das Jobcenter haben sehr umfangreich auf die Anfrage zur Arbeit des Jobcenters und zur Situation der Bürgergeld-Empfänger geantwortet. Lesen Sie nachfolgend die Antworten im vollständigen Wortlaut.

Fragen zur Struktur des Jobcenters/ Zentrum für Arbeit (ZfA)

Wie viele Mitarbeitende hat das ZfA aktuell? Wie hat sich die Zahl seit der Gründung des ZfA entwickelt (grob, nicht jahresbezogen)?

Anzahl der Mitarbeiter des ZfA inkl. Leistungssachbearbeitung in den Heranziehungsgemeinden in Vollzeitäquivalenten (VzÄ) Stand 2023 mit Vergleich als Veränderung in % zu Vorjahren:

VzÄ in 2023 Veränderung 2023 zu 2019 Veränderung 2023 zu 2014 Veränderung 2023 zu 2006
170,02 -5,7% -20,4% -23,5%

Wie viele der Mitarbeitenden sind davon reine „Jobvermittler“, d.h. in der Kundenbetreuung tätig?

In der für die Arbeitsmarktintegration verantwortlichen Abteilung „Arbeit“ sind aktuell insgesamt 81 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, die durch direkte Vermittlungstätigkeiten oder im Rahmen einer Mitarbeit in Stützprozessen für die Vermittlungstätigkeiten an der Integration von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in den Arbeitsmarkt beteiligt sind. Davon sind aktuell 46 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als reine Integrationsfachkräfte und Arbeitsvermittlerinnen tätig.

Wieviele Kunden betreut ein Jobvermittler?

Mit dem aktuellen Personalbestand betreut eine Integrationskraft in Vollzeit durchschnittlich 166 erwerbsfähige Leistungsberechtigte.

Wie hoch sind die jährlichen Kosten für das ZfA? Wie setzten sich diese zusammen? Wie haben sich diese entwickelt? Hat bzw. welchen Anteil hat davon der Kreis Leer zu tragen?

Für das Haushaltsjahr 2023 wurde nach der Kommunalträger-Abrechnungsverwaltungsvorschrift (KoA-VV) für das Jobcenter Leer (inkl. Heranziehungsgemeinden) folgende Gesamtkosten für Verwaltungskosten, deren Verteilung sowie kommunaler Finanzierungsanteil (KFA = Anteil für Landkreis Leer) ermittelt:

Gesamtkosten: 13.116.241,43 Euro; Anteil Landkreis: 1.993.668,70 Euro (15,2 Prozent)

Im Vergleich zu 2014 haben sich die Verwaltungskosten Gesamt sowie der KFA wie folgt entwickelt:

Veränderung 2023 zu 2014
Gesamtkosten VWK inkl. KFA + 2.177.489,45 €
kommunaler Finanzierungsanteil (KFA) + 330.913,45 €

 

Fragen zur Bedarfsgemeinschaften

Wie viele Bedarfsgemeinschaften (BG) betreut das Jobcenter aktuell?

Im März 2024 wurden im Landkreis Leer 4.927 BG betreut. Diese Zahl ist noch nicht festgeschrieben, das heißt sie kann sich noch bis zum Juni 2024 geringfügig ändern. (Hinweis: Die Agentur für Arbeit bildet in ihrer Statistik Daten mit einer „Wartezeit“ von 3 Monaten (sog. T -3-Daten) ab. Erst nach dieser Wartezeit werden die Zahlen abschließend statistisch festgeschrieben.)

Wie hat sich diese Zahl im vergangenen Jahr entwickelt? Wie viele BG gab es 2019 und 2014, für die das ZfA zuständig war?

Im März 2019 waren es noch 5.036 und im März 2014 5.416 BG.

Wie hoch sind die Gesamtkosten für diese Bedarfsgemeinschaften?

Die Zahlen für das Jahr 2023 werden erst im Lauf dieses Monats veröffentlicht. 2022 hatten die BG im Landkreis Leer einen gesamten Zahlungsanspruch von 58.129.026 €. 2014 betrug die Summe noch 48.124.499 €. Der letzte festgeschriebene Monatswert ist November 2023. Hier lag der Anspruch bei 4.886.000 € (4.901 Bedarfsgemeinschaften).

Wie lange ist die durchschnittliche Bezugsdauer von Leistungen der Bedarfsgemeinschaften?

