Corona, Hesel und die Bundeswehr

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Leeraner Soldaten auf dem Weg zur Corona-Hilfe nach Portugal, Leeraner Bürger hingegen quer durch den gesamten Landkreis von Vellage, Ditzum, Klostermoor etc. nach Hesel zum Impfzentrum. Hat das was miteinander zu tun? Wie passt das zusammen?

Auf den ersten Blick wirkt das arg konstruiert. Auf den zweiten Blick – das wird in der Kreisstadt vor allem in der älteren Bevölkerung diskutiert – ist das gar nicht so weit hergeholt. Die Bürger machen sich Gedanken. Zusammengefasst etwa so:

Wir haben hier ein topmodern ausgestattetes Sanitätsbataillon mit mehreren hundert medizinisch-pflegerisch ausgebildeten Soldatinnen und Soldaten, die in der Kaserne sitzen, statt in der Corona-Krise in der Nachverfolgung oder beim Impfen mit anzupacken.

Wir haben eine Kreisstadt mit Turnhallen etc. – und das Impfzentrum für den gesamten Kreis wird in Hesel aufgebaut. Und man fragt sich, warum eine Corona-Pandemie nicht von den Verantwortlichen des Landkreises Leer und der Bundeswehr konsequent als Anlass genutzt wurde, die Region durch ein verzahntes Herangehen optimal aufzustellen. Schließlich wäre für jeden nachvollziehbar, dass sich die Soldaten in ihrer Heimat gerne engagieren und vielleicht auch etwas stärker als irgendwo sonst.

Um Antworten auf diese und andere Fragen rund um die Corona-Nachverfolgung, -Testung und -Impfung zu bekommen, galt es, den Verantwortlichen beim Landkreis Leer und in den Bundeswehr-Strukturen offiziell Fragen zu stellen.

Hier die wesentlichen Aussagen der Antworten kurz zusammengefasst:

Landkreis Leer:

  • Hesel liegt verkehrsgünstig
  • die BBS-Turnhalle in Leer ist wichtig für den Schul- und Vereinssport. Zum einen hätte man diese auf unbestimmte Zeit sperren müssen, zum anderen hätte es Überschneidungen zwischen Schulbetrieb und Impfzentrum gegeben (als Begründung, warum die Halle als Impfzentrum nicht in Frage kam)
  • die Bundeswehr konnte auch aus Gründen für die eigene Sicherheit diesen militärisch ja sensiblen Bereich (gemeint ist die Kaserne) nicht zur Verfügung stellen.
  • Impfen lassen kann man sich nur in dem Kreis, in dem der Wohnsitz ist. Das schreibt das Land Niedersachsen so vor.
  • Seniorinnen und Senioren, die keine Angehörigen haben, die den Transport nach Hesel übernehmen, sollen ggf. zu ihrem Hausarzt gehen, um sich einen Transportbescheinigung ausstellen zu lassen, damit die Krankenkasse möglicherweise die Kosten trägt
  • das Impfzentrum nimmt den Betrieb am 15. Februar in Hesel auf
  • mobiles Impfen in den Gemeinden für den Landkreis Leer – bis auf die Insel Borkum – kommt derzeit nicht infrage

Auf Fragen, wie die Gespräche zwischen Landkreis und der Bundeswehr verliefen, wie die Planungen für etwaige zukünftige Fragen aussieht und ob das Thema Kostenübernahme für den Einsatz der Bundeswehr eine Rolle spielte, gab es von Landkreis am Freitag Nachmittag keine Antwort mit der Begründung: Es fehle die Zeit, die Fragen zu beantworten. Ein Telefonat mit Landrat Groote wurde ebenfalls abgelehnt (Hinweis: alle Fragen und Antworten finden Sie im Wortlaut als Link unter diesem Text).

