DIE KOLUMNE: Adios Bauboom – Leeraner Projekte werden aufgegeben oder verschieben sich

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Hafenkopf, Sobing-Grundstück, Gasthof-Schröder-Fläche in Bingum, Wohnbebauung Scheltenweg, Eckbebauung Hajo-Unken-Straße/Ubbo-Emmius-Straße, Neubau Alte Synagoge/Tankstelle, Völcker-Peters-Fläche am Burfehner Weg, Areal Barkei in Heisfelde – viele größere Immobilienprojekte sind in Leer seit Jahren im Gespräch. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind entweder noch in der Planung oder immer noch nicht genehmigt. Die meisten werden nun erst einmal „auf die lange Bank geschoben“. Der Flaschenhals für die Millioneninvestitionen war in den vergangenen Jahren oft die Baugenehmigungsbehörde bei der Stadt Leer. So manch ein Investor hat sich öffentlich und medial über zu lange Bearbeitungszeiten und zu viele Hürden und Hindernisse beschwert. Diese Problematik ist zwar bisher nicht viel weniger geworden – und auch kein Exklusiv-Thema der Ledastadt -, aber in der aktuellen Situation nachrangig. Wer mit Bauunternehmen, Bauträgern, Maklern und Banken der Stadt spricht, der bekommt zu hören: Fast nichts geht mehr. Die Zahl neuer Bauanträge aus privater Hand für Neubauten bei der Stadt ist gleich Null und das hat es so noch nie gegeben.

Keine privaten Bauanträge mehr

Warum trotz Nachfrage nach Wohnraum und Immobilien – es wollen immer noch viele aus anderen Regionen hier deutlich preisweitere Häuser als im jeweiligen Heimatort kaufen – viele Projekte nicht angepackt werden? Ganz einfach: Für alle Beteiligten ist die aktuelle Situation unkalkulierbar geworden. Niemand will bzw. kann sich auf irgendetwas festlegen, weil seit Anfang 2022 die Herstellungskosten beispielsweise für Einfamilienhäuser um bis zu 40 Prozent gestiegen sind. Das Material ist knapp und nahezu wöchentlich erfolgen Preissteigerungen. In diesen Tagen sind es die Dämmstoffe, die um fast 20 Prozent zulegen, der Preis für Verblender und Stahl – wenn überhaupt lieferbar – wurde fast verdoppelt. Zudem sind die Bauzinsen deutlich angestiegen. Die Konsequenz: Bauunternehmer machen keine Festpreise mehr für Kunden, Bauwilligen ist das Risiko damit zu groß, und – selbst wenn sich diese beiden einig werden – die Banken spielen bei der Kreditvergabe nicht mehr so einfach mit. Dort wird viel genauer geprüft, wer was wie finanzieren kann. Kurzum: Niemand ist bereit, für sich „die Katze im Sack“ zu kaufen bzw. zu verkaufen. Bei bereits genehmigten Baugebieten in Leer werden deshalb erste Grundstücke von den Käufern wieder zurückgegeben.

Immobilienpreise stagnieren

Auch bei den Preisen für Bestandsimmobilien ist „Musik“ drin. Kannten sie in den vergangenen Jahren nur die Richtung steil nach oben, verändert sich nun der Markt. Der obere Gutachterausschuss des Landesamtes für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen (LGLN), dessen Untergliederungen Wertgutachten erstellen und Kaufpreise sammeln, hat bereits festgestellt, dass „Anzeichen einer nachhaltigen Trendänderung“ bei den Preisen erkennbar sind. Seit März stagnieren die Preise seit Jahren erstmals oder gehen teilweise zurück.

Bauträger bauen auf eigene Rechnung

Wie geht es weiter? Die Bauunternehmen, die als Bauträger aktiv sind, werden verstärkt auf eigene Rechnung bauen und dann sehen, ob und wie sich die fertigen Objekte dann verkaufen oder vermieten lassen. Das sichert Auslastung – irgendwie muss es ja weitergehen und Wohnungen werden auf jeden Fall weiter nachgefragt sein. Das dürfte für die Projekte im Scheltenweg, „Gasthof Schröder“ und – dort wird bereits gebaut – für das Baugebiet Groninger Straße sehr vorteilhaft sein.

Investoren und Anleger – auch die Banken selbst bei eigenen Projekten, so beispielsweise die Ostfriesische Volksbank bei dem Sobing-Gelände – werden ihre Risiken neu bewerten und abwarten. Entwicklungsträger agieren vorsichtiger, Projekte werden „begraben“. Dazu passt ganz aktuell die Nachricht, dass die OLB via Internet wieder einen Käufer für ihre Immobilie am Denkmalsplatz in Leer sucht, nachdem zuvor einigen Jahre ein 25-Millionen-Euro-Projekt durch die Fokus Development AG aus Duisburg für das Areal angedacht war. Private Bauherren oder Käufer werden sich an höhere Zinsen und Restrisiken gewöhnen (müssen). Der Kauf von gebrauchten Immobilien wird tendenziell mehr Zulauf bekommen – in Ostfriesland auch deshalb, weil hier im Vergleich zu Metropolen die Preise deutlich günstiger sind. Stichwort Altersruhesitz.

Bauämter können durchatmen

Und die Kommunen? Die haben jetzt Luft zum Durchatmen, können ihre Bauämter auf Vordermann bringen, Projekte in Ruhe durchgenehmigen, um dann – wenn die Rohstoff- und Zinsmärkte wieder verlässlicher werden – die Voraussetzungen geschaffen zu haben, dass vor Ort durchgestartet werden kann. Bis dahin werden auch sie als Auftraggeber mit größeren Projekten zurückhaltendender agieren. Lediglich bei Projekten, die an Fördermillionen gebunden sind – oder vor allem im Tiefbau, weil dort die Preise noch stabiler sind – wird man versuchen, die Vorhaben „durchzuziehen“. In Leer gilt das beispielsweise für die „Hafenmeile“ in der Ledastraße. Und dann bleibt nur zu hoffen, dass die lange Liste der Vorhaben – wenn sich die Rohstoffmärkte beruhigt haben und wieder besser Beteiligten werden kann – ratzfatz „abgearbeitet“ wird. Denn es wäre jammerschade, wenn die vielen Akzente der positiven Stadtentwicklung nicht zeitnah Realität werden – allen voran die Neugestaltung des Hafenkopfes.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Adios Bauboom – Leeraner Projekte werden aufgegeben oder verschieben sich