DIE KOLUMNE: „Konfliktplan“ für Leer soll „Bausünden“ aufarbeiten

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Haben Sie schon einmal ein Haus gebaut? Dann sind sie überzeugt, dass es für alles – vielleicht sogar zu viele – Gesetze, Regeln oder Auflagen gibt. Selbst für eine winzige Bordsteinabsenkung für die Zufahrt zum neuen Carport müssten Sie eine Genehmigung beantragen, sonst droht ein Bußgeld. Doch ist in Deutschland wirklich immer alles so perfekt geregelt? Mitnichten. Das zeigt als aktuelles Beispiel ein – Zitat aus einer Sitzungsvorlage – „Konfliktplan“, den die Stadt Leer jetzt für die Soziale Weststadt aufgestellt hat.

Worum geht es? Die Weststadt soll in den kommenden Jahren in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt werden, aber es fehlt dafür an einer der wichtigsten Voraussetzungen: rechtskräftige Bebauungspläne. Diese Pläne regeln nahezu im Detail fast alles, was mit Bauen und Wohnen in einem Quartier zu tun hat: Was darf überhaupt gebaut werden? Wie hoch dürfen die Häuser sein? Welche Fassade und welches Dach müssen die Immobilien haben? Wie sieht es mit Grünflächen, Spielplätzen und sonstigen Einrichtungen aus?

Wie sieht – schöne Grüße vom Bundeswirtschaftsminister Habeck – die energetische Versorgung aus? Alles das wird festgelegt, damit kein „architektonisches oder sonstiges Chaos“ entsteht. In der Leeraner Weststadt allerdings fehlen in weiten Teilen diese Bebauungspläne. Sie sind in der Bauphase des Quartiers – vor allem in den 1950er und 1960er Jahren – schlichtweg nicht erstellt worden. Nun endlich will die Stadt das – in gewisser Weise sind das besondere Formen von „Bausünden“ – nachholen. In drei Phasen sollen in den nächsten 15 bis 18 Jahren straßen- und bereichsweise die „Regeln“ erarbeitet, mit den Bürgern abgestimmt und durch die Politik beschlossen werden.

Warum das gut und wichtig ist? Zahlreiche Beispiele für Neubauten in Leer – insgesamt existieren für etwa 25 Prozent des Stadtkerns laut Stadtbaurat Rainer Kleylein-Klein keine Bebauungspläne – führten und führen auch aktuell zu heftigen Diskussionen. Investoren wollen gerne die Grundstücke maximal für eine Bebauung nutzen, Nachbarschaften sehen hingegen ihren Wohnwert durch hohe und kompakte Baukörper geschädigt – siehe aktuell die Planungen an der Ecke Hajo-Unken-Straße/Ubbo-Emmius-Straße. Ohne Bebauungspläne, die alles regeln, gibt es viel „Verhandlungsspielraum“. Letztlich muss der „weiche“ Paragraf 34 im Baurecht – er war vor 70 Jahren als eine Übergangslösung gedacht, hat sich aber bis heute „gehalten“ – zum Einsatz kommen. Darin ist von einem „Einfügegebot“ die Rede.

Das bedeutet aber lediglich: Der Neubau muss sich in das Umfeld hinsichtlich des Gebäudevolumens „integrieren“. Baumaterialien, Dach- und Fassadengestaltung kann der Investor weiterhin beliebig nach seinen Wünschen wählen. „Schön und passend“ zum Umfeld kommt dabei oft nicht heraus…

Ach ja, die fehlenden Bebauungspläne, die bauliche, soziale und umweltschützende Aspekte vereinen sollen, sind übrigens kein Leeraner Phänomen. Fast jede Kommune in Deutschland hat – im Kreis Leer laut Kreisverwaltung trifft das auf alle Gemeinden zu – Bereiche, in denen ohne einen Bebauungsplan einfach drauf los gebaut wurde. So war es in der Gemeinde Uplengen vor Jahren eine Herausforderung als in einem Straßenzug ein Unternehmer die Dächer seiner neuen Häuser im Stil von Lego mit den unterschiedlichsten Farben versehen wollte.

Kurzum: Seinerzeit ging es darum, möglichst zügig Wohnraum bauen zu können. Das fällt vielen Städten heute auf die Füße. Aber: So wie in Leer tut sich was, denn die Notwendigkeit auch mit Blick auf die anstehenden energetischen Veränderungen wird gesehen. Und da derzeit die Baubranche – in Leer tendiert die Zahl der Bauanträge gen Null – daniederliegt, haben die Bauverwaltungen freie Kapazitäten. Diese nutzen sie, um die Bebauungspläne auf den Weg zu bringen. Allerdings wissen sie dabei, dass es ein schwieriger und langwieriger Prozess ist, da – anders als bei Neubaugebieten – die Interessen der vorhandenen Eigentümer, die ihre Häuser und Grundstücke möglichst ohne Einschränkungen entwickeln möchten, zu berücksichtigen sind. Runde Tische und Sanierungskommissionen, wie es sie in der Weststadt in Leer gibt, bieten dafür ja ausreichend Raum für teils auch emotionale Diskussionen. Insofern verwundert es nicht, dass die Stadt Leer die ersten neuen Bebauungspläne – beispielweise für „Neu-Amerika“, das Bauensemble Am Pulverturm – erst in vier bis sechs Jahren fertighaben will, während es bei Neubausiedlungen meist in ein bis maximal zwei Jahren „erledigt“ ist.

Foto: www.musterhaus.net – Das Hausbauportal

Holger HartwigDIE KOLUMNE: „Konfliktplan“ für Leer soll „Bausünden“ aufarbeiten