DIE KOLUMNE – EWE-Gelände: Viele Worte, wenig Fakten und ein Königsweg

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Der jahrelange Stillstand ist beendet, es ist Bewegung drin. Aber auch Tempo? Nach der medialen Inszenierung, bei der Landrat Matthias Groote und Bürgermeister Claus-Peter Horst auf einem Modell kleine Häuschen auf dem ehemaligen EWE-Gelände zwischen Innen-, Alt- und Weststadt an der Gaswerkstraße hin und her schoben, sollte man meinen: Ja. Ebenso mit Blick auf die Antworten, die das Kreishaus diese Woche zu dem Thema gegeben hat. Darin wird von einer „bereits bestehenden grundsätzlichen Einigung über den städtebaulichen Rahmen zwischen den Verwaltungen“ geschrieben. Man habe gemeinsam „einen Bebauungsplanentwurf skizziert, welcher nun innerhalb der Stadt Leer mit deren politischen Gremien abgestimmt werden muss“.  Stimmt alles – und liest sich, als wenn bereits klare Vorstellungen für das 17.000 Quadratmeter große Areal bestehen.

Die Realität sieht – leider – etwas anders aus. Es sind bisher wohl doch nur gut vermarktete „Gedankenspiele“, die erst planungsrechtlich komplett konkretisiert werden und dann in gleich zwei politischen Gremien – Kreistag und Stadtrat – Zustimmung finden müssen. Denn: Auf die eindeutigen Nachfragen, was im Detail in den seit einigen Monaten zwischen den Verwaltungen laufenden Gesprächen konkret mit Blick auf die Nutzung der Flächen vorbereitet wurde, schreibt das Kreishaus: „Das Stadium des Konkreten ist noch nicht erreicht, deswegen kann dazu auch nichts Näheres mitgeteilt werden.“

Der aktuelle Stand ist kurz gefasst demnach eher so: Die Verwaltungen haben beispielsweise locker über maximale Gebäudehöhen gesprochen und sich geeinigt, planungsrechtlich ein „Urbanes Gebiet“ schaffen zu wollen. Das ist ein relativ neues Instrument im Baurecht, das im Prinzip alles zulässt, was mit städtischem Leben vereinbar ist. Nun müsste im nächsten Schritt die Aufstellung eines Bebauungsplanes durch die Politik der Stadt Leer erfolgen. Dafür allerdings ist eine Konkretisierung der Pläne zwingend erforderlich. Und was schreibt der Kreis, der als Eigentümer der Flächen nach der Altlastenentsorgung auf Teilen des Areals endlich am Zuge ist, inhaltlich zu den Möglichkeiten? Zitat: „Wir haben auf Wunsch von Kreistagsabgeordneten im April ein Werkstattgespräch angeboten (…) um zu hören, welche Wünsche und Ideen es vonseiten der Kreispolitik gibt. Und diese sind vielfältig. Sie reichen vom reinem Bildungscampus über einen Campus mit Schwerpunkt Bildung sowie Verwaltung bis hin zu weiteren Nutzungen wie u.a. bezahlbare Wohnungen, Nahversorgung in kleinem Stil und Gastronomie, Freizeitangebote, Kita, Co-Working-Space sowie viel öffentliches Grün mit hoher Aufenthaltsqualität.“ Alles, nichts, oder doch – diese Formulierung fasst es wohl gut zusammen.

Wenn dann die Konkretisierung durch die Kreispolitik und Kreishaus erfolgt sein sollte, müssen die Überlegungen die nächste politische Hürde nehmen – den Stadtrat von Leer. Er muss – auch unter Berücksichtigung städtischer Interessen – die Pläne billigen. Prognose: Das wird „lustig“, viele Interessen und Vorstellungen werden diskutiert werden müssen.  Für den Gebäudemanager des Kreises, Jens Lüning, der gemeinsam mit dem Kämmerer André Willems für das Projekt von Landrat Groote – und seiner Baudezernentin Jenny Daun – die Verantwortung übertragen bekommen hat, eine echte und ungewohnte Herausforderung, die beide wohl so noch nie bewältigen mussten. Denn es gilt jederzeit: Alles, was die beiden Verwaltungen entwickelt haben, muss am Ende durch gleich zwei politische Gremien einvernehmlich mitgetragen werden.

