Bürgermeister gehen in Offensive: Leeraner Kreisumlage ist zu hoch

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Rathauschefs initiieren Widerspruch – Ziel: Mehr Miteinander – Fachanwalt aus Potsdam als Berater

KREIS LEER Im ersten Moment wirkt es wie ein politischer Frontalangriff gegen Landrat Matthias Groote (SPD), doch das, was die Bürgermeister der zwölf Mitgliedskommunen des Landkreises Leer am Donnerstag in einem Treffen im Rathaus von Moormerland besprochen haben, ist weit mehr: Es geht nach Recherchen von „Hartwig am Sonntag“ um ihre Sorge, wie sie ihre Kommunen in den nächsten Jahren wirtschaftlich über die Runden bekommen. Das Ziel der Bürgermeister: Sie wollen erreichen, dass sie im Auftrag ihrer Kommunen gemeinsam gegen die Kreisumlage 2023 Widerspruch einlegen und so am Ende bei der Festlegung der Höhe der Kreisumlage, die sie an den Kreis zahlen, die Interessen der Kommunen stärker berücksichtigt werden.

Was im Detail hinter den Türen des Rathauses in Warsingsfehn besprochen wurde, darüber schweigen sich die Bürgermeister weitgehend aus. Bis auf die Stadt Leer, die bekanntlich bereits Widerspruch gegen die wegen der Kindertagesstätten-Übernahme durch den Kreis erhöhte Umlage eingelegt hat, waren alle Kommunen bei dem Treffen vertreten, zitieren lassen will sich jedoch keiner. Dabei sind die Fakten nach den Recherchen einfach zusammen zu fassen. Nach Ansicht der Bürgermeister ist die Höhe der Kreisumlage in den vergangenen Jahren nicht durch einen Dialog auf Augenhöhe durch den Kreis festgelegt worden. Der Kreis habe sich zu stark bei den Kommunen „bedient“ und sich durch die Höhe der Umlage selbst entschuldet, während die Städte und Gemeinden zunehmend Schwierigkeiten haben, ihre Haushalte ausgeglichen zu gestalten, genehmigt zu bekommen und handlungsfähig zu bleiben.

Aktuelles Urteil und Anwalt untermauern Vorstoß

Ausgangspunkt für den aktuellen Vorstoß der Bürgermeister ist eine Entscheidung der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 22. März 2023 (Az. 3 A 2357/19). Das Gericht gab der Klage der Stadt Cloppenburg gegen den Landkreis Cloppenburg hinsichtlich der Höhe der Kreisumlage für das Jahr 2018 statt. Bestätigt wurden die Rathauschefs in ihrer Haltung zudem durch Prof. Dr. Matthias Dombert. Der Fachanwalt aus Potsdam war nach NWZ-Recherchen zu der Sitzung im Rathaus digital zugeschaltet. Seine Kanzlei hat sich in den zurückliegenden Jahren einen Namen bei Streitigkeiten um Kreisumlagen gemacht.

Politische Gremien in Kommunen müssen zustimmen

Vorgesehen ist nun, dass die Bürgermeister als nächsten Schritt mit einer einheitlichen Vorlage des Widerspruchs in die politischen Gremien ihrer Kommune gehen. Dort muss die Politik mehrheitlich – d.h. in allen Kommunen auch teilweise mit Stimmen der SPD, der auch der Landrat angehört und die im Kreistag die größte Fraktion stellt – dem Widerspruch zustimmen. Mit dem Widerspruch verbunden wäre dann die Möglichkeit der Einsicht in alle Unterlagen, die der Kreis für die Festlegung der Höhe der Kreisumlage zusammengestellt hat.

