DIE KOLUMNE – Kommunale Wärmeplanung: Die Überforderung aus Berlin

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In der „großen“ Berliner Politik hat die Regierung bei der Energiewende und dem Thema Heizungserneuerungen gerade noch so die Kurve bekommen. Die Zauberwort-Kombination lautet: Kommunale Wärmeplanung. Bis 2028 sollen Städte und Gemeinden festlegen, wie unter anderem Hauseigentümer künftig ihre vier Wände klimafreundlich beheizen. Die Ampel-Regierung hat damit Zeit gewonnen und Ärger von den Bürgern erspart. Die Herausforderung wird nach unten „abgeschoben“. Was das bedeutet? Die Kommunen sind die Gekniffenen – und in der Sache überfordert, auch wenn das (bisher) so kein Bürgermeister öffentlich sagt.

Klar, die Kommunen haben landauf landab zwischenzeitlich Klimamanager eingestellt. So hat auch Leer seit einigen Wochen diese Stelle besetzt. Man könnte nun meinen, dass die Wärmeplanung prädestiniert wäre für diese neuartigen Manager. Doch das ist viel zu kurz gedacht. Das, was die Ampelregierung weiterdelegiert, ist von der Dimension eine „Bauleitplanung hoch 10“. Eine Stadt muss in gewisser Weise neu „erfunden“ werden. Es ist eine Aufgabe, wie sie vor Ort von ihrer Komplexität noch nie leisten mussten und schon gar nicht in wenigen Jahren. Es müssen so ziemlich alle Firmen, Institutionen und vor allem auch Immobilieneigentümer eingebunden werden, wenn die Wärmewende-Strategie funktionieren und mehr als ein Papiertiger sein soll.

Zudem geht diese neue Aufgabe weit über die bisherigen Zuständigkeiten hinaus. Beispielhaft seien hier die Frage nach Tiefengeothermie oder Fernwärmenetzen als Energiequelle genannt – und dabei ein kurzer Blick in die Geschichte Leers erlaubt. Bis zum Jahr 1992 gab es in der Ledastadt zumindest einmal ein kleines Fernwärmenetz. Die damalige Molkerei-Zentrale Oldenburg-Osnabrück-Ostfriesland (MZO) direkt an der Bahnlinie versorgte unter anderem das Hallen- und Freibad am Burfehner Weg mit Fernwärme. Was meinen Sie, wie hätte die MZO damals reagiert, wenn der Stadtrat beschlossen hätte, dass die MZO laut kommunaler Wärmeplanung diese Energie zu liefern hat? Oder was würde in Weener die Papierfabrik Klingele sagen, wenn sie – was ja nicht der Fall ist – dazu gezwungen worden wären, das örtliche Freibad so zu beliefern, wie sie es seit Jahren machen?

Es gibt weitere Aspekte: Was bedeutet es, wenn ein Bürgermeister, der – anders als beispielsweise in Schleswig-Holstein – keine eigenen Stadtwerke als erfahrener Gas- und Stromlieferant und damit Experten hat, unternehmerisch das Risiko „regeln“ muss, eine millionenschwere Bohrung für Tiefengeothermie „anzuordnen“, um auf diese Energiequelle zu setzen? Kurzum: Die Verwaltungen würden zum dirigistischen Wirtschaftsakteur werden, müssten sich in Marktprozesse aktiv einmischen und sich um viele Themen kümmern, die ihnen völlig fremd sind. Dazu ein Zitat eines Bürgermeisters aus einem Hintergrundgespräch: „Bauleit- und Stadtplanung können wir, aber so etwas nicht. Welche Instrumente soll ich denn haben, um die Bürger und Unternehmen zu bestimmten Handlungen wie Anschluss- oder Lieferzwang und damit zu Investitionen zu zwingen, weil die Wärmeplanung es vorsieht?“

Die Bürgermeister und am Ende auch Landräte können trotzdem die Hände nicht in den Schoss legen. Sie müssen ins Handeln kommen, ähnlich, wie bei den Flüchtlingskrisen 2015 und 2021 oder bei Corona, als auch „über Nacht“ neue Aufgaben gemeistert werden mussten. Immerhin gibt es in Niedersachsen – 12 der 16 Bundesländer sind noch nicht einmal soweit – bereits ein entsprechendes Gesetz, auf dessen Grundlage gehandelt werden kann. Der eine oder andere Verwaltungschef hat bereits interne Arbeitsgruppen gebildet. Sehr schnell wird – wie beispielsweise aus der Kreisstadt zu hören ist – klar, dass es auf jeden Fall der Expertenhilfe bedarf. Erste Kommunen haben die Ausschreibung fertig, um eines der für Fachbüros – sie werden sich vor Arbeit nicht retten können – zur Seite zu holen. Allerdings ist die Finanzierung völlig ungeklärt. Dafür soll es Fördermittel vom Bund und den Ländern geben, die wiederum frühestens in etwa einem halben Jahr bewilligt werden könnten – und so viele Büros, wie nötig sind, gibt es nicht. Auch die bisherigen Netzbetreiber – im Nordwesten die EWE – wären als Strategiepartner denkbar, aber die EWE hat seit März gerade einmal ein Wärmewende-Pilotprojekt mit der Stadt Cloppenburg angeschoben. Auch dort hat man die Strukturen für diese komplexe Aufgabe personell und organisatorisch „nicht fertig in der Schublade liegen“, zumal mit dem Wegfall von Erdgas das EWE-Geschäftsmodell bröckelt.

Kurzum: Es gibt wohl niemanden, der derzeit mit den Chefetagen in den kommunalen Verwaltungen tauschen möchte. Damit die Energiewende, die alternativlos zu sein scheint, funktioniert, reicht es politisch nicht aus, im Handstreich Aufgaben nach unten zu delegieren. Eines ist klar: Es bedarf eindeutiger Grundsatzregelungen, die bundesweit gelten, Das kann die Verpflichtung von Industrieunternehmen sein, überschüssige Energie in Fernwärmenetze einzuspeisen oder die Regelung, dass Immobilieneigentümer verpflichtet sind, ihre Objekte an vorhandene und künftige Netze anzuschließen. Was Gerichte zu diesen „Eingriffen“ in die Vertrags- und Handlungsfreiheit einer Marktwirtschaft sagen, ist dann ein weiteres Thema. Man kann nur hoffen, dass die Bürgermeister und Landräte bald bundesweit den Mund aufmachen und Nachjustierungen einfordern, denn sonst werden sie als Gestalter vor Ort für alles verantwortlich gemacht, was nicht funktioniert.

Die „Arena“ der Beteiligte, die von der kommunalen Wärmeplanung betroffen sind. (Quelle: Deutsches Institut für Urbanistik, Arbeitskreis kommunaler Klimaschutz/ Richel)

 

Holger HartwigDIE KOLUMNE – Kommunale Wärmeplanung: Die Überforderung aus Berlin