Die Frist läuft ab: Kommunale Unternehmen werden „normaler“

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LEER/BERLIN Vor etwa zwei Dekaden war es ein Trend im kommunalen Bereich: Aufgaben, die beispielsweise unter dem Dach einer Kommune oder einer Universität geleistet wurden, wurden gerne in teils neugegründete Tochterunternehmen – von der GmbH bis zur Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) – ausgegliedert. Das Ziel: Neue, schlagkräftige Organisationsstrukturen mit höherer Wirtschaftlichkeit. Eine Besonderheit dabei: Die Leistungen, die die neuen Unternehmen für die Kommune erbrachten, mussten – anders als bei Tätigkeiten von Firmen der freien Wirtschaft – in vielen Bereichen nicht mit Umsatzsteuer (aktuell 19 Prozent) versehen werden. Das wird sich ab 1. Januar 2023 ändern. Die „steuerbefreiten Kommunalgeschäfte“ wird es dann nicht mehr geben – und das hat gravierende wirtschaftliche Auswirkungen. Beim Kreis Leer wird das nach eigenen Angaben gerade geprüft. „Wir führen gerade eine Tätigkeitsinventur durch. Diese soll zeigen, ob, in welchen Bereichen und in welcher Weise wir von der geplanten Änderung betroffen sein werden.“

Was sind überhaupt diese steuerbefreiten Geschäfte und warum hat die Neuregelung Auswirkungen?

Was betrifft diese Neuregelung?

Grundsätzlich betrifft die Neuregelung (Streichung § 2 Abs. 3 und die Einführung des § 2b Umsatzsteuergesetzt) Geschäfte, Tätigkeiten, Veranstaltungen oder Leistungen von Eigenbetrieben einer Kommune, die grundsätzlich auch von privaten Unternehmen angeboten werden könnten. Es geht somit um viele Bereiche des kommunalen Alltags, z.B. Kooperationen von Kommunen bei Rechenzentren, Bauhöfen oder Anrufzentralen (neuerdings im 115-Verbund der zentralen Behörden-Rufnummer), bei der Überlassung von Personal oder auch Geräten. Aber auch um die Frage, wenn etwa eine Gemeinde der anderen einen Bediensteten oder auch ein Straßenreinigungsfahrzeug ausleiht und dafür Geld bekommt. Zudem betrifft es auch Leistungen, wie die Straßenplanungen, das Gebäudemanagement oder Dienstleistungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Bisher gilt, dass kommunaler Geschäftsbetrieb jeder Art erst umsatzsteuerpflichtig ist ab einem Umsatz von 35000 Euro, künftig ab dem Überschreiten einer „Bagatellgrenze“ von 17.500 Euro pro Jahr. Ebenfalls betroffen sein können weitere öffentliche Einrichtungen, z.B. Universitäten oder Kirchengemeinden, die auch steuerbefreite Geschäfte mit untergeordneten Organisationformen gemacht haben.

Welche Auswirkungen hat die Neuregelung?

Anders, als jedes „normale“ Unternehmen, sind die Kommunen oder Universitäten etc. nicht berechtigt, die Umsatzsteuer abzuziehen. Zur Erklärung: Der Leistungsempfänger (Kommune) zahlt die Umsatzsteuer an das Tochterunternehmer (erbringt die Leistung) und die Kommune bekommt die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer nicht von seinem Finanzamt erstattet.   Die 19 Prozent Umsatzsteuer schlagen bei den Kommunen etc. somit vollständig auf der Kostenseite durch. Das bedeutet, dass der Umstand, dass Leistungen, die z.B. in einer AöR erbracht werden, die Kommune künftig mehr kosten, als wenn sie diese selbst erbringen würde – sprich Mitarbeiter und Maschinen, Büros etc. wieder in eigener Regie hätten so wie vor den Ausgliederungen bzw. der Übertragung der Aufgaben. Die Neuregelung wird nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofes notwendig. Dieser hatte im November 2011 die Harmonisierung der Umsatzsteuerregelung „angeordnet“.

Verlängerte Übergangsfrist unterstreicht Auswirkungen

Wie gravierend die Folgen sein werden, verdeutlichen die Aussagen von Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Städtetages, während der Diskussionen über eine Verlängerung der Frist lassen die Auswirkungen erahnen. Die Kommunen – aber auch die Finanzämter – bräuchten weitere Zeit, damit sie die neuen Vorgaben des Umsatzsteuergesetzes rechtlich sauber realisieren können. Die Kommunen müssten aufwendig prüfen, welche ihrer vielen Leistungen zukünftig unter die neuen Umsatzsteuerpflichten fallen. Zudem müssten dann viele Verträge angepasst werden, Gebührensatzungen seien zu ändern. Besonders herausfordernd sei es, wenn es interkommunale Kooperationen gibt. Aber nicht nur Kommunen sind nach Darstellung des Hauptgeschäftsführers betroffen. Auch Hochschulen, Universitätskliniken und Kirchengemeinden hätten Umstellungsprobleme.

Neues Gesetz lässt wenig Gestaltungsspielraum

Was nun zu tun ist und zu welchen Veränderungen das in kommunalen Strukturen aus Kostengründen führen könnte – bis Ende des kommenden Jahres müssen die Verwaltungen in den Kommunen Lösungsvorschläge erarbeiten, die dann von der Politik beschlossen werden müssen. Der Verband der kommunalen Unternehmen (VKU) mit Sitz in Berlin erklärte zu dieser Herausforderung auf Anfrage: „Die neue, harmonisierte Regelung lässt den Kommunen und den Tochterunternehmen wenig Gestaltungsspielraum. Es ist zu erwarten, dass diese neue Steuerlast die Synergien, die in der Vergangenheit durch eigenständige Körperschaften des öffentlichen Rechts (z.B. AöR oder Zweckverband), der durch Kooperationen erzielt wurde, wirtschaftlich nicht auffangen können.“ Wie viele kommunale Unternehmen deutschlandweit von der Herausforderung betroffen sind, kann der VKU nicht sagen. „Es gibt noch viele Detailfragen, die noch in der Klärung sind. Auf jeden Fall ist es notwendig, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema zügig beginnt.“

Lesen Sie hier Kolumne zum Thema und der Bedeutung für den Bürgermeisterwahlkampf.

Lesen Sie hier zwei Hintergrundinformationen des Verbandes kommunaler Unternehmen:
VKU Rechtsinfo 33-19
VKU Rechtsinfo 02-20

Holger HartwigDie Frist läuft ab: Kommunale Unternehmen werden „normaler“