DIE KOLUMNE: Der millionenschwere „Schrecken ohne Ende“

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Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! Diesen Spruch kennt jeder. Bei der Seniorenwohnanlage Heisfelde gilt der Spruch allerdings nicht. Warum? 2022 ein Fehlbetrag von 551.175 Euro. 2023 ein Minus von 1,01 Mio. Euro und nach den von der Kreisverwaltung Leer – Sozialdezernat unter der Leitung von Karin Scheffermann – prognostizierten Zahlen für 2024 ein Minus von 1,36 Mio. Euro. Das macht in Summe etwa 2,887 Millionen Euro. Alles soll in den kommenden Jahren besser werden. Durch Effizienz- und Effektivitätssteigerungen. Prognostiziert die Kreisverwaltung. Das Schlimme ist aber: Die Prognosen der vergangenen Jahre haben alle nicht zugetroffen und das Minus war immer höher als vorhergesagt. Seit 2022 wird – statistisch gemittelt und ausgehend von der Maximalbelegung der letzten Jahre mit 75 Bewohner (2023 waren es im Mittel 53,89) – pro Monat pro Bewohner etwas mehr als 1.000 Euro „versenkt“. Kurzum: Die Anlagen ist trotz aller Bemühungen ein Millionengrab. Bis 2027 wird ein weiterer Fehlbetrag von 1,496 Mio. Euro prognostiziert. Das Pflegeheim ist zum „Schrecken ohne Ende“ geworden.

Warum ist die Anlage weiterhin tief in den roten Zahlen? Maßgeblich aus zwei Gründen: Das Haus ist überaltert. Wer sich vor Ort ein Bild macht, der erkennt: Jahrelange wurde nicht ausreichend investiert. So sind wohl auch Investitionen von einer Million Euro, die 2022 angekündigt und in Planung waren, erst einmal bis auf weiteres verschoben. Begründung aus dem Kreishaus dazu: „Der notwendige Investitionsbedarf muss unter Berücksichtigung der Zins- und Baupreisentwicklung neu bewertet werden.“ In den politischen Sitzungen waren die Investitionen zuletzt kein Thema mehr.Dabei wäre es dringend notwendig, Geld in die Hand zu nehmen. Es gibt so beispielsweise noch Doppelzimmer – und wer will im Alter schon in einem Doppelzimmer „wohnen“ und sein Bad teilen bzw. wer will, dass seinem Elternteil als Angehöriger zumuten. Die Zimmer sind zumeist mit einer Person belegt, damit kann das Haus nicht maximal ausgelastet werden und es fehlen Einnahmen.

Der zweite Grund ist die fehlende Qualität in der Pflege. Sie hat dazu geführt, dass die Heimaufsicht – sie sitzt auch im Kreishaus – eine Aufnahmesperre für Bewohner verhängt hat, die erst seit Jahresbeginn 2024 „unter Berücksichtigung der Fachkraftquote von 50 Prozent“ aufgehoben wurde. Genau das wurde der Politik auch für das Defizit in 2024 als Begründung angeführt: es fehlt an qualifiziertem Personal. Das Defizit in 2024 – es wird in dem Erläuterungsbericht unter Punkt A sogar als „Erfolgsplan“ betitelt – wird vor allem damit begründet, dass es „krankheitsbedingte Ausfälle“ gegeben hat. Es mussten Leiharbeitskräfte – sie kosten das x-fache im Vergleich zu Festangestellten – eingekauft werden, um die professionelle Pflege zu leisten. Eine Herausforderung, die nicht nur das Haus in Heisfelde hat. Qualifiziertes, festangestelltes Personal fehlt fast in allen Häusern.

