Fällt es Ihnen auf, wie sich die Ausdrucksweisen bei Behörden und Verbänden allmählich verändert? Das typische „Behördendeutsch“ gibt es nur noch in den an die Bürger verschickten Schreiben. Geht es um die Außendarstellung, dann sind Behörden eher zu einer „Marketing-Maschine“ geworden. Jüngstes Beispiel einer Antwort auf eine Frage an eine Behörde gefällig? Es ging darum, ob ganz konkret in einer Sache Fehler gemacht wurden. Wie lautet die wunderschön klingende Antwort? „Innerhalb des Prozesses gab es einen Erkenntnisgewinn“. Liest sich toll, oder?
Die Entwicklung, wie sich die staatlichen Institutionen und auch Firmen auf allen Kanälen „präsentieren“, ist nicht mehr aufzuhalten. Die Zahl der Mitarbeitenden – meist gut qualifiziert durch Ausbildungen in Medienberufen und nur noch selten Verwaltungsleute – nimmt stetig zu. Die sozialen Medien werden mit Informationen „geflutet“, die klassischen Medien werden mit ausgefeilten Texten versorgt, die gern auch 1:1 veröffentlicht werden. Eine Statistik gibt es für den Kreis Leer nicht. Aber: Es dürften zwischenzeitlich in den Behörden und in Unternehmen mehr ausgebildete Redakteure, Videojournalisten und Grafiker angestellt sein, als bei den Medienhäusern in der Region.
Was bedeutet das? Dazu konkrete Beispiele aus dem Kreis Leer. Der Ausstoß an Meldungen in eigener Sache wird immer größer. So hat die Kreisverwaltung zum Jahreswechsel einen 20(!)-teiligen Jahresrückblick veröffentlicht. Auf welche Weise wird in diesem mit fast 7.000 Wörtern die Entwicklung des Landkreises beschrieben? Machen Sie einen Test: Geben Sie mal in die Suche „Seniorenwohnanlage Heisfelde“ ein. Diese nämlich ist ein „Sorgenkind“, das seit einigen Jahren mit Problemen bei der Pflegequalität zu kämpfen hat, und wo 2024 die aktuellen und auch in den Folgejahren unvermeidbaren Millionenverluste offenbart wurden. Sie werden im ausführlichen Jahresrückblick dazu nichts finden. Der Jahresrückblick ist das plakativste Beispiel für PR ohne Distanz bzw. ohne Kritik in der Sache.
Ist das alles verwunderlich? Nein. Beispiel Landkreis Leer: Dort hat bis vor einigen Jahren der Büroleiter – kein Redakteur – die Medienarbeit fast „nebenbei“ gemacht. Heute sind jedoch im Vorzimmer des Kreishauses mehrere ausgebildete Medienmacher angestellt. Insgesamt sind es bei Landrat Groote (SPD) zehn Mitarbeitende mit sechs Vollzeitstellen, die zwar nicht nur, aber sehr oft PR machen. Eine siebte Stelle will der Landrat – trotz Finanzminus von etwa 25,72 Mio. Euro im Entwurf des Ergebnishaushaltes 2025, d.h. für laufende Ausgaben und nicht im Bereich Finanzhaushalt, in dem Investitionen zu finden sind – durch den Kreistag im März 2025 bewilligt bekommen. Das Finanzloch wird noch größer, wenn nicht die Kreisumlage – wie geplant – von bisher 52 auf satte 56 Punkte erhöht wird. Die Kommunen sollen mehr zahlen, sonst wäre das Minus satte 35,31 Mio. Euro. Trotz dieses Minus will der Landrat die Verwaltungskoten weiter steigen lassen. In diesem Jahr weitere über 20 neue Stellen schaffen – PR gehört mit einer Stelle auch dazu.
Oder aber nehmen Sie die Stadt Leer: Dort wurde die Öffentlichkeitsarbeit jahrzehntelang ebenfalls ohne einen ausgebildeten Redakteur „so nebenbei“ gemacht. Und auch dort wurde nun professionalisiert. Zuletzt war es eine einseitige, journalistisch perfekt gemachte Medieninfo zum neuen Bauamtsleiter Jens Lüning. Sie war mit einem gut inszenierten Foto auf allen Kanälen zu lesen. Natürlich waren die Worte wohl gewählt. Was noch zu dieser Entwicklung dazu kommt? Es gelingt den Profis in allen Institutionen immer besser, auf kritische Fragen von Journalisten ausweichend, aber eben extrem gut formuliert, zu antworten.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: PR und Außendarstellung müssen sein. Allerdings ist die Frage berechtigt: Was bedeutet es, wenn überall nur noch „die schönsten und die besten Formulierungen“ gebraucht werden? Was ist die langfristige Wirkung, wenn der kritische Blick bei all dem Eigenmarketing immer mehr auf der Strecke bleibt?
Es ist an der Zeit, sich bewusst zu werden, dass die Sprache sich verändert. Es wird wichtig, als Konsument auf den Absender der Infos zu achten. Ein Text aus dem Rathaus oder aus der Kreisverwaltung sieht vielleicht so aus, wie der eines Redakteurs, kann es aber inhaltlich – logischerweise – nicht sein. Fest steht: Das schönste Marketing-Deutsch – die Spitzenpolitik liefert in den Wochen vor der Wahl wieder Meisterleistungen ab – kann in eine Sackgasse führen, weil die Realität, so wie sie die Menschen wahrnehmen, zu oft eine andere ist als die „Wohlfühl-Darstellungen“ der Politiker. Gefragt ist mehr Realismus und auch mehr Klarheit. Probleme und Fehler müssen angesprochen und auch formuliert werden, ganz gleich, ob es in der Nachbarschaft ist, im Verein oder in der Behörde. Es bleibt spannend, wie sich das „Behörden-Marketing“ weiterentwickelt.
PS: Der Autor dieser Zeilen erinnert sich an eine Begegnung im Jahr 1991. Im „wilden Osten“ direkt nach der Wende war die Sprache „anders“, und auch die Inhalte der alten Bezirkszeitungen waren trotz neuer Eigentümer „anders“. Wir nannten das „Friede-Freude-Eierkuchen-Journalismus“. Kritik? – (fast) Fehlanzeige. Warum das so war, erklärte der langjährige Vorsitzende eines Sportvereins. „Junger Mann, das ist ganz einfach: Irgendwann haben bei uns alle verstanden, dass es dazu gehört, die Dinge für die Öffentlichkeit besser darzustellen, als sie tatsächlich sind. Wer dabei mitmachte, der stand gut da.“ In seinem Fall war das bei den Statistiken zu seinen Sportlern so: Vor der Wende hatte er statistisch 13 Jugendmannschaften, Anfang 1991 nur noch eine. Seine Antwort: „Wir hatten nie 13 Mannschaften – aber auf dem Papier wurden es über die Jahre immer mehr, weil Sport ja wichtig war.“ Hinterfragt habe das niemand, denn allen war klar, dass die Realität eine ganz andere war. „Probleme hatten wir offiziell nie, es war alles bestens. Jeder wusste, wie er damit umzugehen hat.“ Das Ergebnis – wie sich die Realität dieses Unrechtsstaat, die auf keinen Fall „nur“ wegen der öffentlichen Sprachregelungen nach seinem Ende in der Realität hinsichtlich Zahlen, Daten und Fakten sowie dem Zustand der Wirtschaftsleistung und Infrastruktur darstellte – ist bekannt.
Foto: Pexelx.com