Kreis entschuldet sich, Kommunen verschulden sich

Der jetzige Anlauf der Bürgermeister, einen gemeinschaftlichen Widerspruch auf den Weg zu bringen, ist die Fortsetzung der Argumente, die gegen die Höhe der Umlage in ihrer Stellungnahme zum diesjährigen Kreishaushalt und der Umlage am 17. Februar 2023 schriftlich vorgebracht wurden. In dem Papier der Arbeitsgemeinschaft der Hauptverwaltungsbeamten und allgemeinen Vertreter im Landkreis Leer heißt es wörtlich, „dass ein Beibehalten der Kreisumlage bei 52 Punkten den dringend benötigten Handlungsspielraum der Kommunen weiter einengt. Dabei sind viele Kommunen mittlerweile gezwungen, selbst notwendigste lnstandhaltungsarbeiten aufzuschieben oder ganz zu streichen.“ Zuvor wurde in dem Brief deutlich gemacht, dass es dem Kreis „seit 2014 kontinuierlich gelungen sei, den eigenen Schuldenstand um 37 Prozent zu senken“. Bei den Kommunen sei der Schuldenstand hingegen von 85.537.765,00 Euro auf 116.388.179,00 Euro angestiegen (+ 36 Prozent). Die Bürgermeister baten darum, die Beibehaltung der Kreisumlage bei 52 Prozent zu „überdenken“ und boten an, eine gemeinsame Arbeitsgruppe zu bilden, die auch gemeinsame Initiativen in Richtung Bund und Land für eine bessere Finanzausstattung entwickeln könnten. Das Schreiben verfehlte allerdings die gewünschte Wirkung – die Kreisumlage blieb bei 52 Prozent, da der Kreis letztlich frei entscheidet, wieviel die Kommunen zu zahlen haben.

Keine Klage, sondern mehr Miteinander als Ziel

Die Recherchen haben zudem ergeben, dass es nicht im Interesse der Bürgermeister ist, auf den Widerspruch auch eine Klage gegen den Kreis und Landrat Groote folgen zu lassen. Das koste nur unnötig Geld und setze ein falsches Signal, hieß es. Vielmehr sei der Widerspruch die einzige Möglichkeit, den Kreis zu mehr Dialog zu zwingen. Dem Landrat, der Kreisverwaltung und auch dem Kreistag müsse klarer werden, dass die langfristige positive Weiterentwicklung des Kreises nur möglich ist, wenn – so die Worte in einem Hintergrundgespräch – „die Städte und Gemeinden im Kreisgebiet die Luft zum Atmen behalten.“ Es müsse gelingen, wieder mehr gemeinsam zu agieren. Dabei gelte es auch, dem Land deutlich zu machen, dass Kreis und Kommunen für die Übernahme der vielen zusätzlichen Aufgaben, beispielsweise der Kinderbetreuung ab 0 Jahren oder der Flüchtlingsunterbringung, insgesamt mehr Geld erhalten müssen, um handlungsfähig zu bleiben.

  • Hintergrund-Info: Das Schreiben der Bürgermeister an den Landrat zur Kreisumlage vom 17.Februar 2023:

HBV-Schreiben Kreisumlage 2023

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DER KOMMENTAR

Ohrfeige für Landrat Groote

Man kann es drehen und wenden, wie man es will: Die Ankündigung der Bürgermeister aus dem Kreis Leer, möglichst geschlossen gegen die von der Kreisverwaltung vorgeschlagene und durch den Kreistag beschlossene Kreisumlage Widerspruch einzulegen, ist eine dicke Ohrfeige für Landrat Matthias Groote. Alle Warnungen, auf die Kommunen mit einer geringen Senkung der Umlage zuzugehen, hat Groote als Kreishauschef ignoriert. Er treibt so mit Rückendeckung des Kreistages die Entschuldung des Kreises weiter voran, während die Kommunen kaum wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. 2023 wird – Stand jetzt – wohl keine Kommune im Kreisgebiet ohne neue Schulden zurechtkommen.

Dass die Bürgermeister nun erneut einen Vorstoß unternehmen, ist nachvollziehbar. Ihnen ist das Hemd näher als die Hose und sie wollen vor Ort handlungsfähig bleiben. Dabei zählt jeder Euro. Ebenso nachvollziehbar ist, dass die Bürgermeister kein mediales Fass aufmachen wollen und ihren Widerspruch nicht als politische Attacke gegen den Landrat gewertet sehen wollen. Das jedenfalls war in den Hintergrundgesprächen immer wieder zu hören. Die Hauptverwaltungsbeamten können nämlich 1 und 1 zusammenzählen. Sie wissen, dass sie für die Erlaubnis des Widerspruchs Mehrheiten im Rathaus brauchen – inklusive so mancher Stimme der SPD-Ratsmitglieder. Die werden sich jedoch schwertun, ihrem „parteieigenen“ Landrat eine Ohrfeige zu geben, so wie es bereits durch den Rat der Stadt Leer geschehen ist.

Machen sie es nicht und ändert sich nichts im finanziellen und sonstigen Miteinander zwischen Kreis und Kommunen, wird es nicht bei dem nun angestrebten Widerspruch bleiben. Und das ist auch gut so, denn nur funktionierende Kommunen können langfristig einen starken Landkreis tragen. Nicht umgekehrt.

Holger Hartwig

Holger HartwigBürgermeister gehen in Offensive: Leeraner Kreisumlage ist zu hoch