Die neuesten Zahlen liegen vom November 2023 vor und beziehen sich auf alle erwerbsfähigen und nichterwerbsfähigen (in erster Linie Kinder unter 15 Jahre) Regelleistungsbeziehenden. Die Zahl betrug 9.473. Die Bezugsdauern teilen sich gemäß statistischer Auswertung der Bundesagentur für Arbeit (BA) prozentual in folgende Cluster:

unter
3 Monate
3 bis unter
6 Monate
6 bis unter
12 Monate
1 bis unter
2 Jahre
2 bis unter
3 Jahre
3 bis unter
4 Jahre
4 Jahre
und länger
             8,6            10,2            15,7            18,5              8,1              7,0            31,9

 

Wie entwickelt sich die Zahl der Leistungsbezieher bezogen auf die Altersklassen (z.B. unter 18, unter 25, über 50 Jahre, über 60 Jahre)? Gibt es signifikante Veränderungen in den vergangenen Jahren?

Die Bundesagentur (BA) hält in ihren Standardauswertungen die Altersgruppen wie im unteren Ausschnitt vor. Die Zahl der Leistungsbeziehenden ist trotz der hohen Zahl an zugewanderten Geflüchteten, die neu im SGB-II-Bezug sind, rückläufig. 

Fragen zur Jobvermittlung  

Wie viele der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaften gelten als „arbeit-/erwerbs-/vermittlungsfähig“?

Personen, die der Vermittlung zur Verfügung stehen werden, als arbeitsuchend bezeichnet. Im März 2024 waren 4.928 erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB) arbeitsuchend.

Wie viele Jobvermittlungen konnten im Jahr 2023 vorgenommen werden? Ist die Tendenz steigend/fallend?

2023 wurden 1.219 ELB in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen integriert. 339 ELB wurden in geringfügige Beschäftigungen integriert.  In 2024 sieht das Jobcenter Leer trotz der seit 2022 gestiegenen Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die Möglichkeit, eine leichte Steigerung der Integrationen zu erzielen und hat eine entsprechende Zielvereinbarung mit dem Land Niedersachsen geschlossen.

Gibt es Statistiken, wie lange vermittelte Leistungsempfänger in den Unternehmen verbleiben? Wie ist da die langfristige Entwicklung?

Seitens der kommunalen Jobcenter gab es im Arbeitskreis „Datenübermittlungsverfahren“ wiederholt diesbezügliche Anfragen an die Statistikhauptstelle der Bundesagentur für Arbeit. Die Antwort war, dass ein solche Statistik nicht möglich sei. Auch die Kammern führen eine solche Statistik nicht. Für Jobcenter gibt es keine rechtliche Handhabe, von ehemaligen ELB solche Auskünfte zu ermitteln und dann statistisch aufzubereiten.

Wie viele Weiterbildungsmaßnahmen wurden 2023 für welche Personenkreise angeboten und umgesetzt?

Laut Bericht an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales haben 2023 108 ELB an beruflichen Weiterbildungen (bW) nach §§ 81 ff SGB III teilgenommen, 45 endeten mit einem beruflichen Abschluss (sogenannte Umschulungen), 63 bW waren Weiterbildungen.

Grundsätzlich können alle ELB an bW teilnehmen. Im Einzelfall wird entschieden, für welche ELB eine bW zielführend ist. Umschulungen fanden 2023 in verschiedensten Berufen statt. Es wurden auch Gruppenmaßnahmen angeboten.

Neben den beruflichen Weiterbildungen gab es 2023 2.347 Teilnahmen an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung (MbE) nach § 45 SGB III, 231 Förderungen schwer zu erreichender junger Menschen nach § 16h SGB II und 1.119 fremdgeförderte Maßnahmen (u.a. 802 Integrationskurse gefördert vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).

Was sind die Schwerpunkte in den Weiterbildungsmaßnahmen?

30 von 63 berufliche Weiterbildungen erfolgten 2023 im Bereich Betreuung und Pflege, die übrigen überwiegend im technischen Bereich. Die MbE hatten u.a. Schwerpunkte wie Förderung von Frauen und Familien und Förderung von Geflüchteten und ELB mit Migrationshintergrund. Darüber hinaus wurde in der Jugendberufsagentur eine Maßnahme nach § 16h SGB II für junge ELB angeboten.

Fragen zum Umgang mit Leistungsempfängern:

 Wird ermittelt, wie hoch die Quote von Absagen von Terminen von Leistungsempfängern ist? Wenn ja, wie hat sich diese entwickelt?