Bundeswehr Landeskommando in Hannover und Pressestab des Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst (Kdo SES) in Leer:

  • Der Landkreis Leer hat folgende Hilfeleistungen beantragt und bewilligt bekommen: Kontaktverfolgung im Gesundheitsamt mit 10 Soldaten des Marineunterstützungskommandos und Unterstützung im Impfzentrum Hesel mit 4 Soldaten des Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitäter aus Leer.
  • Es gab ein Beratungsgespräch zum Thema Impfzentrum, bei welchem das Kommando SES mitteilte, dass die Kaserne keine Kapazitäten für ein Impfzentrum bietet. Beim weiteren Entscheidungsprozess des Landkreises war die Bundeswehr nicht mehr involviert.
  • „Wenn uns die Menschen im Kreis Leer brauchen und wir mit der Hilfeleistung beauftragt werden, sind wir selbstverständlich auch im Sinne der guten Partnerschaft, die wir mit der Region seit Jahrzehnten pflegen, jederzeit zur Stelle. Die Entscheidungsfindung wird allerdings nicht auf der Ortsebene getroffen.“

Und dann gibt es neben den offiziellen (Nicht-)Antworten noch den „Buschfunk“. Wer mit Soldatinnen und Soldaten der Kaserne in Leer spricht, der hört unisono, dass sie gerne für die Menschen der Region tätig geworden wären. Schließlich habe man (fast) alles, was gebraucht wird. Der bekommt auch gesagt, dass die Bundeswehr zwar für den Standort des Impfzentrums angesprochen wurde, aber bei allen anderen Themen außen vor war und ist.

Auch heißt es hinter vorgehaltener Hand, dass es bei entsprechendem Willen, Nachdruck und intensivem Austausch durchaus möglich gewesen wäre, das Impfzentrum für den Kreis Leer doch auf einem Teil des Kasernengelände in der Halle, in der das alljährliche Grünkohlessen stattfindet, zu schaffen. Ob das so hätte sein können und wie der Kontakt zwischen den Verantwortlichen des Kreises mit der Bundeswehr um Kommandeur Oberstarzt Dr. Jens-Peter Evers in den vergangenen Monaten mit welchen Zielen ggf. lief – diese Fragen blieben vom Kreis ja im Detail aus Zeitgründen unbeantwortet. Klare Aussagen und auch Informationen, wie vor allem eine zukünftige Zusammenarbeit aussehen könnte, hätten Spekulationen und Gerede in der Bevölkerung beendet.

Sei´s drum. Die Würfel sind gefallen. Die Soldatinnen und Soldaten aus Leer dürfen bisher in ihrer Heimat so gut wie nicht mithelfen, auch wenn sie gerne wollten. In Portugal werden sie mit Freude empfangen. Alle Bürgerinnen und Bürger werden nun ab Mitte Februar in das verkehrsgünstige (!) Hesel fahren.

Warum die Verantwortlichen die Pandemie nicht genutzt haben, viel intensiver miteinander Lösungen zu finden und auch öffentlich gemeinsam aufzutreten und zu agieren (das hätte dem Image der Bundeswehr gutgetan und die Menschen der Region beruhigt und besser mitgenommen), wird sich wohl schlussendlich nicht klären lassen. Die entschlossene Initiative hätte vom Kreis und dessen Landrat Matthias Groote ausgehen müssen.

Täusche ich mich, oder wäre es doch für alle eine Win-Win-Situation gewesen? Was sprach und spricht jetzt dagegen, in den nächsten Monaten stärker gemeinsam zu agieren und alle Möglichkeiten zu nutzen (oder wenn es denn wirklich keine weiteren Möglichkeiten gibt, ggf. auch das zu veröffentlichen)?

Pandemie ist ein Ausnahmezustand. Pandemie ist seit Monaten wie Krieg gegen einen unbekannten Feind. Die Bundeswehr ist zum Schutz der Bevölkerung da. In jedem anderen Land der Welt ist es eine Selbstverständlichkeit, das sie „mit Mann und Maus“ mithilft, Schaden von den Menschen abzuwenden. Ist es nicht die Pflicht der Verantwortlichen, gemeinsam alle Möglichkeiten zu durchdenken?

Fest steht auch: Das liebe Geld dient seit dem 27. Januar nicht mehr als Grund.Spät, viel zu spät, ist die Entscheidung der Bundesregierung gekommen, den Kommunen keine Kosten in Rechnung zu stellen. Und das Geld hätte auch nie ein Grund für den Landkreis sein dürfen. Stichwort Schutz der Bevölkerung. Da ist jede zielführende Geldausgabe recht.