Fest steht also: Statt weniger Minus steigt bisher das Defizit entgegen der Prognosen weiter an. So prognostizierte die Kreisverwaltung für die Politik für das Jahr 2023 ein Minus von „nur“ 419.000 Euro, es wurde am Ende über eine Mio. Euro. 2024 eine ähnliche Fehleinschätzung. Vorhergesagt waren „nur“ 744.000 Euro, es wurden 1,326 Mio. Euro. Dabei sollte doch alles besser werden mit einer neuen Heimleitung und einem neuen kaufmännischen Verantwortlichen. Die Prognosen der Experten in Heisfelde – es ziemt sich an dieser Stelle nicht, über den Leumund und ihre Erfahrungen in der Sanierung eines Hauses eine Bewertung abzugeben – scheinen aber das Papier, auf dem sie stehen, nicht wert zu sein. Das, was nun der Politik vorgelegt wurde, verheißt zwar eine positive Entwicklung durch mehr Bewohner im Haus und dadurch mehr Einnahmen. „Effizienz- und Effektivitätssteigerungen“ werden vorhergesagt bei – Achtung – nahezu gleichbleibenden Kosten für das Personal. Im Klartext: Gleiches Personal muss mehr Bewohner effizienter betreuen. Um einzuordnen, was diese Annahme bedeutet und wie zutreffend sie sein kann, ein Blick in die Statistiken: Die besagen, dass etwa 75 % der Kosten für die Betreuung eines alten oder kranken Menschen auf das Personal fallen. Zwar hat die Heimleitung nach Jahren nun wieder die Pflegesätze neu mit den Krankenkassen ausverhandelt – das sorgt für Mehreinnahmen –, aber bis 2027 wird jährlich weiterhin trotzdem eine halbe Mio. Euro Verlust (insgesamt also weitere 1,5 Mio. Euro) produziert. Hoffen wir einfach, dass die Vorhersagen der Experten im Kreishaus um Dezernentin Scheffermann – sie scheidet Ende 2024 aus ihrer Tätigkeit aus – und der Akteure vor Ort in Heisfelde dieses Mal wirklich zutreffen.

Bemerkenswert ist die Haltung der Politik. Im letzten Betriebsausschuss hat die Kreisverwaltung Zahlen präsentiert für das laufende Jahr und eben die Prognosen bis 2027. Dann wurden aber mit der Begründung von „Darstellungsfehlern“ diese Zahlenwerke zurückgezogen. Sie sollen zu einem späteren Zeitpunkt der Politik für den Beschluss vorgelegt werden und – so die Kreisverwaltung – „werden noch weiter angepasst“. Auch zuvor gab es bereits aus der Opposition um die CDU den Vorwurf, dass vorgelegte Zahlen „frisiert“ waren. Ganz hart formuliert: Würde das so ein Vorstand eines „normalen“ Unternehmens in einer Aufsichtsratssitzung im Herbst eines laufenden Jahres so machen, könnte wohl die gesamte Chefetage der Firma ihre Sachen packen. Tiefrote Zahlen und dann nicht perfekt aufbereitet – das ist wohl nur in dieser Kreisverwaltung denkbar.

Es bleibt die Frage: Was nun? Branchenexperten sagen in Hintergrundgesprächen direkt und klar: Entweder schließen, verkaufen (wenn sich dann ein Käufer findet) oder einen externen Sanierer, der vom Fach ist, einkaufen und einmalig mit einer Millionensumme für Investitionen ausstatten – so wie es damals beim Klinikum Leer auch der Fall war. Damit wäre ein kompletter Neustart möglich ist, in der Hoffnung, dass das Haus dann auch ausreichend Fachpersonal und Bewohner „findet“. Schließen oder verkaufen wäre für den Kreishaushalt wohl die naheliegendste Lösung. Denn: Eine Seniorenwohnanlage ist eine freiwillige Leistung. Das Geld, das dort ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle. Die Seniorenwohnanlage wäre zudem nicht das erste Haus in der Region, das „dicht“ gemacht wird. Die Bewohner würden dann in anderen Einrichtungen weiter gepflegt werden. Interessenten, die selbst Einrichtungen im Kreis Leer betreiben und neu durchstarten würden, soll es – so ist zu vernehmen – bereits gegeben haben.

Um eine solche Entscheidung „durchzuziehen“, bräuchte es einen starken Landrat Matthias Groote, der seine SPD überzeugt, dass das soziale Engagement an dieser Stelle nicht mehr vertretbar ist. Aber erstens hat der Landrat bei der Seniorenwohnanlage – was angesichts der Herausforderungen wünschens- und lobenswert wäre – bisher keine Führungsrolle übernommen. Zweitens müsste vor allem die SPD über ihren Schatten der selbst auferlegten sozialen Verantwortung springen. Sie müsste erkennen, dass sozial keineswegs bedeutet, an etwas festzuhalten, was dauerhaft nicht wirtschaftlich ist. Sozial bedeutet nicht zuletzt auch, Steuergeld bzw. Gelder aus der Kreisumlage sinnvoll einzusetzen. Ob das für eine „millionenfressende“ Pflege von durch die Heimleitung prognostizierten 63 Bewohner in 2024 in einer überalterten Anlage zutrifft? Es bleibt spannend, wie sich der Landrat, die Sozialdezernentin und die Politik entscheiden werden. Ein „Ende mit Schrecken“ darf dabei nicht als Option ausgeschlossen werden.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Der millionenschwere „Schrecken ohne Ende“