Eine Quote für abgesagte Termine wird nicht ermittelt. Die Gründe für die Absage von Terminen hängen von der individuellen Situation der Leistungsberechtigten ab. Seit der COVID-19-Pandemie erfolgt die Kommunikation vermehrt digital oder telefonisch. Eine Bewertung der Anzahl der Absagen hätte aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen nur eine eingeschränkte Aussagekraft.

Stichwort Leistungskürzungen/Sanktionen:

Wann erfolgen beispielsweise Kürzungen der Leistungen?

Das hiesige Ziel ist eine gute Kommunikation und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Leistungsberechtigten. Leistungsminderungen werden nur sekundär eingesetzt, um die Einhaltung der Mitwirkungspflichten zu fordern. Daher erfolgen Einladungen zu persönlichen Terminen zunächst ohne eine Belehrung zu möglichen Rechtsfolgen, solange die Leistungsberechtigten zu den vereinbarten Terminen erscheinen. Daneben sind Aufforderungen zur Meldepflicht mit Rechtsfolgen möglich. Der Zweck der Meldetermine ist zum Beispiel die Berufsberatung oder die Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit. Wer ohne wichtigen Grund einen solchen Termin versäumt, dem kann das Bürgergeld gekürzt werden (Meldeversäumnis).

Ein zentraler Baustein der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Leistungsberechtigten ist der Kooperationsplan. Mit dem Kooperationsplan werden zwischen den Integrationsfachkräften und den Leistungsberechtigten gemeinschaftliche Ziele vereinbart. Wenn Leistungsberechtigte eine partnerschaftliche Zusammenarbeit nachhaltig verweigern, werden die Mitwirkungspflichten eingefordert.

In diesem Zusammenhang kann der Regelbedarf gekürzt werden, wenn jemand zum Beispiel eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne wichtigen Grund ablehnt (Pflichtverletzung). Es ist auch nach einer Leistungsminderung unser Bestreben, möglichst schnell zu einer freiwilligen Kooperation zurückzukehren, um den Leistungsberechtigten bei der Überwindung der Hilfebedürftigkeit zu helfen.

Wie sehen derartige Kürzungen in der Praxis aus? In welchen Größenordnungen wird gekürzt?

Es wird unterschieden zwischen Meldeversäumnissen und Pflichtverletzungen. Bei Meldever-säumnissen mindert sich der Regelbedarf um 10 % für einen Monat. Bei Pflichtverletzungen erfolgt bei wiederholten Verletzungen eine stufenweise Erhöhung der Minderungen. Bei der ersten Pflichtverletzung wird der Regelbedarf um 10 % für einen Monat gekürzt. Bei einer zweiten Verletzung innerhalb eines Jahres wird die Leistung um 20 % für zwei Monate gemindert. Bei jeder weiteren Wiederholung innerhalb eines Jahres wird um 30 % für drei Monate reduziert. In jeder Kombination sind die Minderungen auf höchstens 30 % des Regelbedarfs pro Monat beschränkt.

Die Leistungen für Unterkunfts- und Heizkosten werden nicht gemindert, um die Wohnung des Leistungsberechtigten nicht zu gefährden. Zudem kann eine besondere Härte vorliegen, wodurch auf eine Minderung verzichtet werden kann. Der Minderungszeitraum bei Pflichtverletzungen wird auf einen Monat verkürzt, wenn die Leistungsberechtigten ihre Pflichten nachträglich erfüllen.

Wie hat sich die Zahl der Kürzungen in den vergangenen Jahren entwickelt? Was waren die Hauptgründe für Sanktionen?

Die Entwicklung der Leistungsminderungen lässt sich aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung und den Gesetzesänderungen der letzten Jahre nur eingeschränkt vergleichend darstellen. Zunächst hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 05.11.2019 (Az: 1 BvL 7/16) entschieden, dass die Leistungskürzungen teilweise verfassungswidrig waren. Damit war der Gesetzgeber zur Neuregelung aufgefordert.

In der Übergangszeit konnten die bestehenden gesetzlichen Vorgaben nur unter Einhaltung der verfassungsrechtlichen Entscheidung umgesetzt werden. Während der COVID-19-Pandemie waren teilweise gar keine persönlichen Meldetermine möglich. Bis zur Einführung des Bürgergeldes und der Neuregelung der gesetzlichen Grundlage zur Leistungsminderung gab es ab Juli 2022 ein Sanktionsmoratorium, wodurch die Leistungsminderungen für Pflichtverletzungen vollständig ausgesetzt wurden. Meldeversäumnisse hatten in dieser Übergangszeit andere Voraussetzungen.