Kurzum: Es ist nie zu spät, beispielsweise auch über Mobile Impfteams – so wie es auf Borkum ja gemacht wird – nachzudenken. Ist zwar sicherlich nicht so einfach, alle Kriterien einzuhalten. Aber wenn das jemand kann, dann ist es die Leeraner Bundeswehr. Und das Technische Hilfswerk (THW), das für Katastrophen vorgesehen ist, gibt es ja schließlich auch noch. Bis die Impfdosen in ausreichender Menge vorhanden sind, lässt sich noch viel gemeinsam erreichen.

Ich bin mir sicher: Niemand aus der Politik oder Bevölkerung wird die Frage an den Kreis oder Landrat stellen, ob vielleicht in Hesel fehlerhaft investiert wurde oder es zu viel Geld gekostet hat. Pandemie kennt halt niemand, da kann auch mal was nicht so gut laufen. Das wird – nach etwas politischem Getöse – durch die Menschen bzw. Wähler „verziehen“. Wenn schlussendlich pragmatische Lösungen gesucht und gefunden werden.

Zum Abschluss gebe ich den älteren Bürgerinnen und Bürger einen Rat. Ärgern sie sich nicht zu sehr, dass sie irgendwie den Weg in eine Arztpraxis für eine Transportbescheinigung finden oder eben mit der Familie zweimal die ,Reise‘ nach Hesel antreten müssen. Die Impfung ist es wert. Und: Wenn sie nicht weiterwissen, dann bin ich mir sicher, dass Menschen aus ihrer Nachbarschaft ihnen helfen und gemeinsam ein Weg gefunden wird. Im Kleinen klappt das immer in Ostfriesland…

Und meine Bitte lautet: Bloß nicht 59 Jahre zurückdenken. Dann kommt die Erinnerung an Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Was wäre 1962 in Hamburg passiert, wenn er nicht alles in Bewegung gesetzt hätte, um Schaden von den Bürgerinnen und Bürgern abzuwenden? Ihn hat nicht interessiert, was die Gesetze und Regelungen vorschreiben. Er hatte Mut. Er hat Lösungen gesucht. Er hat alle, die er gebrauchen konnte, eingebunden. Schnell. Unkonventionell. Zielführend. Eine Gabe, die halt nicht jeder hat.

HH

Die angefügten Links führen Interessierte zu allen Fragen und Antworten des Landkreises Leer sowie der Bundeswehr und zu dem Info-Magazin des Landkreises Leer.

Fragen an den Landkreis Leer und die Bundeswehr zum Thema Corona

EINausBLICK – Sonderausgabe Corona

Kommentar von Uwe Plagge, Leer (8. Februar 2021):

Es fehlen Charakterköpfe, die Mut haben

Moin Herr Hartwig, genau meine Gedanken mit eben dieser fragenden Kritik. Warum werden Dinge so kompliziert gemacht, wenn es doch ganz pragmatische Lösungen gäbe?
Meine lieben Nachbarn, 83 und 84 Jahre alt, sind es nun schon leid, jeden Tag erfolglos besagte Nummer zu wählen und ihnen ist es mittlerweile leider egal, ob sie geimpft werden. Es tut schon weh, wenn ein 84jähriger Mann, der mit 14 Jahren in die Lehre gegangen ist, sagt, dass dieses nicht mehr sein Land sei, da in vielen Bereichen echte Charakterköpfe fehlen, die auch den Mut haben, Entscheidungen zu treffen, die ihnen den „Sessel“ kosten könnten.
Und ja, er spricht dabei von Menschen wie H. Schmidt!
Auch in den Schulen (bin Lehrer) und Kindergärten (Tochter Erzieherin) läuft einiges mehr als schief. Wir (Schüler, Lehrkräfte, ErzieherInnen) sind einem vermehrten Risiko ausgesetzt, welches aber durch die Landesregierung heruntergespielt wird. Gerade in Weener schießen die Zahlen nach oben und auch meine Schule dort ist betroffen. Als Risikopatient, der aber seine Abschlussklasse nicht im Stich lassen möchte, ist mir bisweilen ganz schön mulmig.
Ich bedanke mich an dieser Stelle für Ihre insgesamt tollen Beiträge, denen ich bislang immer beipflichten konnte. Weiter so!


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    Holger HartwigCorona, Hesel und die Bundeswehr