DIE KOLUMNE: Krisenmanagement im „Landkreis der Arbeitsgruppen“

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Haben Sie schon einmal eine Sitzung des Kreistages besucht? Wahrscheinlich nicht, weil nur wenige Themen diskutiert werden, die das direkte Lebensumfeld betreffen. Am Montag (11.09.23, 17 Uhr) könnte sich der Weg in das Sparkassenforum lohnen. Es wird mehr als sonst „zur Sache“ gehen. Viele Jahre gab es wenig über die Arbeit von Landrat Matthias Groote (SPD) zu „meckern“. Die finanzielle Ausstattung aufgrund hoher Steuereinnahmen – der Kreis hat sich massiv entschuldet – war gut. Nun weht seit einiger Zeit ein rauherer Wind. Die Opposition im Kreistag könnte an mehreren Stellen ein Fass aufmachen.

Zuallererst ist das Thema „Seniorenwohnanlage Heisfelde“ zu nennen. Dieses Pflegezentrum produziert hohe Verluste, 2022 über 500.000 Euro, 2023 werden es 1,15 Mio. Euro Minus sein (in Summe 1,65 Mio. Euro). Im Dezember 2022 hatte der Landrat ein Minus von „nur“ 299.500 Euro angekündigt, im Mai waren es dann 419.000 Euro. Schuld daran sind die Zustände in der Pflege. Aktuell dürfen nur noch 53 der 98 Betten belegt werden, der Rest der Betten ist „gesperrt“, weil die Aufsichtseinrichtungen aufgrund von Pflegemängeln eingeschritten sind. Erschreckend ist, dass die katastrophalen Zustände des Hauses seit langem – erste Schreiben zu diesem Thema wurden von Mitarbeitenden 2018 (!) verfasst – bekannt sind. Ob und inwieweit die Zustände das Leben von Menschen „verkürzt“ haben, wird sich nie klären lassen. Was sich klären lässt ist, wann wer was gewusst hat, wann wer sich nicht ausreichend um Lösungen gekümmert hat, sondern nur delegiert hat, beispielsweise an die kreiseigene Heimaufsicht. Der Landrat muss seine schleppende Informationspolitik erklären und begründen, warum er zugesehen hat, wie das Haus immer weiter in die wirtschaftliche Katastrophe schlidderte. Zudem dürfte er auch gefragt werden, warum nun ausgerechnet ein vom Klinikum „verabschiedeter“ leitender Angestellter jetzt die erste Wahl des Landrats für das Beenden des Missmanagements ist. Unbestritten ist: Erst in Krisen zeigt sich wahre (Landrats-)Führungsstärke.

Auf der Tagesordnung stehen weitere millionenschwere Themen. Mehrausgaben werden in den Bereichen Teilhabe und Soziales und „Kinder, Jugend und Familie“ fällig. Sie sollen, so sieht es der Beschluss vor, „im Rahmen des Haushaltsvollzuges“ finanziert werden. Das heißt: Das Geld kommt von Mehrerträgen und Einsparungen in anderen Bereichen. Aktuell bekommt der Kreis das hin – vorausgesetzt, die Widersprüche der Kommunen gegen die hohe Kreisumlage sind erfolglos. Insgesamt 17 (!) von 21 Städten und Gemeinden haben oder werden – so die Recherche – Protest einlegen. Dabei ist der Landrat bereits im Vorfeld der Festlegung der Kreisumlage 2023 gewarnt worden, dass dieser Widerstand kommt. Was das bedeutet? Diese „Krise“ im Miteinander der Kommunen und dem Kreis, die es so noch nie gab, ist „landratsgemacht“. Und wie reagiert der Landrat? Er bildet eine Arbeitsgruppe, die – so wörtlich – „über die zukünftige Gestaltung der Finanzbeziehungen und über die Aufgabenwahrnehmung“ beraten soll. Dabei geht es um eine sehr zentrale Frage – Geld. Da ist ein Landrat zuallererst derjenige, der verbindend „aushandeln“ sollte, was für alle Beteiligten inklusive vor allem der Politik konsensfähig ist. Wiederum gilt: In Krisen zeigt sich Führungsstärke.

Apropos Arbeitsgruppen. Sie sind im Haus an der Friesenstraße beliebt. Es gibt eine für die Finanzierung der Kindertagesstätten, eine für das Thema Zukunft und Personal, eine für Schule und Bildung und auch bei Themen, wo es um Ideen und Zukunft geht, stehen sie beim Landrat hoch im Kurs. So beispielsweise, wenn es um das EWE-Gelände mitten in Leer geht. Wie war doch gleich ein bekannter Spruch dazu? „Wenn Du nicht mehr weiterweißt, dann gründe einen Arbeitskreis“.

Auch Bauen, Planen, Entwickeln wird im Kreistag Thema sein. Hier ist es die CDU, die die Bildung eines Ausschusses für Hochbau und Planung beantragt. Ziel: Mehr Tempo und Service in der „Bauverhinderungsbehörde“, wie Spötter das Baudezernat nennen. Vorhersehbar ist, dass dieses Gremium wohl nicht gebildet wird, weil es die SPD-geführte Mehrheitskoalition per se ablehnen dürfte. Man darf gespannt sein, ob es dann auch dazu eine Arbeitsgruppe gibt. Die hätte den Vorteil, dass auch sie hinter verschlossenen Türen tagen und in den öffentlichen Ausschüssen nur noch das Ergebnis „präsentieren“ würde.

Mit Spannung erwartet werden darf auch, was der Landrat – im Kreishaus und in der Politik wird gespottet, dass er voll digitalisiert ist, weil sein Büro und der Schreibtisch fast immer aktenlos sind – zu allen diesen Themen sagen wird. In der Regel äußert und zeigt er sich in der Öffentlichkeit nur bei schönen Themen. Bei schwierigen Themen und Krisen, wo oft tiefes Wissen in der Sache nötig ist, müssen sein Pressesprecher Philipp Koenen bzw. die Bereichsleiter ran, um die Zitate für die Medien zu liefern.

Zurück zum Kreistag. Die Frage ist: Wie gehen die Fraktionen mit den Themen und der Rolle des Landrats um? Dabei gilt wie sonst im Leben: Kritik beflügelt und motiviert. Im Sport – – Landrat Groote ist bekennender Fan von Werder Bremen – erzielt nur derjenige die besten Ergebnisse, von dem (Best-)Leistungen gefordert werden. Es sei denn, man weiß als Trainer bzw. Politiker, dass mehr Leistung selbst bei Ansporn nicht möglich ist. Dann ist ein „Landkreis der Arbeitsgruppen“ auf Dauer wohl der beste Weg.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Krisenmanagement im „Landkreis der Arbeitsgruppen“