Gibt es etwas, was Hoffnung auf baldige Bebauungen macht? Ja. Die Kreispolitik bzw. die Kreisverwaltung haben ihre Haltung zu einem Verkauf von Teilen des Areals oder der Gründung einer gemeinsamen Entwicklungsgesellschaft überdacht. Gab es in den vergangenen zwei Jahren auf diese Frage mehrfach ein klares Nein, lautet die aktuelle Antwort: „Ist derzeit nicht vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt wird jedoch nichts kategorisch ausgeschlossen, da wir uns in einem offenen Entwicklungsprozess befinden.“

Was das bedeutet? Es könnte ein einfacher, zielführender „Königsweg“ gegangen werden. Der Kreis verabschiedet sich aus seiner Teilrolle eines Stadtentwicklers und Flächenvermarkters, in dem er folgendes macht: Er definiert, welchen Teil des Areals er für seine Kernaufgaben – z.B. Bildung und Verwaltung – gerne nutzen möchte. Dieser Nutzung stimmt die Leeraner Politik per Beschluss durch Aufnahme in den neuen Bebauungsplan zu. Die übrigen Flächen verkauft der Kreis an die Stadt zu dem Preis, den er mit der EWE – die keinerlei künftigen Nutzungsauflagen, beispielsweise Campus, im Kaufvertrag vorsieht – vereinbart hat. Das sind inklusive der darauf stehenden Gebäude übrigens 3,75 Millionen Euro, und die wurden vereinbart, als der Bodenrichtwert noch bei 90 Euro und nicht wie heute bei 140 Euro pro Quadratmeter lag. Die Stadtverwaltung und der Leeraner Stadtrat machen dann das, was ihr Job ist: Zügig beraten, was auf der Restfläche passieren soll, zügig beschließen, den Bebauungsplan aufstellen und die Fläche ggf. vermarkten. Wenn dann abzüglich der Planungskosten durch Verkauf der Flächen ein Mehrerlös herauskommt, könnte der Kreis vertraglich einen Anteil erhalten, damit sich der gute Deal mit der EWE gelohnt hat.

Kurzum: Alle machen dann das, was sie gut können, und im Regelfall auch durch ihre Zuständigkeiten machen sollen. Leer bekommt wahrscheinlich deutlich zügiger – das dauert im Idealfall trotzdem noch einige Jahre – ein urbanes Gebiet mit vielen Funktionen in bester Lage. Bleibt abzuwarten, ob die Politiker im Kreis- und Rathaus und die Verwaltungen so einen einfachen „Schuster-bleib-bei-deinen-Leisten“-Weg gehen wollen. Die Bürger der Stadt – die ja nicht eine unerhebliche Zahl der Wähler stellen – würde es freuen, wenn es dadurch endlich mit maximalem Tempo vorwärts geht.

PS: Noch einige Sätze zu den „verrotteten“ Häusern in der Ubbo-Emmius-Straße. Sie sind Teil des Kaufpakets im Wert von 3,75 Mio. Euro, das bekanntlich vor einigen Jahren bereits vereinbart wurde. Dadurch, dass sich die Entsorgung von Altlasten auf Teilen des Geländes hingezogen hat, waren diese Häuser mit Blick auf die Eigentümerschaft „weder Fisch noch Fleisch“. Einerseits gehören sie bis heute der EWE, andererseits stand seit Jahren fest, dass sie der Landkreis übernimmt.

Das bedeutete: Der bisherige Eigentümer, die EWE, hatte kein Interesse mehr, in Häuser, deren Verkaufspreis bereits feststand, noch Geld in die Instand- und Werterhaltung zu investieren. Der baldige Eigentümer, der Landkreis Leer, der für die Häuser den vor Jahren vereinbarten Preis bezahlen wird, hat nicht investiert und übernimmt nun Häuser im anderen Zustand als vor Jahren. Mittendrin in diesem Konstrukt hängt dann noch der Bauverein Leer eG, der einen Teil der Wohnungen in den vergangenen Jahren wenigstens für studentisches Wohnen durch Grundausstattung der Wohnungen „flott“ gemacht hat – allerdings nur als Verwalter bzw. Vermieter. Verständlicherweise hatte auch der Bauverein Leer weder Interesse noch das Geld, um in die Häuser zu investieren.

Ergebnis: Der Kreis Leer bekommt „verrottete“ Häuser, die er in besserem Zustand mitgekauft hat – und ggf. nun in den nächsten Wochen und Monaten für mehr Geld verkaufen könnte, für viel mehr Geld sanierten könnte oder ggf. als Totalverlust abreißen muss.

Es liegt in der Zuständigkeit der Politik zu bewerten, inwieweit es die Aufgabe von Landrat Matthias Groote bzw. seiner Baudezernentin Jenny Daun gewesen wäre, das Verrotten zu verhindern, indem mit der EWE durch vertragliche Lösungen gesucht und sicherlich auch gefunden worden wären, damit der Kreis investieren darf, obwohl er formal noch nicht Eigentümer ist. So jedenfalls ist durch untätiges Wegsehen Kreis-Kapital „verbrannt“ worden.

Holger HartwigDIE KOLUMNE – EWE-Gelände: Viele Worte, wenig Fakten und ein Königsweg