Insgesamt hat sich die Anzahl der Leistungsminderungen erheblich reduziert. Diese Reduzierung ist insbesondere auf das Bürgergeld und die damit verbundene Neuregelung zurückzuführen. In quantitativer Hinsicht sind Meldeversäumnisse der Hauptgrund für Leistungsminderungen.

Meldeversäumnisse
Info
2018 801
2019 612 Bundesverfassungsgerichtsurteil 05.11.2019
2020 300 COVID 19-Pandemie
2021 223 COVID 19-Pandemie
2022 211 COVID 19-Pandemie/Sanktionsmoratorium
2023 366
Pflichtverstöße
Info
2018 440
2019 234 Bundesverfassungsgerichtsurteil 05.11.2019
2020 132 COVID 19-Pandemie
2021 185 COVID 19-Pandemie
2022 32 COVID 19-Pandemie/Sanktionsmoratorium
2023 24

 

Fragen zur Zusammenarbeit mit der Wirtschaft in der Region:

Gibt es regelmäßige Gespräche mit Unternehmen/Interessenverbänden der Wirtschaft in der Region, um Bedarfe und Qualifizierungserfordernisse zu ermitteln?

Es findet ein regelmäßiger Austausch mit den Arbeitsmarktakteuren (u.a. den Unternehmensverbänden HWK, IHK) im Rahmen des Beirates nach § 18 SGB II statt. Hier werden unter anderem die Erfordernisse und Entwicklungen des regionalen Arbeitsmarktes besprochen. Zudem finden anlass- und bedarfsbezogen Gespräche mit diesen Verbänden zu aktuellen arbeitsmarktrelevanten Themen statt – zuletzt im März zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten im Rahmen des sogenannten „Job-Turbo“.

Hat es seit Gründung des ZfA eine gezielte Kundenbefragung gegeben, wie die Zufriedenheit mit der Arbeit des ZfA seitens der Wirtschaft ist?

Gezielte Kundenbefragungen gab es bislang nicht. Das ZfA unterhält einen regional sehr gut vernetzten Arbeitsgeberservice, der sich intensiv und ständig mit den Arbeitgebern in der Region im Austausch befindet. So kann jederzeit frühzeitig und unmittelbar bedarfsgerecht auf Veränderungen und Anforderungen des regionalen Arbeitsmarktes reagiert werden. Gleichzeitig werden entsprechende Qualifizierungserfordernisse direkt vor Ort in den Betrieben erfragt. Auch nach den Integrationen stehen die Ansprechpartner des ZfA den Unternehmen weiterhin zur Verfügung. Bedarfe und ein Feedback werden dem ZfA so direkt durch die Wirtschaft gemeldet.

Frage zur Leistungsfähigkeit im Vergleich zu anderen Zentren:

Das ZfA war in den Anfangsjahren eines der führenden Zentren in Niedersachsen, wenn es um die Verringerung der Hilfebedürftigkeit ging. 2012 in dem Umsetzungsbericht SGB II in Niedersachsen stand es auf Platz 3. Wie hat sich diese Erfolgsbilanz entwickelt?

Die Erfolgsbilanz hat sich positiv weiterentwickelt, wobei sich dies verständlicherweise nicht in den Rängen im Vergleich mit anderen Jobcentern darstellen kann.Im Landkreis Leer hat sich im Zeitraum von zehn Jahren die SGB-II-Quote (Zahl der Leistungsberechtigten an der Gesamtbevölkerung) im Vergleich mit den Nachbarkommunen am meisten verringert.

Wie hoch ist aktuell die Quote der Verringerung der Hilfebedürftigkeit?

Die Quote liegt aktuell bei + 9,4 (Veränderung der Leistungen zum Lebensunterhalt). Unter anderem aufgrund des Zuzuges von Geflüchteten aus der Ukraine ist es in allen Jobcentern auf Bundesebene zu einer Erhöhung der Hilfebedürftigkeit gekommen.

Wie steht das ZfA Leer im Landesvergleich/Bundesvergleich aktuell da?

Laut dem Bericht des Landes Niedersachsen (Stand: November 2023 – endgültiger Wert ohne Wartezeit) stand das JC Leer im Ranking „Veränderung der Summe der Leistungen zum Lebensunterhalt“ auf Platz 10 von 45 JC in Niedersachsen.

Holger HartwigBürgergeld: Zahl der Pflichtverletzungen und Verstöße geht stark zurück